Tage Alter Musik – Almanach 2022

22 www.gelsenkirchen-barock.de Neues aus der Alten Musik Die 37. Tage Alter Musik in Regensburg (3. bis 6. Juni 2022) // Neustart zu einhundert Prozent // Autor: Ingo Negwer Wie so viele Kulturveranstaltungen fielen die Tage Alter Musik in Regensburg der Corona-Pandemie zum Opfer. Bereits Mitte März 2020 waren laut Mitveranstalter Ludwig Hartmann (Pro Musica Antiqua) alle Konzerte für das anstehende Pfingstfestival ausverkauft. Dann erfolgte die Absage. Zu Pfingsten 2021 ebenso. Im Oktober fanden die 36. Tage Alter Musik zumindest in reduzierter Form statt. Wegen Terminüberschneidungen waren es die ersten seit 1989, die ich nicht miterleben konnte. Daher tat es besonders gut, am Freitag vor Pfingsten wieder in der Donaumetropole anzukommen, in froher Erwartung auf viele Konzerte, interessante Gespräche und die Verkaufsausstellung im historischen Salzstadel: Ein Neustart zu hundert Prozent! „Man spürt die Tage Alter Musik in Regensburg“, sagte Oberbürgermeisterin Gertrud MaltzSchwarzfischer anlässlich der offiziellen Begrüßung. Dem kann man sich nur anschließen: sechzehn Konzerte mit Musik vom Mittelalter bis zu Mozart wurden wieder an historischen Orten geboten. Die Altstadt war förmlich von Musik durchdrungen. Den Auftakt am Freitagabend gestalteten, einer langjährigen Tradition folgend, die Regensburger Domspatzen. Begleitet von der Hofkapelle München sangen sie die Große Credomesse KV 257 und die Vesperae solennes de confessore KV 339 von Wolfgang Amadeus Mozart. Unter ihrem neuen Leiter Christian Heiß glänzten die Domspatzen mit einer Stimmkultur, für die sie zu Recht gerühmt werden. Bemerkenswert war der schlanke, sehr transparente Gesamtklang, der den beiden geistlichen Werken Mozarts bestens zu Gesicht stand. Die Solostimmen Katja Stuber (Sopran), Dorothée Rabsch (Alt), Michael Mogl (Tenor) und Joachim Höchbauer (Bass) waren insbesondere im Ensemble gefordert und erledigten ihre Aufgaben mit Bravour. Die Hofkapelle München, souveräne Begleiterin der Sängerinnen und Sänger, brachte unter der Leitung ihres Konzertmeisters Rüdiger Lotter Johann Christian Cannabichs Sinfonie Nr. 67 G-Dur als Intermezzo zwischen Messe und Vesper ein. Französischer Tastenzauber, hanseatische Mehrchörigkeit und feine Vokalmusik Am Samstag zog das Vokalensemble Blue Heron das Publikum in der Schottenkirche in seinen Bann. Die US-amerikanische Formation sang Auszüge aus Cipriano de Rores „I Madrigali a Cinque Voci“ (Venedig 1542) mit differenzierter Klangregie und emotionaler Tiefe. Jeweils vorweg rezitierte Katja Schild vom Bayerischen Rundfunk die Gesangstexte von Francesco Petrarca u.a. in deutscher Übersetzung, obwohl dem Publikum, wie gewohnt, Textblätter zur Verfügung standen. Da hätte man lieber noch das eine oder andere Madrigal von Blue Heron gehört. Nichtsdestotrotz gab es für die Künstler verdiente Ovationen. Cembalokonzerte von Michel Corrette rückte das Schweizer orchester le phénix und sein Leiter Vital Julian Frey in den Fokus. Mit fein austarierter Klangregie, mal tänzerisch galant, mal zupackend, warben die Musikerinnen und Musiker für diese eher unbekannten Werke des französischen Spätbarock. Correttes Concerto comique Nr. 25 g-Moll und die Ouvertüre Nr. 3 e-Moll von Johann Bernhard Bach rundeten das Programm ab. Vital Julian Frey demonstrierte mit demDivertimento „Combat naval“ für Cembalo solo sowohl seine eigenen virtuosen Fähigkeiten als auch Michel Correttes erstaunliche Experimentierfreudigkeit, die vor Clustern (Kanonendonner) und Glissandi (Raketen) bei der musikalischen Schilderung einer Seeschlacht nicht zurückschreckte. Das Vokalensemble Alamire und His Majestys Sagbutts & Cornetts aus Großbritannien stellten am Abend in der Dreieinigkeitskirche den Hamburger Komponisten Hieronymus Praetorius (1560-1629) vor. Mit geistlichen Kompositionen zu 8 bis 20 Stimmen, der Aufführungspraxis um 1600 entsprechend in gemischt vokaler und instrumentaler Besetzung dargeboten, vermittelten sie einen hörenswerten Eindruck von der prächtigen Klangwelt, die man zu jener Zeit in der Hansestadt pflegte. Hieronymus Praetorius, Zeitgenosse des bekannteren Namensvetters Michael (mit dem er allerdings nicht verwandt ist), führte die Mehrchörigkeit, die er nie an ihrem italienischen Ursprungsort studiert hatte, in Hamburg ein. Dass sie vor allem auch ein geradezu überwältigendes Mittel der Repräsentation war, konnte man in diesem Konzert eindrucksvoll erleben. Den Samstag beschloss das portugiesische Ensemble Cupertinos mit Sakralmusik aus seiner Heimat. Mitten in der Schottenkirche kreisförmig positioniert, trugen die zehn Sängerinnen und Sänger die Musik ihres Landsmanns Manuel Cardoso (1566-1650) vor. Das Vokalensemble unter der Leitung des Tenors Luis Toscano widmet sich vornehmlich der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts aus Portugal. Dabei pflegt es ein leicht herbes, transparentes Klangbild, das die iberischen Wurzeln dieser Werke schön zur Geltung bringt. Ins Zentrum ihres Regensburger Konzerts stellten die Cupertinos die Missa Dominicarum Adventus et Quadragesimae. Vier- bis sechsstimmige Motetten sowie ein Magnificat von Cardoso rundeten das meditative Nachtprogramm ab. Mit begeistertem Applaus entließ das Publikum die Sängerinnen und Sänger nach gut einer Stunde in die Nacht. Ein Feuerwerk für Vivaldi Vor vier Jahren gründete der Lautenist Thomas Dunford zusammen mit Freunden das Ensemble Jupiter. Im Jahr darauf folgte die erste CD mit Instrumentalmusik und Auszügen aus Opern von Antonio Vivaldi. Nun gab Jupiter im Reichssaal sein Debüt bei den Regensburger Tagen Alter Musik. Die acht jungen Musikerinnen und Musiker zündeten am Sonntagmorgen ein wahres Feuerwerk, in dessen Zentrum Arien aus Vivaldis Opern und Oratorien standen. Sie huldigten dabei dem italienischen Barockstil temperamentvoll und virtuos, ohne auf Eleganz und Wohlklang zu verzichten. Einen großen Anteil am exquisiten Eindruck, den das Ensemble hinterließ, hatte Lea Desandre, deren lyrischer Mezzosopran zu schier atemberaubend brillanten Koloraturen und Trillern fä-

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