Tage Alter Musik – Almanach 2022

Tage Alter Musik Regensburg 2022 33 Gesang, Posaune, Zink Für ein wenig weibliche Präsenz in Sachen Komposition sorgte immerhin das Ensemble I Gemelli. Gut aufgehoben bei deren Auftritt war allerdings nur, wer Lust auf eine sakrotheatrale Shownummer mit Startenor hatte, denn Emiliano Gonzalez Toro machte aus den zu einer Marienvesper zusammengestellten Psalmen und Motetten der Äbtissin Chiara Margarita Cozzolani (Mitte 17. Jh.) ein unterhaltsames, in extremen Tempowechseln von Zeitlupe und Zeitraffer aber auch leicht aufdringliches Spektakel. Das Handkanten-Dirigat, das der beachtliche Sänger aus der Mitte der Gruppe heraus zelebrierte, wirkte bei den von Zinken und Posaunen gekrönten Schlusswendungen so, als müsse er eine symphonische Choralapotheose im Geiste Anton Bruckners herbeiführen. Fragwürdig war auch die Tatsache, dass die zu Cozzolanis Lebzeiten im Kloster wahrscheinlich rein weibliche Aufführungspraxis nur im Programmheft präsent war und Gonzalez Toro sich sogar bei ursprünglich für zwei Soprane komponierten Duetten kurzerhand einen Solopart unter den tenoralen Nagel riss. Erholung von diesem etwas befremdlichen Zugriff bot La Guilde des Mercenaires mit ähnlichem Repertoire. Der überragende Zinkenist Adrien Mabire glänzte wie gewohnt in instrumentalen Zwischenspielen, war ansonsten aber als Dirigent in frühen Werken Giovanni Gabrielis gefordert. Abwechslung brachten immer neue Stimmkonstellationen, die durch veränderte Aufstellung der Sänger optisch und akustisch markiert wurden. Ihr Gesang und das Spiel der Bläser verschmolzen zu einer Klangfarbenpracht, die mehr war als die Summe ihrer Teile. Weiteres hochkarätiges Futter für Fans der Kombination von Gesang mit Posaune und Zink steuerten Les Meslanges (Leiter Volny Hostiou ließ den Serpent herrlich brummen) mit französischer Sakralmusik des 17. Jahrhunderts und Alamire bei, die bei der Musik von Hieronymus Praetorius von den bewährten Kräften von His Majestys Sagbutts & Cornetts unterstützt wurden. Klassische Kirchenmusik war beim Eröffnungskonzert der Regensburger Domspatzen geboten, die unter der Leitung des – was öffentliche Auftritte angeht immer noch neuen – Domkapellmeisters Christian Heiß ein unspektakuläres Programm (Mozarts „Große Credomesse“ und „Vespera solennes de confessore“) unspektakulär meisterten. A-cappella-Renaissance Ein Hochamt in Sachen Renaissance-Polyphonie zelebrierten die Tallis Scholars. Seit seiner Gründung, vor allem seit ersten bahnbrechenden Aufnahmen in den 1980er Jahren, gilt der Chor als Referenz, wenn es um Ebenmäßigkeit und Klarheit der Stimmführung in diesem Repertoire geht. Ihr Auftritt bei den Tagen Alter Musik 1993 ist vielen noch in ehrfürchtiger Erinnerung. Der Einstieg in ihr Programm mit John Taverners „Leroy Kyrie“ schien genau da anzuknüpfen. Die zehn Stimmen verströmten sich fast unwirklich imKirchenschiff und schufen doch eine kraftvolle Präsenz. Mit Thomas Tallis’ „Suscipe quaeso Domine“ tauchten dann kleinste, auf diesem Niveau aber leider merkliche Intonationstrübungen in hohen Sopranpassagen auf. Hinzu kam, dass Dirigent Peter Phillips für den Mittelteil des Programms mit Ausschnitten aus einer Messe William Byrds Werke gewählt hatte, deren Deklamationstempo in der Riesenakustik des Regensburger Doms harmonisch doch erheblich verunklart wurde. Wunderbar gelangen aber Robert Whites „Exaudiat te“ und mit „Ave verum“ und „Tribue domine“ weitere Byrd-Stücke. Noch mehr Luft nach oben war bei Blue Heron. Dem Vokalensemble gelang es nur bedingt, eine Lanze für Cipriano de Rores fünfstimmiges Madrigalbuch von 1542 zu brechen. Immer wieder trübten Intonationsschwankungen und die unklare Balance zwischen individuellemHeraustreten einzelner Stimmen und Homogenität den Gesamteindruck. Eine gute Idee war es wiederum, dass Katja Schild vor jeder Nummer die zugrunde liegenden Texte in deutscher Übersetzung rezitierte. Einen nicht nur äußerlich geschlossenen Eindruck hinterließen dagegen die Cupertinos. Einander in einem Kreis zugewandt sangen sie die bemerkenswerte Musik des portugiesischen Renaissance-Meisters Manuel Cardoso. Herausragendes Merkmal des Vokalensembles ist das Timbre der Frauenstimmen, das den Oberstimmen ohne jede Schärfe eine sehr spezielle Präsenz verleiht, ohne das die Balance zu den weniger individuellen Männerstimmen gefährdet wäre. Wie gesagt: Die Alte Musik ist weiter … Cupertinos unter der Leitung von Luís Toscano in der Schottenkirche

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