Zur Zeit der Spätgotik setzte im Europa nördlich der Alpen die Renaissance ein. Dies geschah vor allem während des Quattrocento und Cinquecento, einer Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit, vom Skriptorium zum Buchdruck, von der Humilitas des Anonymus zur Oper eines Claudio Monteverdi, von der strengen Scholastik zum menschenfreundlichen Humanismus, vom Ritter zum Kaufmann, vom Schwert zum Schießpulver, von der Alten zur Neuen Welt. Es verschoben sich nicht nur territoriale Grenzen. Auch in der Philosophie, der Malerei oder der Musik befreite man sich von allzu limitierenden Vorschriften. Eine Wiedergeburt setzt per definitionem den Tod voraus. In der Kunst war das der Schwarze Tod, die Pest. In unserer Zeit wabern nun Covid-19 und dessen diverse Abarten durch die Lande. Das große Sterben blieb Gott sei Dank zwar aus, doch viele Läden, Gewerke oder Institutionen verschwanden. Letztmals konnten Konzerte der TAGE ALTER MUSIK Regensburg am Pfingstwochenende im Jahr 2019 besucht werden, vor drei Jahren! Das für Pfingsten geplante Festival im Jahr 2021 fand zu völlig ungewöhnlicher Zeit in der Domstadt statt, Anfang Oktober und auf 13 Konzerte an fünf historischen Stätten abgespeckt. Hatte die lange Tradition der TAGE ALTER MUSIK Regensburg in einer Zeit des pandemiebedingten kulturellen Niedergangs überhaupt eine Überlebenschance? Hatten sie überlebt oder waren sie gar tot? War das Wochenende im Oktober 2021 der Schwanengesang? Die Veranstalter Ludwig Hartmann, Stephan Schmid und der Geschäftsführer Paul Holzgartner setzten eindeutige Zeichen. Sie luden zur internationalen Tagung „Cipriano de Rore and the Invention of the Venetian Madrigal“ am 2. und 3.6.2022 ins Haus der Begegnung, zur Verkaufsausstellung von Nachbauten historischer Musikinstrumente, Noten, Büchern und CDs ins Infozentrum im Salzstadel an der Steinernen Brücke, zum Kurstag „Alte Musik“ mit Jana Semerádová (Traversflöte) in die Hochschule für kath. Kirchenmusik und Musikpädagogik Regensburg imKloster St. Mang, zu Konzerteinführungen mit Prof. Dr. Katelijne Schiltz (Praetorius: Motetten), Dr. Michael Braun (Cozzolani: Marienvesper) und Mag. Franziska Weigert (Händel: Acis & Galatea), zu Nachtgesprächen ins Festival-Lokal, dem Regensburger Weissbräuhaus aus dem Jahr 1620, und zu insgesamt 16 Konzerten an historischen Stätten, wie der Dreieinigkeitskirche, der Schottenkirche St. Jakob, der Basilika St. Emmeram, dem Reichssaal im Alten Rathaus, der Minoritenkirche St. Salvator, der Basilika Unserer Lieben Frau zur Alten Kapelle, demDom St. Peter und ins klassizistische Theater am Bismarckplatz. Und sie informierten über die Veranstaltungen mittels eines über hundertseitigen Programmhefts. Sie setzten ein Zeichen. Renaissance! Vom Freitag, 3. Juni 2022 bis Pfingstmontag, 6. Juni 2022 fanden also zum 37. Mal die TAGE ALTER MUSIK Regensburg statt. Musik vomMittelalter bis zur Klassik in acht historischen Stätten, aufgeführt von 19 Ensembles oder Solokünstlern. Eine Mammutaufgabe vor dem Hintergrund eines unabwägbaren Pandemiegeschehens. Das klang auch bei der Eröffnung des Festivals im Salzstadel in der Rede Ludwig Hartmanns an. Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen. Der Spruch des Philosophen Blaise Pascal skizziert kurz und vortrefflich die Situation der letzten Jahre für die Beteiligten, die Künstler, die Organisatoren, die Hoteliers, die Aussteller und die Besucher. Die Arbeit eines Jahres in die Tonne treten – würde es 2022 ebenfalls passieren? Der Kartenvorverkauf lief schleppend an. Das Festival startete wie gewohnt mit den Regensburger Domspatzen und der Hofkapelle München, die Maschinerie des Festivals war angelaufen. Probenzeiten, Bestuhlung, Beleuchtung, Fahrdienst, Auf- und Abbau, Rundfunkaufnahmen, Sanitätsbetreuung, Programm- und CD-Verkauf vorm Konzertort, Unterbringung oder die Verköstigung der Künstler nach deren Konzerten (teilweise noch spätnachts), musste organisiert werden. Und – das Publikum war da! Der Enthusiasmus ebenfalls. Die TAGE ALTERMUSIK Regensburg starteten mit Mozarts Großer Credo-Messe KV 257 in der Basilika St. Emmeram und endeten mit Händels Acis & Galathea HWV 49A in der Ausführung durch das CollegiumMarianum und demMarionettentheater Buchty a Loutky im Theater am Bismarckplatz. Dazwischen, also zwischen Mozarts Wiener Klassik und Händels Barock, hörte man acht Konzerte mit Renaissance-Programm, vier mit Barockmusik (Händel eingeschlossen), zwei Mittelalterkonzerte und insgesamt zwei Konzerte mit Wiener Klassik. Es konzertierten neben den beiden bereits Genannten Les Meslanges (Frankreich) mit einer Missa und einem Te Deum für Ludwig XIII. imNachtkonzert und der Schottenkirche, der Matinee am Samstag mit Les Muffatti (Belgien) und Rekonstruktionen nach Kantaten und Konzerten Bachs durch und mit Bart Jacobs in der Dreieinigkeitskirche, den folgenden Konzerten mit Blue Heron (USA) und Musik von Cipriano de Rore, dem orchester le phénix (Schweiz) und Kompositionen von Corrette und J.B. Bach, Alamire und His Majestys Sagbutts & Cornetts (Großbritannien) und 8- bis 20-stimmigen Motetten von Hieronymus Praetorius, den Cupertinos (Portugal) mit Cardosos Missa Dominicarum Adventus et Qudragesimae im Nachtkonzert in der Schottenkirche, der Matinee mit Jupiter (Frankreich) und Musik von Vivaldi im Reichssaal, daran anschließend mit RUMORUM (Schweiz) und Mittelaltermusik in der Minoritenkirche, Clematis (Belgien) in der Alten Kapelle und einem Konzert aus Stylus fantasticus, Stravaganze und Instrumentalmusik aus Dresden, Claudia Margarita Cozzolanis Marienvesper von 1650 und I Gemelli (Frankreich), den Tallis Scholars mit 42 Renaissance – Die TAGE ALTER MUSIK Regensburg 2022 // Ausgabe Juli/August 2022 // Autor: Robert Strobl
RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=