Mittelbayerische Zeitung 38 Wie konnten Musikliebhaber neue Sinfonien kennenlernen als es noch keine Tonträger gab? Arrangements für Klavier vierhändig oder für kleinere Besetzungen mussten in diesem Fall helfen, und hierfür entwickelte sich in Zeiten der Klassik und Romantik ein regelrechter Markt. Diesem heute fast vergessenen Aspekt der Rezeptionsgeschichte widmete sich bei den „Tagen Alter Musik“ ein Konzert der „Compagnia di Punto“ in der Dreieinigkeitskirche. „Große Musik im kleinen Kreis“ präsentierte das Ensemble dem Publikum, nämlich Mozarts Sinfonie Nr. 40 und Beethovens „Eroica“, dargeboten in solistischer Streicherbesetzung nebst zwei Klarinetten, zwei Naturhörnern und, im Falle der „Eroica“, ergänzt um eine Flöte. Überraschendes Fazit: der sinfonische Zug der Werke ging auch in der kammermusikalisch reduzierten Fassung nicht verloren, was auch auf das temperamentvolle Spiel der „Compagnia“ zurückzuführen war. Atemberaubend war es vor allem, mit welchem Tempo die Musikerinnen und Musiker durch das Scherzo der „Eroica“ fegten. Freilich: dazwischen stellte sich auch die eine oder andere Hör-Irritation ein, es entstanden quasi Leerstellen, was wohl auf das Konto der historischen Bearbeitungen von Carl Friedrich Ebers geht. Fülle, Strahlkraft und Beweglichkeit Szenenwechsel in die Niedermünsterkirche, die am frühenMontagnachmittag als Ort die Lübecker Marienkirche vertrat, wo einst Dietrich Buxtehude seine berühmten „Abendmusiken“ veranstaltete. Wie mag das Programm einer solchen Abendmusik ausgesehen haben? So fragte sich das französische Ensemble „La Rêveuse“ und nutzte das Defizit an gesicherter Überlieferung kreativ: Neben Kantaten erklang Instrumentales, und außer Werken von Buxtehude nahm die Gruppe Musik weiterer in Norddeutschland tätiger Komponisten wie Johann Adam Reincken und Johann Philipp Förtsch in ihr Programm auf. Das geistliche Konzert „Aus der Tiefe rufe ich“ des Letzteren erwies sich als eine wahre Entdeckung, während eine Suite aus Reinckens „Hortus Musicus“ in ihrer Schusterfleck-Machart weniger überzeugte. Beeindruckend war jedoch die Interpretationskunst von „La R�veuse“, das am Ende vom Publikum zu Recht bejubelt wurde, zumal die Sopranistin Maïlys de Villoutreys, in deren Stimme sich Fülle, Strahlkraft und Beweglichkeit aufs Glücklichste vereinten. Der rote Faden Die „Kunst der Inventio“ bildete danach im Reichssaal den roten Faden im Programm von „Ludus Instrumentalis“. Zweistimmige „Inventionen“ und dreistimmige „Sinfonien“ Bachs erklangen bei dieser Gelegenheit nicht nur auf dem Cembalo, sondern auch in der Verteilung der Stimmen auf Violinen und Violoncello. Den zeitlich gewichtigeren Anteil des Programms bildeten Triosonaten, wobei häufig nicht nur die Violinen Evgeny Sviridovs und Anna Dmitrievas brillieren konnten, sondern auch Pavel Serbin am Cello sich wendig ins Gespräch der Oberstimmen einschaltete. Beim Zuhören durfte man miträtseln: Stammt die früher im BachWerke-Verzeichnis als Nummer 1037 geführte C-Dur-Triosonate wirklich von dessen Schüler Goldberg? Und wer ist der Autor der c-Moll-Violinsonate BWV 1024: Bach, oder doch, wie das so gar nicht nach ihm klingende Finale vermuten lässt, Georg Pisendel? Wahre Entdeckungen und beeindruckende Interpretationskunst Zu Recht bejubelt: Die „Tage Alter Musik“ sind in Regensburg zu Ende gegangen. Autor: Gerhard Dietel // 01.06.2023 Beeindruckend war die Interpretationskunst von „La Rêveuse“ in der Niedermünsterkirche. Foto: Michael Vogl
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