Tage Alter Musik – Almanach 2023

64 31. Mai 2023 // Autor: Reinhard Brembeck Die Feinde haben ihr alle Kinder totgeschlagen, zuletzt auch Polyxena und Polydor, den ein goldgieriger falscher Freund ermordet hat. Jetzt nimmt Trojas Ex-Königin Hekuba Rache. Katarina Livljanić singt und agiert mit stolz gefasster Würde, aber unerbittlich. Hekubas Frauen töten des Mörders Söhne, blenden ihn. Und die fünf Männer des kroatischen Gesangensembles Kantaduri kommentieren mit ihren herb erdverbundenen Klängen diese archaische Frauenrache, die niemand im Publikum als überzogen empfindet. Schließlich stammt der Text ursprünglich von Athens Meisterdramatiker Euripides, er wurde in der Renaissance ins Lateinische, Italienische, Dalmatische übertragen, die grandiose Katarina Livljanić hat die Dialoge mit mittelalterartigen Linien versehen, Francisco Mañalich ist ihr ein kongenialer Partner, übernimmt viele Rollen, Frauen wie Männer: So will und kann man sich griechische Tragödie aufgeführt vorstellen. Die von den immer begeisterten und begeisternden Musikvisionären Stephan Schmid und Ludwig Hartmann ausgerichteten Tage Alter Musik Regensburg machen solche Wunder schon im 38. Jahrgang in den Kirchen der Stadt zum Standard, jetzt wieder in sechzehn Konzerten am Pfingstwochenende, der Kritiker hat ein Viertel davon zunehmend begeistert gehört. Staunen reiht sich dabei an Staunen. Auch bei den zehn Musikern (Streicher, Flöte, je zwei Klarinetten und Hörner) der Compagnia di Punto, die machen, was es sonst in Regensburg nie gibt: gängiges Repertoire. Aber auf zehn Spieler reduziert wirken Wolfgang Amadé Mozarts g-Moll-Sinfonie und die Eroica von Ludwig van Beethoven wie aufrüttelnde Experimentalmusik: ein Kampf der Bläser gegen die Streicher, ein Treiben und Ausbremsen, Höhenflüge, Anstürze, Harmoniekatastrophen. All das geht im Vollklang moderner Aufführungen verloren. Johann Gottlieb Goldberg kann sich am Niveau seines Lehrmeisters Johann Sebastian Bach messen Johann Gottlieb Goldberg ist in Klassikkreisen bekannt als Namensgeber für die berühmtesten Variationen seines Lehrers Johann Sebastian Bach, der ihn den begabtesten seiner Schüler nannte. Goldbergs Musik aber, er wurde keine 30 Jahre alt, nur wenige Konzerte, Sonaten, Polonaisen und noch weniger Vokalmusik sind überliefert, kennt so gut wie niemand. Das ändern in Regensburg die fünf Musiker(innen) von Ludus Instrumentalis ganz grundlegend. Sie zeigen in zwei Sonaten, dass Goldberg sich amNiveau seines Lehrers messen lässt, dass er über einen großen Atem verfügt und sehr subtil und fantasiebegabt den Fluss der Musik immer wieder durch kleine Störmanöver und harmonische Eigenwilligkeiten belebt, ohne deshalb Skurriles oder Gewolltes abzuliefern. Die im Kontrast dazu gespielten Sonaten und Duette des Lehrers Bach unterstreichen Goldbergs singulären Rang als Komponisten. Der 110. Psalm beschreibt recht drastisch, wie der Herrgott am “Tag seines Zorns” unter den Heiden wüten wird, die geläufige Kriegsrhetorik mancher Politiker nimmt sich da fast pazifistisch aus. Dietrich Buxtehude, bei dem Bach in jungen Jahren lernte wie später Goldberg bei Bach, hat diesen Schlachtgesang elegant mit Klang ummantelt, die Drohungen des Textes bekommen dadurch etwas Selbstverständliches. Genauso durch den Gesang der wundervollen Maïlys de Villoutreys, die ohne Anstrengung und leicht verwoben in die Vielklanglichkeit des Sextetts La Rêveuse singt. Wo der Text stampft und tobt, verbreitet Villoutreys erhabene Zuversicht, genauso im berühmten 130. Psalm, demAufschrei einer gemarterten Seele in einem Abgrund. Johann Philipp Förtsch (auch der ein ganz Unbekannter und Bach-Zeitgenosse) hat den deutschen Text raffiniert mit Expression aufgeladen, die unterschiedlichen Zeilenlängen angeglichen und somit ein ganz auf Überwältigung angelegtes Vokaldrama komponiert. Regensburg, das wird in jedem Konzert deutlich, bedeutet nicht nur faszinierende Exkursionen in unbekanntes Repertoire, sondern auch ein Reset gängiger Hörgewohnheiten. Zwischen Rache und Eleganz Die Tage Alter Musik Regensburg stellen gängige Hörgewohnheiten auf die Probe STIMMEN ZUM FESTIVAL TAGE ALTER MUSIK 2023 Gratuliere, Regensburg! Für uns war es ein Traum, abends in dieser wunderschönen Kirche (Schottenkirche) zu spielen und unser Programm „Brabant 1653“ zu präsentieren. Was für ein Publikum!!!!! Best regards. Tineke & Judith Steenbrink Holland Baroque

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