Mit dem in Bologna beheimateten Ensemble Cappella Artemisiaunter der Leitung von Candace Smithwird in Regensburg erstmals ein Ensemble von acht Sängerinnen und vier Instrumentalistinnen zu hören sein, das sich nahezu ausschließlich auf die Erforschung und Aufführung von Musik des 16. und 17. Jahrhunderts aus italienischen Nonnenklöstern spezialisiert hat. Zahlreiche mit Preisen dekorierte CD-Einspielungen und Konzertauftritte bei allen wichtigen europäischen Alte-Musik-Festivals belegen die hohe Reputation, die das Frauenensemble genießt. Inzwischen sind vier CDs erschienen mit Musik aus Nonnenklöstern des 17. Jahrhunderts in Bologna und der Lombardei, eine Aufnahme der Christvesper von Chiara Margarita Cozzolani und eine Gesamtaufnahme der Motetten von Sulpitia Cesis. Die fünfte CD mit dem Titel „Soror mea, sponsa mea“, mit Canticum CanticorumVertonungen in den Klöstern, erscheint in den nächsten Monaten. Zum Programm: Unser Konzert widmet sich dem liturgischen Repertoire eines der berühmtesten MusikerinnenEnsembles im Italien der frühen Neuzeit: den Benediktinerinnen im Konvent der Heiligen Radegundis, gleich gegenüber dem Mailänder Dom gelegen. Santa Radegonda war eines von etwa 20 derartigen Nonnenklöstern in der Stadt. Gerade dieses Kloster genoss im 17. Jahrhundert großes Ansehen für seine Musikpflege und konnte sich mehrerer komponierender Nonnen rühmen. Doch ein Großteil der mehrstimmigen Musik, die hier erklang, wurde von einer einzigen dieser hochmusikalischen Schwestern komponiert: von Chiara Margarita Cozzolani. Zwischen 1640 und 1650 gab sie vier Druckveröffentlichungen mit geistlicher Musik heraus. Sie stammte aus einer angesehenen Mailänder Familie, legte 1620 ihr Gelübde ab und diente später mehrfach als Priorin oder Äbtissin. Ihre Nichten, gleichfalls Benediktinerinnen und Sängerinnen an Santa Radegonda, wirkten dort noch bis ins 18. Jahrhundert. Sowohl Reiseberichte und Stadtführer als auch zahlreiche kirchliche Aktendokumente bezeugen die Berühmtheit der Sängerinnen von Santa Radegonda. 1664 rühmte der aus Mailand stammende Bologneser Priester Sebastiano Locatelli die Benediktinerinnen als eines der besten Ensembles im gesamten katholischen Europa. An hohen Feiertagen öffneten sie ihre Aufführungen für Mailänder und auch für auswärtige Besucher. Im dicht gefüllten öffentlichen Teil des Kirchenraums, der chiesa exteriore , herrschte dann ein großes Gedränge. Mit der ersten Vesper zumWeihnachtstag am späten Nachmittag des Heiligen Abend haben wir uns hier für ein Fest besonderer Bedeutung entschieden, sowohl im Hinblick auf die spezielle Frömmigkeit der Nonnen als auch in Bezug auf das städtische Kirchenleben allgemein. Wir wissen auch, dass der Heilige Abend ein wichtiges Datum im spirituellen und liturgischen Leben der Nonnen war. Unser Programm hält sich streng an die Liturgie der Vesper in einem italienischen Benediktinerinnen-Kloster, wie sie in der von Papst Paul V. 1613 erlassenen neuen Form der Stundengebete reglementiert war. Die großangelegten achtstimmigen Psalmen und das Magnificat, wie auch die Motetten („O quam bonus“, „Quis audivit unquam tale“ und der Weihnachtsdialog „Gloria in altissimis Deo“), die als Ersatz für die Wiederholung der gregorianischen Antiphonen nach den Psalmen dienen, stammen aus der 1650 in Venedig erschienenen Sammlung mit achtstimmigen konzertierenden Psalmvertonungen ( Salmi a otto voci concertati ). Nur der Hymnus „Christe redemptor omnium“ ist einer früheren liturgischen Sammlung entnommen, denFalsi bordoni figurati , die der Mailänder Kapellmeister Orfeo Vecchi im Jahr 1600 veröffentlichte. Die Ausgabe ist drei Frauen gewidmet, von denen sich mindestens eine als Nonne nachweisen lässt. Der liturgische Ablauf orientiert sich einerseits am benediktinischen Brevier von 1613, andererseits an einer ergänzenden Anleitung dazu, den Rubriche generali del breviario monastico , die der Äbtissin von Santa Radegonda gewidmet ist. Die gregorianischen Gesänge enstammen einem gedruckten römischen Antiphonale jener Zeit mit denAbläufen der Vesper und anderer Stundengebete, dessen Titelblatt die Bestimmung für den klösterlichen Gebrauch hervorhob. Im Unterschied zum Mailänder Dom verwendete Santa Radegonda die römische, nicht die Ambrosianische Liturgie. Viele Texte sind vertraut, doch die benediktinische Liturgie hat zum Beispiel nur vier, nicht fünf Psalmen in der Vesper. Einige der Psalmen aus Cozzolanis Sammlung von 1650 könnten anlässlich eines bedeutsamen Ereignisses imVorjahr erklungen sein: am 25. Juni 1649 besuchte die fünfzehnjährige Königin Maria Anna von Österreich, frischvermählte Gattin des Mailändischen Regenten König Philipp IV. von Spanien, das Kloster Santa Radegonda. Ihr Besuch, mit einem großen Gefolge, zu dem auch ihr Bruder, der zukünftige Kaiser Leopold I. gehörte, war ein bedeutendes Ereignis im Mailand der Mitte des 17. Jahrhunderts. Über den Abschied ihres Bruders, der nach Wien zurückreiste, tröstete sich die Königin hinweg, indem sie dem Gesang der Nonnen zuhörte. Stilistisch steht die Musik Cozzolanis auf der Höhe ihrer Zeit. Auffälligstes Merkmal der Psalmvertonungen ist die konzertierende Schreibart in allen Stimmen. Die Abfolge präsentiert sich als ausgewogenes Gefüge aus Tutti-Abschnitten und ausgedehnten Solopassagen, Duetten und einzelnen bassetto -Teilen der drei oder vier hohen Stimmen. Mit seinen Sequenzen, klaren Binnenkadenzen und gelegentlichen Durchgangsdissonanzen ist Cozzolanis Stil typisch für die norditalienischen Psalmvertonungen jenes Jahrzehnts - die Klostermauern, durch die Santa Radegonda von der städtischen Welt, der ihre Mitglieder entstammten, geschieden war, bildeten offenbar keine Barriere für den musikalischen Stiltransfer. Zur Aufführungspraxis Cozzolanis achtstimmige Vesper stellt ein Problem, das für nahezu das gesamte für und von Nonnen geschriebene Repertoire typisch ist: sie enthält Stimmbücher für Bässe und Tenöre. Die in der Sammlung enthaltenen Psalmen sind für zwei traditionelle vierstimmige Chöre aus Sopran, Alt, Tenor und Bass geschlüsselt. Zweifellos war TAGEALTERMUSIKREGENSBURG Cappella Artemisia (Italien) MAI2004 Samstag, 29. Mai 2004, 22.45 Uhr (Nachtkonzert) Dominikanerkirche , Predigergasse Leitung: Candace Smith I Vespri Natalizi di Suor Chiara Margarita Cozzolani (1650) Christvespermusik aus einem Mailänder Nonnenkloster 22 Cappella Artemisia Foto: G. F. Murru
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