„Sindbad, der Seefahrer“ - ließ sich der Komponist im Sommer 1888 zu einer „Symphonischen Suite“ inspirieren, die sowohl Züge der „absoluten“ als auch der „programmatischen“ Musik in sich vereint. Äußerlich folgt das Werk dem Schema der klassischen, viersätzigen Symphonie (mit Scherzo an zweiter Stelle), deren Sätze zunächst die neutralen Überschriften Prelude, Ballade, Adagio und Finale tragen sollten. Auf den Ratschlag einiger Freunde gab ihnen Rimski-Korsakov jedoch programmatische Titel, die auf den Inhalt der Erzählungen verweisen (und auch heute noch gerne verwendet werden): „Das Meer und Sindbads Schiff - Die Erzählung des Prinzen Kalender - Der junge Prinz und die junge Prinzessin - Fest in Bagdad; das Meer; das Schiff zerschellt an dem Felsen mit dem ehernen Reiter; Epilog“. Um einer allzu konkreten Interpretation des Inhalts entgegenzuwirken, ersetzte er aber auch diese Angaben und stellte der Partitur letztlich nur eine kurze Einführung in die Rahmenhandlung voran: „Der Sultan Shahriar, überzeugt von der Falschheit und Untreue der Frauen, hatte geschworen, jede seiner Frauen nach der ersten Nacht töten zu lassen. Aber die Sultanin Scheherazade rettete ihr Leben, indem sie sein Interesse durch die Märchen fesselte, die sie ihm während 1001 Nacht erzählte. Voller Spannung schob der Sultan von Tag zu Tag die Vollstreckung des Todesurteils an seiner Frau auf, und endlich ließ er seinen grausamen Beschluss völlig fallen.“ Diese Rahmensituation wird gleich zu Beginn des Stücks vorgestellt: In einer langsamen Einleitung wird der Sultan durch ein mächtiges, unerbittliches Thema in tiefen Streichern und Bläsern charakterisiert. Dem steht eine verführerische Triolenfigur der Solovioline über Harfenakkorden gegenüber, die das Thema Scheherazades darstellt. Leicht abgewandelt taucht die Thematik der Sultanin auch in den übrigen Sätzen auf und verklammert so die aneinandergereihten Episoden in der Art einer Berliozschen Programmsymphonie. Im weiteren Verlauf des Satzes wird das SultanThema über wellenhaft bewegtem Untergrund zumHauptgedanken eines Sonatensatzes (Allegro non troppo), wogegen das Thema Scheherazades neben einigen Holzbläsermotiven die Funktion des Seitengedankens übernimmt. In nahezu permanenter Durchführung umspielen und verschlingen sich die Themen immer inniger: die Hauptfiguren sind einander schicksalhaft verfallen. Nach einer Einleitung Scheherazades präsentiert im zweiten Satz das Fagott ein burleskes Hauptthema (Andantino), das zunächst verschiedene Instrumentengruppen durchwandert und später variiert wird. Dazwischen erklingen signalartige Fanfaren in den Blechbläsern, prägnante Marschrhythmen und immer wieder wirbelnde Holzbläser-Improvisationen, die den rhapsodischen Charakter des Satzes hervorheben. Weitaus idyllischer ist der langsame dritte Satz, dessen schlichte Streichermelodie im wiegenden 6/8 Takt (Andantino quasi allegretto) von zart anschwellenden Holzbläserläufen abgerundet wird. Im Mittelteil wird das Thema in einen eleganten Tanz mit aparter rhythmischer Begleitung verwandelt (Pochissimo piu mosso), bevor es gegen Ende - von Scheherazade umspielt - seinen anmutigen Charakter wieder aufnimmt. Der vierte Satz hebt mit einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Sultan und Scheherazade an, die ihren Gatten jedoch mit einem orientalischen Fest abzulenken vermag (Vivo). Reminiszenzen an die vorhergehenden Sätze tauchen auf und unterstreichen die finale Wirkung. Auf dem dramatischen Höhepunkt wird das Hauptthema des Kopfsatzes eingeblendet (Allegro non troppo maestoso), der Schiffbruch durch chromatisches Heulen und Schlagzeugwirbel veranschaulicht. Im Epilog erscheinen die Themen des Sultans und Scheherazades letztlich versöhnt; Scheherazade behält das letzte Wort und lässt das Werk in friedvollem EDur enden. Russische Ostern Noch während der Arbeit an „Scheherazade“ komponierte Rimski-Korsakov ein weiteres Orchesterwerk, die Ouvertüre „Russische Ostern“ op. 36, in der er die russisch-orthodoxe Osterliturgie musikalisch nachzuzeichnen versuchte. Er stellte dem Werk entsprechende Zitate aus den Psalmen Davids und dem Markus-Evangelium voran und griff bei der Komposition auf originale russische Kirchenlieder zurück. In einer effektvoll inszenierten Steigerungsdramaturgie brachte er so eine zugleich christlich und heidnisch empfundene Ekstase zumAusdruck, „diese legendären und heidnischen Züge des Festes, diesen Stimmungsumschlag vom düster-geheimnisvollen Karfreitag in die ungebändigte heidnischreligiöse Fröhlichkeit des Ostermorgens“. („Chronik meines musikalischen Lebens“) Beide Werke fanden schon zu Lebzeiten des Komponisten großen Anklang und festigten durch ihre originelle Instrumentation seinen Ruf als brillianter Orchestertechniker der Epoche. Eine Steppenskizze aus Mittelasien Anlass für die Komposition Borodins war die 25-Jahr-Feier der Thronbesteigung Alexanders II. im Jahr 1880. Dieser Zar hatte Turkestan annektiert und dem Russischen Reich einverleibt. Dem Stück gab Alexander Borodin das folgende Programm bei: „Durch die Stille der sandigen Steppen Mittelasiens klingen die Töne eines friedlichen russischen Liedes. Aus der Ferne hört man auch Klänge einer schwermütigen orientalischen Weise und das Getrampel von Pferden und Kamelen. Eine Karawane nähert sich. Unter dem sicheren Geleitschutz der russischen Wachen verfolgt sie ruhig ihren Weg durch die unendliche Wüste. Weiter und weiter entfernt sie sich. Das Lied der Russen und die Weise der Asiaten verbinden sich zu einer gemeinsamen Harmonie, deren Widerhall sich allmählich in TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2004 31 Foto: Dirk Vervaet
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