Das 18. und letzte Werk der Kunst der Fuge, eine unvollendete Fuge mit mehreren Themen, ist seit Bachs Tod bis in unsere Zeit immer wieder Gegenstand intensiver Diskussionen und Spekulationen. Tatsache ist, dass das Stück unvollendet unter dem irreführenden Titel Fuga a 3 Soggetti in den 1751 veröffentlichten Erstdruck des Werks aufgenommen wurde. Da das Kompositionsmanuskript unvermittelt nach 239 Takten abbricht, lag die Vermutung nahe, der Tod habe die Weiterarbeit Bachs abrupt verhindert. Hinzu kommt, dass das dritte und vorerst letzte vorgestellte Thema der Fuge die Notenfolge B-A-C-H aufweist, also wie geschaffen für den Mythos des persönlichen Vermächtnisses eines Komponisten erscheint. Schließlich notierte Carl Philipp Emanuel Bach im Druck an der betreffenden Stelle noch den Satz: „Über dieser Fuge, wo der Nahme BACH im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfaßer gestorben.“ Papieranalysen datieren die Handschrift jedoch auf etwa 1748, also zwei Jahre vor Bachs Tod. Ferner ist zu beachten, dass Bach das mächtige Schlusswerk offenbar von Anfang an als Quadrupelfuge, also Fuge mit vier Themen, konzipiert hat. Dies schließt ein, dass die kombinierte Durchführung aller vier Themen bereits fixiert gewesen sein muss. Demnach – so die These des Bachforschers Christoph Wolff – wäre die Schlussfuge der Kunst der Fuge zu Bachs Tod nicht so unvollständig gewesen, wie sie dann überliefert wurde. Ob Bachs Weiterführung der Fuge verloren ging, verkannt wurde oder mutwillig vernichtet wurde, um einen Torso zu hinterlassen, wird auch in Zukunft ein Rätsel bleiben. Die Neue Bach-Ausgabe betitelt das Werk daher vorsichtig als „Fragment einer mehrthemigen Fuge“. Sowohl in der Erstfassung von 1742 als auch im Druck von 1751 finden sich keine Hinweise zur gewünschten Besetzung der einzelnen Stimmen. Dies lässt die Vermutung zu, das gesamte Werk sei nur für kontrapunktische Studien und nicht für die praktische Ausführung vorgesehen gewesen. Andererseits sind dem Interpreten durch die fehlenden Besetzungsangaben alle Freiheiten überlassen, die kontrapunktischen Strukturen adäquat musikalisch umzusetzen. Trotz ihres enormen künstlerischen Gehalts wurden die Erstveröffentlichung der Kunst der Fuge 1751 und die Zweitauflage ein Jahr darauf lediglich von einigen Spezialisten beachtet. Dazu zählte ohne Zweifel der Hamburger Musiktheoretiker, Sänger und Komponist Johann Mattheson, der das Werk 1752 geradezu emphatisch besprach: „Joh. Sebast. Bachs so genannte Kunst der Fuge, ein praktisches und prächtiges Werk von 70 Kupfern in Folio, wird alle französische und welsche Fugenmacher dereinst in Erstaunen setzen; dafern sie es nur recht einsehen und wohl verstehen, will nicht sagen, TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 20 Erstausgabe der Kunst der Fuge (Leipzig, 1751) Verleihung des Kulturpreises der Stadt Regensburg 2009 an die TAGE ALTER MUSIK REGENSBURG Sehr geehrter Herr Hartmann, sehr geehrter Herr Schmid, amAnfang war eine geradezu verwegen anmutende Idee und jede Menge Idealismus, amAnfang waren es fünf Konzerte, dann wurden es acht in drei Tagen und dann 14 in vier Tagen, am Anfang waren es die Freaks der Alten Musik, die zu den „Tagen der Alten Musik” fanden, inzwischen sind die „Tage Alter Musik“ ein nicht wegzudenkender Höhepunkt im kulturellen Leben der Stadt Regensburg, kein Stuhl, keine Kirchenbank bleibt leer. Das ist vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass sich die sogenannte „Alte Musik“ ja in Wirklichkeit auf keine Epoche beschränkt und alle Epochen vomMittelalter bis zur Romantik erfasst. Das Festival hat Meilensteine in der Karriere vieler Ensembles gesetzt und jeder, der mit historischer Aufführungspraxis zu tun hat, möchte einmal hierher kommen. Zahlreiche Meinungen von Musikern und Kritikern belegen die führende Position der „Tage Alter Musik“ im weltweiten Festivalpanorama. Genauso wie beim Jazz-Weekend gilt es einfach: Man will mit dabei sein in Regensburg! Das weltweit führende Fachmagazin „Goldberg“ bezeichnete die „Tage Alter Musik“ unlängst „als eines der weltweit renommiertesten und traditionsreichsten Festivals“ für die „Alte Musik“. Dies ist um so höher zu bewerten, als in der Reihe der Festivals solche genannt sind, die über millionenschwere Etats verfügen. Wer steht nun hinter diesem Festival? Seit 1984 sind Herr Ludwig Hartmann und Herr Stephan Schmid die treibenden Kräfte und der Motor dieses Festivals. Regensburg ist nun schon seit Jahrzehnten am Pfingstwochenende, auch das ist absolute Tradition, „das Mekka zahlreicher Musikliebhaber aus aller Welt“. Die Liebe zur Musik ist wie bei vielen anderen bei den Regensburger Domspatzen entstanden. Seit Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger Jahre kamen die Domspatzen mit der historischen Aufführungspraxis in Berührung und konnten vor allem durch hervorragende Schallplatteneinspielungen international beachtete Erfolge erzielen. Diese Art des Musizierens hat die Herren Schmid und Hartmann wohl nie mehr losgelassen. Die „Tage Alter Musik“ in Regensburg bedeuten sehr oft die vollkommene Einheit von Klang und Raum, die Begegnung mit bekannten, in ganz Europa gefeierten Ensembles ebenso wie die Entdeckung völlig unbekannter Musiker und Originalklangkörper. Den beiden Menschen, die all diese kostbaren musikalischen Momente jedes Jahr von neuem möglich machen, die mit bewundernswertem Idealismus und einer ebensolchen Kompetenz Regensburg alljährlich am Pfingstwochenende zu einem Zentrum der „Alten Musik“ machen und hoffentlich noch ein weiteres Vierteljahrhundert machen werden, gilt unser Dank und unsere Anerkennung. Dass der Bayerische Rundfunk Ludwig Hartmann und Stephan Schmid auf deren Entdeckungsreisen durch eine faszinierend vielseitige musikalische Welt mit vielen Mitschnitten und LiveÜbertragungen begleitet hat, ist mehr als eine Erwähnung wert. Die Stadt Regensburg war sich schon früh der Bedeutung der „Tage Alter Musik“ bewusst und verlieh „Pro Musica Antiqua” bereits 2000 den Kulturförderpreis der Stadt Regensburg. Ich freue mich sehr, den Impulsgebern solch zauberhafter musikalischer Momente heute den Kulturpreis der Stadt Regensburg 2009 verleihen zu dürfen. Ich gratuliere Ihnen im Namen der Stadt von ganzem Herzen zu dieser Auszeichnung. Hans Schaidinger, Oberbürgermeister der Stadt Regensburg Preisverleihung am 14.11.2009 im Reichssaal Foto: P. Ferstl
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