Das EnsembleGraindelavoix gehört gegenwärtig zu den interessantesten und innovativsten Ensembles für Musik des Mittelalters und der Renaissance. Seine Konzerte und CDVeröffentlichungen stellen gewohnte Interpretations- und Hörgewohnheiten in Frage. Überbordende Verzierungen oder eine regelrechte Orchestrierung durch ausgesprochen individuelle vokale Timbres, ein kultiviert raues und dunkles Klangbild beruhen auf der intensiven Quellenforschung des EnsembleleitersBjörn Schmelzer . Der Name des Ensembles ist einem Essay von Roland Barthes entnommen („le grain, c’est le corps dans la voix qui chante, dans la main qui écrit, dans le membre qui exécute...“), in dem Barthes nach dem suchte, was das Wesentliche einer Stimme darstellt. War es bis jetzt eher die Regel, Vokalmusik der Renaissance in möglichst großer „Reinheit“, am liebsten „engelsgleich“ aufgeführt zu bekommen, so vermengt Björn Schmelzer bewusst die Klangfarben nach Art der Renaissance-Meister in der Malerei. Dies erreicht er nicht nur durch die Mischung von Frauen- und Männerstimmen, sondern auch durch das Nebeneinander von unterschiedlich ausgebildeten Stimmen, was einen ganz neuen Interpretationsansatz bedeutet. Dieses Nebeneinander verschiedener Traditionen, bei dem jeder Sänger mit seinem Timbre gleichberechtigt ist, mutet zunächst ganz ungewohnt an, fasziniert aber durch die hymnische Kraft des Gesangs, der kultiviert und wild zugleich ist. Das komponierte musikalische Pathos bekommt so eine berührende Intensität. Und es vereint zugleich die Traditionen der nordeuropäischen sakralen Gesangskultur mit der Volksmusik der Mittelmeerländer, wie sie heute zum Beispiel noch auf Korsika oder Sardinien zu hören ist. Graindelavoix hat mittlerweile vier CDs beim Label Glossa veröffentlicht: Kompositionen von Johannes Ockeghem (Caput) und Gilles Binchois (Joye) sowie Musik des 13. Jahrhunderts aus dem Herzogtum Brabant (Poissance d’amours). Für die jüngste Einspielung „La Magdalene“, ebenfalls beim Label Glossa erschienen, erhielt Graindelavoix im März 2010 den bedeutendsten belgischen Schallplattenpreis für klassische Musik, den Caeciliaprijs. Zum Programm Der Marienkult umMaria Magdalena im frühen 16. Jahrhundert steht im Mittelpunkt des Nachtkonzerts vonGraindelavoix in der Dominikanerkirche. Der Musikwissenschaftler, EnsembleLeiter und Tenor Björn Schmelzer versucht bei seinen vielfältigen Projekten immer einen Zusammenhang herzustellen zwischen der Musik und der Religion sowie der Kunst der Zeit. Dieser geistes- und kulturgeschichtliche Ansatz, der eine intensive Quellenforschung voraussetzt, führt hier zu einem der zentralen Themen zu Anfang des 16. Jahrhunderts vor der Reformation. Der französische Humanist Jacques Lefèvre d’Etaples hatte in seiner Abhandlung „De Maria Magdalena“ eine provokante These aufgestellt, die zwar nicht ganz neu, aber in ihrer Auswirkung weitreichend war. Lefèvre behauptete, dass sich die Figur der Maria eigentlich aus drei verschiedenen Frauen zusammensetze, die alle in den Evangelien erwähnt werden, aber erst später zu einer einzigen Gestalt vereint wurden: die namenlose Prostituierte, die Christi Füße im TAGEALTERMUSIKREGENSBURG Graindelavoix (Belgien) MAI2010 Samstag, 22. Mai 2010, 22.45 Uhr (Nachtkonzert) Dominikanerkirche , Predigergasse 22 Graindelavoix Foto: Koen Broos La Magdalene - Der Marienkult im frühen 16. Jahrhundert Nicolas Champion: Missa de Sancta Maria Magdalena Leitung: Björn Schmelzer
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