TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 31 Gegnerschaft zwischen Mann und Frau überwindet, dar: „Die neue Bewertung des weiblichen Prinzips verlangt, dass der Natur auch die längst fällige Verehrung zuteil wird, nachdem der Standpunkt des dominierenden Intellekts im Zeitalter der Wissenschaft und Technologie dazu führte, dass sie immer mehr benutzt bzw. ausgebeutet, statt verehrt wurde. Gegensätze zu vereinen, ist eine wesentliche Aufgabe der gegenwärtigen Psychotherapie.” Analog hierzu die Entwicklung, die die GruppeAnima durchlief: Auf der Suche nach Lockerung der Fesseln des von Logik und Vernunft bestimmten musikalischen Diskurses bewegte sie sich zumRand der musikalischen Gepflogenheiten. Emma Jung betont, dass „ die ‘anima’, also das Weibliche im Mann, genau diese Aufnahmebereitschaft und weniger Vorurteile hinsichtlich des Irrationalen hat. Aus diesem Grund ist sie als Botschafter zwischen dem Unbewussten und dem Bewussten geeignet.” Und zuletzt: „Die Gabe des Sehens und die Kunst desWahrsagen werden vor allemFrauen zugeschrieben, die, was das Unterbewusstsein betrifft, generell offener sind als Männer.“ Wir beginnen somit den ersten Teil des musikalischen Skriptums ‘Warrior Maiden’ nach dem Prinzip der Vorahnung und des Jungfrauenkults. In der Musik der Kaxinawá-Indianer, welche von Visionen erzählt und wie man diese mittels Waldkräutern erzeugt, hebt sich der rhythmisch zitierte und durch den Klang der Keramikvasen-Perkussion (Pallas Athene hat den Frauen Töpfern beigebracht) imitierte Gesang vom ständigen Klang der einheimischen Flöte ab. Der durch das Blasen erzeugte Klang bringt den Bambus zum Vibrieren und erweckt die Flöte zum Leben. Es ist eine Allegorie des Chronos, des Ablaufs der Zeit, im amorphen Material des Klangs, dem Lebensatem. Als ob sie dieser Fülle von Visionen, die durch halluzinogene Tees hervorgerufen wurden, befehlen möchte, springt die als Sybille des Rheins bekannte Nonne Hildegard von Bingen hervor – mit einer Wendung der Konturen, die durch den Wechselgesang zur Ehre der Jungfrau klar skizziert werden. Es ist eines der zentralen Themen des ersten Abschnitts des Skriptums: Nicht die durch die Kirche heiliggesprochene, offizielle Jungfrau erscheint, sondern die, die die Große Mutter darstellt und die Verbindung der Jungfrau mit der Quelle und dem Wasser des Lebens betont. Emma Jung zitiert dazu eine wichtige historische Tatsache, welche die Einverleibung der heidnischen Rituale in das Christentum beweist: „Laut eines Dekrets des Konzils von Avignon im Jahre 442 wurden der Kult um Bäume, Felsen und Quellen wie auch das Entzünden des Feuers in ihrer Nähe als heidnischer Brauch verboten. Stattdessen, werden in katholischen Ländern noch an vielen Orten Bildnisse der Jungfrau, geschmückt mit Blumen und Kerzen, zu Quellen gebracht – als christlicher Ausdruck eines Urgefühls, das noch immer da ist. Einer der vielen Namen, unter denen Maria bekannt ist, ist das Wort ‘Quelle’“. Der Sprechgesang der Caixeiras do Divino, der das Skriptum fortsetzt, enthält starke Spuren dieser Mischung. Der erste Teil endet mit der Überlagerung des von Bischof Anchieta ins Tupi übertragenen Ave-Maria-Gebets durch Ausschnitte eines Ave Maria von Hildegard von Bingen – in einer Interpretation, die die vom schriftlichen Fragment losgelöste Improvisation ausschöpft. Die Congada, ein dramatischer brasilianischer Volkstanz, leitet das Kriegsthema ein, das sich in mehreren Formen entwickelt – vom unterschwelligen „Krieg der Worte“ (ñaumu), der in die instrumentalen Darstellungen der Schlacht übergeht (estampie belicha) und auf die historischen kriegerischen Jungfrauen (Königin Ginga) hinweist, bis zur Aufdeckung der Identität der Kriegerin. „Dom Joãos Augen sind die einer Frau, nicht die eines Mannes“ spielt in der Romanze der “Donzela que vai para a guerra” (die Jungfrau, die in den Krieg zieht) darauf an. DieserAbschnitt endet mit denWorten Ronaldos, als er den leblosen Körper Diadorims sieht, und zeigt den inneren Kampf, verursacht durch die zu späte Enthüllung einer unmöglichen Liebe, was immerhin zu Selbsterkenntnis, charakterisiert durch das Verfolgen der eigenen Möglichkeiten, führt. Mandad’ei Comigo beendet unser Skriptum in Formeiner Coda. Gezeigt wird der innere Kampf der Jungfrau, bei demdie Bürde der Treue zumGeliebten, der nicht zurückkommt, und die Befreiung von ehelichen Pflichten ihre ambivalente Rolle zwischen Freiheit und dem Schicksal einer zur Ehe bestimmten Frau beleuchten: ein Schicksal, das diewarrior maidensdurchbrechen konnten, indem sie sich weigerten, den von einer patriarchalischen Gesellschaft auferlegten Rollen zu folgen. Die Kühnheit der Kriegerin bewundernd wagen auch wir, in vielen verschiedenen musikalischen Richtungen zu arbeiten. Sie umfassen unterschiedliche musikalische Erfahrungen und verschiedenste Musizierformen, von schriftlichen Arrangements bis zu Improvisation und kollektiver Kreation. Die Bewegung zwischen alter europäischer Musik, afro-brasilianischer Musik und indigener Musik war nur Dank der Zusammenarbeit aller sieben Musiker, die an diesem Projekt teilnahmen, möglich. Proben und Diskussionen über 18 Monate hinweg brachten dem Ensemble tiefgehende musikalische Erfahrungen und förderten die Früchte seiner Forschung zutage. Anima steht hier für den Wunsch nach etwas Neuem, ist der Prozess, der einen Impuls oder eine Intuition auslöst; das Zusammentreffen mitAnimus , d.h. dem Bekannten, der Logik, dem sicheren Hafen, ist die Synthese genau des Prozesses, der dieses Projekt durchdrang. © Luiz Fiaminghi PROGRAMM Teil I: Die mythische Zeit (Anima) VISÃO (Vision) – Fragmente eines Liane-Liedes, Kaxinauá-Stamm aus dem Staat Acre O FRONDENS VIRGA (Kleines Morgengrauen) – Hildegard von Bingen (1098 - 1179), Antiphon ausSymphonia harmoniae caelestium revelationum ALVORADINHA – Die Trommler des Heiligen Geistes aus dem Staat Maranhão (brasilianische mündl. Überlieferung). Fragmente der von den Trommlern der Menezes-Familie im Jahr 2002 aufgeführten Version -Anunciação deMaria (Dindinha), Maria José (Zezé), Maria da Graça eBartiraMenezes -aus demFanti-Ashanti-Haus,SãoLuís, StaatMaranhão.SammlungPauloDias ROSA DAS ROSAS – Alfons X. El sabio (1221-1284) (arrangiert von Luiz Fiaminghi) NOSSA SENHORADAGUIA – Die Trommler des Heiligen Geistes aus dem Staat Maranhão (brasilianische mündliche Überlieferung). Fragmente der von den Trommlern der Menezes-Familie im Jahre 2002 aufgeführten Version - Anunciação de Maria (Dindinha), Maria José (Zezé), Maria da Graça e Bartira Menezes – aus dem Fanti-Ashanti-Haus, São Luís, Staat Maranhão. Sammlung Paulo Dias AVE MARIA – TUPÃ CY – Gregorianischer Choral / Improvisation über das Ave Maria in Tupi-Sprache / Fragmente und Improvisation über Hildegard von Bingen (1098-1179), Ave Maria ResponsoriumausSymphonia harmoniae caelestium revelationum Teil II: Blut düngt die Erde (Animus) CORRA SANGUE PELA TERRA (Blut fließt auf die Erde) – Congada von São Sebastião (brasilianische mündliche Überlieferung). Fragmente der Versrede nach einer im Jahre 2001 von Paulo do Nascimento (Prince) aufgeführten Version von Buiú (Sekretär) and Josué Fortunato (König des Kongo). Kulturvereinigung vonCongadeirosdes São FranciscoDistrikts, São Sebastião, Staat São Paulo ROMANCEDADONZELAGUERREIRA (Romanze der junge Kämpferin), 1. Teil – Romance (brasilianische mündliche Überlieferung). Nach der von Elizabete Ferreira Barbosa, Tia Beta , aufgeführten Version, gesammelt von Roberto Benjamin, Bráulio do Nascimento und Altimar Pimentel, Cabedelo, Staat Paraíba ARVOREDOS – Coco (mündliche Überlieferung). Nach der von Chico Antônio aufgeführten Version, gesammelt von Mário de Andrade im Jahre 1928, Staat Rio Grande do Norte LAI – Gautier de Coinci (1177-1236); FOGO (Feuer) – Congosaus Rio Grande do Norte (mündliche Überlieferung). Nach der Version, die im Jahre 1999 aufgeführt wurde von Sérvulo Teixeira, Führer derCongosvon São Gonçalo do Amarante, Staat Rio Grande do Norte ÑAUMU – Fragmente und Improvisation eines Textes des Yanomami-Stamms, Staat Roraima ESTAMPIE BELICHA – Anonym 14. Jh., LBM add. 29987 ABOIODE ARRIBADA – Aboio (mündl. Überlieferung). Nach einer Version aufgeführt von Sebastião Crisóstomo im Jahre 1978, aus der Sammlung von Marlui Miranda, Staat Rondônia CALANGUINHO – José Eduardo Gramani (1944 - 1998) MANDADO DE RAINHA GINGA (Die Bestimmung der Königin Ginga) – Congos aus Rio Grande do Norte (mündliche Überlieferung). Nach der Version, die im Jahre 1999 aufgeführt wurde von Sérvulo Teixeira, Führer derCongos aus São Gonçalo do Amarante, Staat Rio Grande do Norte, Sammlung Paulo Dias RAINHA GINGA (Königin Ginga) – Congos aus Rio Grande do Norte (mündl. Überlieferung). Nach einer Version, die im Jahre 1999 aufgeführt wurde von Sérvulo Teixeira, Führer derCongosaus São Gonçalo doAmarante, Staat Rio Grande doNorte, Sammlung Paulo Dias Teil III: Die Offenbarung und die Begegnung (Animus und Anima) LA GUERRIERA – Auszüge aus ballata (italienische mündliche Überlieferung). Version von Armanda Animobono Mancini, aufgenommen in Jesi, 20. November 1986. Erstmals veröffentlicht in Italien von Constantino Nigra im Jahre 1854. Auszüge aus der CDSilenzio, Canta La Macina ! – La Macina canta trent´anni della sua storia: 1968-1998 DONZELA QUE VAI PARA A GUERRA (Romanze der junge Kämpferin), 2. Teil – Auszüge aus dem zweiten Teil der Romanze (mündliche Überlieferung) gesammelt von Rossini Tavares de Lima, 1953, Staat Bahia EREMONA – Fragmente eines Bep-Ritualliedes des Mebengokrê-Stamms, Staat Pará MANDAD´EI COMIGO / PARDEUS / MEUDEUS – Martin Codax, 13. Jahrhundert AUSFÜHRENDE ANIMA Gisela Nogueira Viola de Arame Luiz Fiaminghi brasilianische Fideln Marlui Miranda Gesang, brasilianische Instrumente Marília Vargas Sopran Paulo Dias Perkussion Silvia Ricardino Troubadourharfe Valeria Bittar Blockflöten, brasilianische Flöten (Yãnkwá) Maria Thais Bühnenregie Márcio Medina Kostüme und Bühnenbild
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