ler Verwalter der königlichen Instrumentensammlung, Leiter des weltlichen Musikbetriebes des königlichen Haushalts und schließlich Kammerherr des Königs. Seine Musik, besonders seine Chansons, blieben in Europa bis lange nach seinem Tod im Jahre 1553 populär. Er war auch einer der sehr wenigen frühen Tudor-Komponisten, deren Arbeit auf dem europäischen Festland veröffentlicht wurde. Aus einer 1572 gedruckten Pariser Sammlung haben wir drei fünfstimmige Chansons ausgewählt, die besonders gut auf Blockflöten spielbar sind: De vous servir , Pour un plaisir undPour vous aymer . Im Laufe des zweiten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts entwickelte Heinrich VIII. allmählich einen neuen musikalischen Geschmack, der für das Musikleben des englischen Hofes bis zum Ende des Jahrhunderts bestimmend sein sollte. Der Monarch kam 1520 während der diplomatischen Begegnung mit dem französischen König François I. auf dem »Feld des Güldenen Tuches« mit italienischen Ensemblemusikern und ihrem neuen Tanzmusikrepertoire in Kontakt, welches zu jener Zeit das gesamte europäische Festland im Sturm eroberte. Dies muss das Interesse Heinrichs VIII. an der italienischen Musik angeregt haben, denn in den folgenden Jahrzehnten wurde eine wachsende Anzahl italienischer Musiker an den englischen Hof eingeladen. Leider ist uns heute fast nichts von dieser italienischen Tanzmusik für Ensemble aus den Jahren um 1520 überliefert. Die frühesten erhaltenen Werke sind in zwei Sammlungen von Pierre Attaingnant 1530 in Paris veröffentlicht: Six gaillardes... undNeuf basses dances... Zwei spätere Manuskriptsammlungen jedoch, D-MbsMus.ms.1503h und GB-Lbl Royal Appendix MSS 59-62, enthalten ein Repertoire des mehr oder weniger gleichen Zeitraums. Bei diesem Teil des Programms entschieden wir uns für die Pavana El Bison , die sowohl in Attaingnants Neuf basses dances... als auch inD-MbsMus.ms.1503h enthalten ist; dieGagliarda La traditora , die in D-MbsMus.ms.1503h undGB-LblRoyal Appendix MSS 59-62 überliefert ist und letztlich einePavenneund eineGaillardeaus AttaingnantsNeuf basses dances... Wir können annehmen, dass diese Art von Musik recht genau dem Repertoire entspricht, welches das von Heinrich VIII. gerade neu engagierte italienische Bläserensemble während der 20er und 30er Jahre des 16. Jahrhunderts spielte. Mit der Ankunft der fünf Bassano-Brüder im Jahre 1540 war somit ein neues Repertoire von modernen Stücken, die zu jener Zeit in deren Heimatstadt Venedig in Mode waren, am englischen Hof aufgetaucht. Dazu gehörten einige der gerade zuvor herausgebrachten Motetten Nicolas Gomberts, Madrigale wieDonna, se fera stella von Philippe Verdelot, Se’l foco in cui sempr’ardo von Jacques Arcadelt und Chansons von Adriaan Willaert wie Jouissance vous donneray . Letzterer stand bis zu seinem Tod 1562 unbestritten im Mittelpunkt des venezianischen Musiklebens, und besonders seine Chansons erfreuten sich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts bei italienischen Instrumentalisten großer Beliebtheit. Als 1550 das Blockflötenensemble des Hofes durch ein sechstes Mitglied der Bassano-Familie vervollständigt wurde – ein Sextett wurde zu dieser Zeit als angemessenes musikalisches Attribut oder Symbol nur der höchsten Prinzen und Herrscher angesehen – konnten sich dieRoyal Recorders nunmehr der Fülle des sechsstimmigen Repertoires widmen, das aus den venezianischen Druckerpressen strömte. Für diesen Abschnitt des Programms fiel unsere Wahl auf ein weiteres Chanson von Willaert: A la fontaine , zum ersten Mal 1545 in einem Antwerpener Druck erschienen, ein Werk, das auch inCanzon di diversi per sonar (Venedig, 1588) enthalten war, einer gedruckten Sammlung ausschließlich mit Instrumentalwerken. Dem folgen die MadrigaleAmor io moroundValor preggi’et honorvon Vincenzo Ruffo, einem Schüler Willaerts, da dieser Komponist der zweitemaestro di musica – nach Jean Nasco, ebenfalls ein Schüler Willaerts – derAccademia filarmonica in Verona war, einer Vereinigung von Amateuren besonders hohen musikalischen Niveaus, die neben ihren anderen musikalischen Tätigkeiten Madrigale auf (großen) Blockflöten zur Aufführung brachten. In Venedig sorgten Orlandus Lassus’ Motetten in den frühen 60er Jahren des 16. Jahrhunderts für großes Aufsehen. Die Möglichkeit, diese Werke auf Instrumenten zu spielen, wurde häufig auf den Titelseiten der Sammlungen erwähnt, und demnach fanden erwartungsgemäß viele LassusMotetten schließlich ihren Weg in die Manuskripte, die das Repertoire der Instrumentalensembles enthielten (wie z.B. denLerma Codexoder dasFitzwilliam Wind Manuscript ). In Übereinstimmung mit dieser historischen Praxis suchten wir eine Lassus-Motette aus, die sich durch ihre reiche Vielfalt in der musikalischen Struktur besonders gut für die Ausführung auf Instrumenten zu eignen scheint: das großartige und ausgesprochen langeLauda Jerusalem , das 1565 in Venedig veröffentlicht wurde. Von William Byrd, einem der unbestrittenen Patriarchen der englischen Musik, stammt eine fünfstimmigeFantasiaund eine sechsstimmigePavan & Galliard . In diesem Programm stellt die Fantasia einen besondern Fall dar: In ihrer grundlegenden Struktur als vierstimmiger Satz in den Standard-Umfängen von Sopran / Alt / Tenor / Bass konzipiert, fügte Byrd im Register über dem Sopran einen in die Oberquart transponierten Kanon als Oberstimme hinzu. Wie im Falle desHenry VIII’s Manuscript zu Beginn des 16. Jahrhunderts stellen insbesondere die ersten beiden Abschnitte des Fitzwilliam Wind Manuscript ( GB-CfmMu 734) eine der wenigen Quellen dar, die mit dem weltlichen Musikleben am englischen Hof im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts in direkten Zusammenhang gebracht werden können (der dritte Abschnitt des Manuskripts enthält spätere Musik). Im Gegensatz zum Henry VIII’s Manuscript aber, das auch Stücke mit Text enthält, repräsentiert das Fitzwilliam Wind Manuscript ausschließlich das Repertoire (oder einen Teil davon) der Instrumentalisten am Hof. Der erste Abschnitt enthält 28 Vokalwerke (23 Madrigale, drei Motetten und zwei Chansons) sowie eine instrumentale Fantasie – allesamt sechsstimmig und ohne Text – die zwischen 1567 und 1592 von italienischen Komponisten geschrieben worden sind. Die Ausnahmen sind ein Madrigal von 1546 und eine Motette von 1564, welche von den flämischen Komponisten Jacquet de Berchem bzw. Orlando di Lasso stammen und möglicherweise bereits zum Repertoire der Hofinstrumentalisten gehörten. Eines der Stimmbücher fehlt, aber beinahe jedes Stück ist auch in anderen Manuskripten bzw. Drucken zu finden. Obgleich viele Elemente in der Musik darauf hinweisen, dass das Fitzwilliam Wind Manuscript hauptsächlich das Repertoire der cornets and sackbuts bildete, sind einige der Stücke problemlos auf Blockflöten spielbar und könnten folglich zum Repertoire der Blockflöten gehört haben. Wir haben daraus vier Werke übernommen, zwei davon stammen von Alfonso Ferrabosco (i.), einem Komponisten aus Bologna, der zwischen 1562 und 1578 am Hof von Elisabeth I. aktiv war: Decantabat populus Israelund Interdette speranze . Der Titel des ersten Werkes kann im Kontext dieses Programms als eine Anspielung auf die jüdischen Wurzeln der Bassano-Familie gesehen werden. Viel mehr als nur eine Anspielung jedoch ist Giovanni Ferrettis luftig-leichte Kanzone Un pastor , die im Grunde nichts anderes ist als ein sechsstimmiger Satz des berühmten, ursprünglich vierstimmigen Chansons Ung gay bergier des Komponisten Thomas Crecquillon, der Mitte des 16. Jahrhunderts lebte. Ferrettis Pastorale, zusammen mitNel più fiorito Aprilevon Luca Marenzio, veranschaulichen deutlich, wie die italienische Canzone sich in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts aus dem alten französischen (und teilweise auch flämischen) Chanson entwickelt hat. TAGEALTERMUSIKREGENSBURG JUNI2011 14 Impression vom letztjährigen Festival: Die Capella de la Torre auf dem Haidplatz Foto: Hanno Meier
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