TAGE ALTER MuSIK REGEnSBuRG Konzert 16 Fällen durch weitere Stücke erweitert wird, ist Sinfonia – Alemanda – Corrente – Ballo – Sarabanda. Im Vergleich zu Rosenmüllers eher traditionsverpflichteter Tanzsammlung von 1645 zeigt sich hier der Einfluss neuer Trends und insbesondere die Anpassung an die Gepflogenheiten der Musiksphäre Venedigs, in der sich Rosenmüller bewegte, nachdem er 1655 seinen bisherigen Wirkungsort Leipzig – trotz guter Aussichten auf das Amt des Thomaskantors – nach Anschuldigungen wegen schweren Fehlverhaltens hatte verlassen müssen. Mit den Sonate da camera bediente Rosenmüller eine Spielart der italienischen Ensemblesonate, die in flexibler Weise aus Tanzsätzen oder wenigstens tanzaffinen Stücken zusammengesetzt wurde, wobei die „Sinfonia“ wohlgemerkt nichts mit der heute allseits bekannten, seit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts kultivierten Kompositionsform zu tun hat, sondern schlichtweg ein frei gestaltetes Instrumentalstück ohne Tanzcharakter darstellt. Langsame und schnelle Abschnitte wechseln hier einander mehrmals ab und ergeben ein Spiel mit Satzkontrasten, das von einer Folge von kleiner dimensionierten Tänzen beantwortet wird. In diesen findet sich von den altgedienten Pavanen und Galliarden keine Spur mehr, den aktuellen Geschmack definieren jetzt andere Tanztypen. Stets angeführt von einer Allemande, bedienen sie einen betont homophonen Satz und halten sich an die für Tänze generell übliche Gliederung in zwei Satzteile mit jeweiliger Wiederholung. In drei dieser Sonaten ist in die Tanzreihe noch eine „Intrata“ eingeschoben – womöglich als bewusster Fingerzeig, war die Intrata (oder Intrada) doch ein gerade immitteldeutschen Raum reichlich gepflegtes Instrumentalstück –, so auch in der C-Dur-Sonate des Konzertprogramms: Diese Intrada nimmt noch einmal eine ausgedehntere Form an, zeigt sich in lockerer Kontrapunktik mit satztechnisch etwas höherem Anspruch und teilt die Sonate als gewissermaßen nachgeschobene Einleitung in zwei Teile, bevor sich noch eine Allemanda und zwei Correnten anschließen. Alles in allem lassen diese Sonaten leicht erkennen, weshalb Rosenmüller musikgeschichtlich mit dem Transfer italienischer Stilistik in die Musik des deutschsprachigen Raums verbunden wird, insbesondere im Bereich der Instrumentalmusik. Tatsächlich hatte er während der Jahre in Italien weiterhin Kontakt zu deutschen Potentaten gepflegt – die Sonate da camera waren Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg gewidmet – und kehrte 1682 als Hofkapellmeister in Wolfenbüttel in deutsche Lande zurück, wo er nur zwei Jahre später starb. Ist in Rosenmüllers Sonate da camera die Suite-Einteilung glasklar, legte esaias reusner (1636–1679) seine 1673 gedruckte Musicalische Gesellschaffts-Ergetzung formal offener an, wenn er einerseits zehn jeweils sechssätzige Abfolgen einer stets gleichbleibenden Auswahl von Tanztypen der gleichen Tonart zusammenstellte, diese aber trotzdem egalisierend von 1 bis 60 durchnummerierte. Jede Tanzfolge wird von einer „Sonata“ eröffnet (in der Bedeutung hier der „Sinfonia“ bei Rosenmüller vergleichbar) und reiht dannAllemande, Courante, Sarabande, Gavotte und Gigue aneinander, so wie auch die a-Moll-Suite des Konzertprogramms. In dieser Abfolge schimmert (unter Auslassung der Gavotte) ein Standardgerüst durch, wie es sich zu dieser Zeit vor allem im deutschsprachigen Raum bereits etabliert hatte. Schon um die Jahrhundertmitte war es in Cembalo-Suiten gängig geworden und hatte spätestens in den 1660er Jahren auch in Ensemble-Suiten als Modell Fuß gefasst. Hier machte sich letztlich ein starker Einfluss der französischen Lauten- und Clavecin-Kunst bemerkbar, die diese Tanztypen bevorzugt bediente und zu ihrer Zeit eine europaweite Ausstrahlung erreicht hatte. Dieser Einfluss wird bei demAusnahmelautenisten Reusner, dessen Hauptwirkungsorte Breslau und Berlin waren (eine naheliegende Orientierung) selbst dann deutlich, wenn sich unter dem seinerzeit typisch deutschen Titel Musicalische Gesellschaffts-Ergetzung keineswegs Musik für Laute, sondern für drei Streicher (eine Violine, zwei Violen) sowie Generalbass verbarg. Französischen Vorbildern – wenn auch anderen als Reusners Ensemblemusik – sind in diesem Konzertprogramm letztlich auch die Instrumentalsuiten von Muffat, Fischer und Telemann verpflichtet. Als zentrale Form der staatstragenden Oper in Paris genoss die sogenannte „Tragédie en musique“ (oder „Tragédie lyrique“) in der Gestalt, die Jean-Baptiste Lully ihr aufgeprägt hatte, europaweites Renommee, das maßgeblich von der Strahlkraft des Sonnenkönigs Ludwig XIV. befördert wurde. Zu Lullys berühmten Opern wurden nicht nur, wie üblich, die Libretti gedruckt, sondern bald auch die Partituren, und ab den 1680er Jahren profitiertenAmsterdamer Verlage zusätzlich von einem Geschäftsmodell, bei dem aus den einzelnen Bühnenwerken Lullys die Ouvertüre, die Instrumentalstücke und Instrumentalarrangements der Arien und Ensembles zusammengestellt und im Druck herausgegeben wurden. Diese Verkaufsstrategie hielt sich bis ins zweite Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts hinein. Am Beginn einer solchen Sammlung stand eine Ouvertüre, deren Standardmerkmale seit den 1660er Jahren fest etabliert waren: Einer homophon gesetzten, gravitätischen Einleitung, die vor allem von punktierten Rhythmen und auftaktigen Skalenfragmenten geprägt wurde, folgte ein schneller Abschnitt, der im Kontrast zum vorhergehenden langsamen Gestus fugiert gearbeitet war; danach konnte eine Wiederaufnahme des langsamen Abschnitts erfolgen. Dieser Ouvertüre schloss sich dann eine Reihe verschiedenartiger Georg Philipp Telemann, Kupferstich von Georg Lichtensteger (um 1745) 107
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