TAGE ALTER MuSIK REGEnSBuRG Konzert 2 Hohelieds, jenes größten alttestamentarischen Liebeslieds, wobei hier die Geliebte als die Jungfrau Maria interpretiert wird. Die aufwendigen Begräbniszeremonien (Exequien) hingegen, die den Tod hochrangiger Mitglieder der habsburgischen Herrscherfamilie in Städten überall im riesigen spanischen Reich begleiteten, verlangten nach Musik, die Würde und Grandeur mit angemessenem Pathos verband. Ebenso war die Klage natürlich auch ein Hauptbestandteil der Karwoche, einer Woche, die mehr als jede andere des Jahres Anlass zu polyphoner Musik bot. unser Streifzug durch die Marien-, Karwochen- und Requiem-Repertoires im Rahmen des heutigen Konzerts beinhaltet die drei – damals wie heute – berühmtesten Komponisten der spanischen Renaissance: Cristóbal de Morales, seinen Schüler Francisco Guerrero und Guerreros Freund Tomás Luis de Victoria. Sie repräsentieren drei Generationen, die das gesamte sechzehnte Jahrhundert und die ersten Jahre des siebzehnten abdecken: Morales wurde um 1500 geboren, Guerreros Karriere erstreckte sich über die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts und Victoria starb 1611. Ihre Musik war sowohl im spanischen Reich (in der alten und der neuen Welt) als auch in ganz Europa verbreitet. Zwei von ihnen – Morales und Victoria – machten sowohl in Spanien als auch in Rom (wo der spanische Einfluss zu dieser Zeit sehr groß war) Karriere, während Guerrero sein Leben lang in Spanien arbeitete. Alle drei bedienten sich des florierenden notendrucks in Italien – insbesondere in Venedig und Rom –, um die internationale Verbreitung ihrer Werke zu gewährleisten. Morales war an verschiedenen spanischen Kathedralen angestellt, bevor er etwa zehn Jahre als Sänger an der päpstlichen Kapelle in Rom verbrachte, von wo er zurückkehrte, um den Posten des Kapellmeisters an der Kathedrale von Toledo zu übernehmen. Dort unterrichtete er Guerrero und half diesem auch dabei, seine erste Kapellmeisterstelle an der Kathedrale von Jaén zu erhalten. Den größten Teil seiner Karriere verbrachte Guerrero jedoch im Dienst der Kathedrale von Sevilla, einer der bedeutendsten musikalischen Institutionen der iberischen Halbinsel. Der in Ávila geborene Victoria wurde in den 1560er Jahren als Student an das deutsche Jesuitenkolleg in Rom geschickt und lebte und arbeitete für zwanzig Jahre in Rom als Kapellmeister, Musiker, Komponist und Priester. Er kehrte in sein Heimatland zurück, um als Kaplan der Kaiserinwitwe Maria von Spanien im Kloster Descalzas Reales in Madrid zu dienen, und unterhielt daher in den letzten 25 Jahren seines Lebens enge Beziehungen zum spanischen Königshof. Guerrero wurde vor allem durch seine Musik zu Ehren der Heiligen Jungfrau (der die Kathedrale von Sevilla geweiht ist) berühmt – in demMaße, dass er von seinen Zeitgenossen als „el cantor de María“ bezeichnet wurde. Die letzten vier Werke dieses Konzerts demonstrieren sowohl die Inspiration, die er aus marianischen Texten schöpfte, als auch die beeindruckende Vielfalt an Techniken und Texturen, deren er sich bediente, um auf diese Texte einzugehen. unter diesen Techniken waren einige wohl etablierte Methoden zur Demonstration kompositorischen Könnens, besonders beliebt bei spanischen Komponisten, die von bestimmten Werken Josquin Desprez’ beeinflusst waren. Eine dieser Techniken war der Kanon, wie er etwa in Guerreros berühmtester Motette, Ave virgo sanctissima, zu finden ist, in der die beiden Oberstimmen die Phrasen der jeweils anderen Stimmen während des gesamten Stücks wiederholen. Eine weitere Technik war das Ostinato: die periodische Wiederholung eines musikalischen Mottos in einer Stimme, die das Werk zusammenhält und es an ein zentrales musikalisches und textliches Thema bindet. Diese Technik kann mit der von zeitgenössischen Predigern verglichen werden, die ihre Predigten oft um einen einzigen Schlüsselsatz aus der Bibel herum gestalteten, auf den sie immer wieder zurückkamen. Guerreros Vertonung des Hohelied-Textes Surge propera, amica mea veranschaulicht diese Praxis: Guerrero wählte als Ostinato-Motto „Veni, sponsa Christi“, „Komm, Braut Christi“, und christianisiert damit den von den anderen Stimmen gesungenen alttestamentarischen Text: Die „Geliebte“ (aus dem Hohelied) wird hier zur „Braut Christi“, womit in diesem Zusammenhang Maria gemeint ist. Im ersten Teil der Motette sinkt das Motiv mit jeder Wiederholung um eine Stufe ab, während es im zweiten Teil wieder ansteigt und so das allmähliche Crescendo unterstützt, das sich vom Gurren der Turteltaube („vox turturis“) bis zum markanten Höhepunkt am Schluss des Stückes entwickelt, bei dem das „Christi“ auf der höchsten note der Schlussharmonie erklingt. Die duftenden und sinnlichen Bilder des Hohelieds regten Renaissancekomponisten oft zu musikalischen Antworten von besonderer Kraft und Farbe an und dieses Werk bildet keine Ausnahme: So durchbrechen die kraftvollen, aufsteigenden Linien, die Guerrero zur Vertonung der abschließenden Aufforderung an die Geliebte, sich zu erheben („surge“), verwendet, freudig die Fesseln ‚normaler‘ melodischer Linien in den polyphonen Stilen der Epoche. neben solchen Werken, Owen Rees, Leitung Foto: John Cairns 15
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