TAGE ALTER MuSIK REGENSBuRG Konzert 3 Ein weiteres von Josquin vertontes Gebet ist Tu solus qui facis mirabilia, eine Motette, die während der Elevation gesungen und in seine Missa D’ung aultre amer integriert werden sollte. Die Elevation, bei der der Gemeinde der geweihte Leib und das geweihte Blut Christi gezeigt werden, ist einer der feierlichsten Momente der Messe; ein Moment der Ehrfurcht und Anbetung. Die von uns aufgeführte Version des Werkes wurde 1505 von Ottaviano Petrucci in Venedig gedruckt, zur Zeit von Dürers zweitem Besuch in der Stadt. Im Laufe der Jahre fertigte Dürer einige außergewöhnliche Tier- und Naturstudien an. Das große Rasenstück (1503) zeigt neun verschiedene Arten von wilden Wurzeln, Gräsern und Blumen. Die Zusammensetzung ist so organisch, dass man fast spüren kann, wie die Brise die Gewächse sanft kräuselt und wie die Erde riecht, in der sie wurzeln. Wir assoziieren dieses virtuose Aquarell mit einer Reihe von Kompositionen aus Petruccis Harmonie Musices Odhecaton. Das Repertoire in Odhecaton, imWesentlichen französisch-flämische Chansons, Motetten und Instrumentalvertonungen, verbindet die musikalischen Kulturen Venedigs und der Niederlande, die beide für Dürers internationale Kontakte und seine Karriere von wesentlicher Bedeutung waren. Die kurzen Stücke sind lebendig und organisch, scheinbar bescheiden, aber genial geformt wie bei Dürers „Rasenstück“. Josquins Version von De tous bien playne und Avant avant enthält verspielte Kanons. Crispin van Stappen kombiniert zwei bereits existierende Melodien – die Antiphon Beati Pacifici und den Tenor von Hayne van Ghizeghems De tous bien playne – mit zwei neuen freien Stimmen. Rompeltier und Hor oires une chanson verwandeln einfache Melodien in fröhliche Polyphonie. Das Programm schließt mit einer Würdigung Dürers als Theoretiker. Seine Vier Bücher von der menschlichen Propor - tion wurden 1528 posthum veröffentlicht und veranschaulichen, wie seiner Meinung nach der menschliche Körper – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Hautfarbe – geometrisch verstanden werden kann. Wenn Proportionen Teil unseres Wesens sind, ist es sinnvoll, dass wir Schönheit in Kunst und Musik finden, die symmetrisch, proportional und gut konstruiert ist. Auch in der Musik wurden Proportionen oft erforscht, und ein meisterhaftes Beispiel, das Dürers Kunstfertigkeit entspricht, ist Johannes Ockeghems Missa Prolationum. Die von uns ausgewählten Ausschnitte umfassen alle Doppelkanons. Zwei Stimmen werden in unterschiedlichen Mensuren notiert und gelesen. Dies bedeutet, dass sich die gleiche notierte Musik am Ende in „unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ entfaltet, wodurch ein musikalisches Bild entsteht, das den Proportionen zwischen den Körperteilen in Dürers Holzschnitten ziemlich nahekommt. Proportionen, Natur und Spiritualität vereinen sich in der unbeschreiblichen Schönheit von Dürers Kunst; eine Schönheit, die wir in exzellenter Musik aus seiner Zeit widerspiegeln und genießen dürfen. Autorin: María Martínez Ayerza Betende Hände – Zeichnung, ca. 1508 Das große Rasenstück – Aquarell, 1503 CD: The Royal Wind Music & Psallentes – Gratia plena (to Memling) Vier Bücher von der menschlichen Proportion, Nürnberg, Hieronymus Formschneider, 1528 21
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