Tage Alter Musik – Programmheft 2023

TAGE ALTER MuSIK REGEnSBuRG Konzert 10 d’amore – Streicher und Basso continuo ergänzte Bach um ein Horn, das nur in den beiden Außensätzen zur Verdopplung der Singstimmen eingesetzt wird, sowie um eine vor allem in der Bass-Aria „Doch weichet, ihr tollen, vergeblichen Sorgen!“ (nr. 4) virtuos konzertierende Piccolo- oder Traversflöte. Der Tradition des 16. Sonntags nach Trinitatis entsprechend, dem als Evangelium die Auferweckung des Jünglings zu nain (Lukas 7,11–17) zugeordnet ist, stehen sowohl im Choral- als auch im Kantatentext Gedanken über den eigenen Tod, aber auch das Vertrauen auf Gottes Hilfe in der not und der Glaube an die Auferstehung im Mittelpunkt. Sowohl im umfangreichen Choral-Chorsatz zu Beginn („Liebster Gott“) als auch im Schlusschoral, in dem wie gewohnt die Instrumente die Singstimmen verdoppeln (nr. 6, „Herrscher über Tod und Leben“), griff Bach auf die Melodie und den vierstimmigen Satz zurück, die der Organist der nicolaikirche, Daniel Vetter, zu neumanns Choraltext im zweiten Teil seiner Musicalischen Kirch- und Haus-Ergötzlichkeit in Leipzig 1713 veröffentlicht hatte. Aus der Vorlage übernahm Bach in beiden Sätzen unter anderem auch das vorsängerartige Einsetzen des Soprans mit der Choralmelodie vor den drei unterstimmen zu Beginn. Der Mittelteil der Kantate besteht aus zwei von den vier Solisten vorzutragendenArie-Rezitativ-Folgen, in denen wie imAnfangssatz zunächst noch die Angst vor dem Tod den musikalischen Satz bestimmt. Als Beipiele zu nennen sind hier die äußerst expressive Melodik in der von der obligat geführten Oboe d’amore begleiteten cis-Moll-Arie des Tenors „Was willst du dich, mein Geist, entsetzen“ (nr. 2) oder die ungewöhnlichen Modulationen des Accompagnato-Rezitativs der Altstimme „Zwar fühlt mein schwaches Herz“ (nr. 3). Erst in der folgenden A-Dur-Aria des Basses „Doch weichet, ihr tollen, vergeblichen Sorgen“ wird, etwa durch den beschwingten Gigue-Rhythmus im 12/8-Takt oder die virtuosen Flötenfigurationen deutlich, dass die Angst vor dem Tod desjenigen, der von Jesus gerufen wird und angesichts der Hoffnung auf ein ewiges Leben von allen Sorgen befreit ist, nunmehr überwunden ist. Welch einen klanglichen Gegensatz stellt dieser Satz doch zum höchst expressiven Kantatenbeginn dar, in dem Bach zur ersten Choralstrophe, deren Melodie zeilenweise vom Sopran, verstärkt durch den mitgehenden Hornpart, vorgetragen wird, bereits im Ritornell das Warten auf den Tod auskomponierte. neben Seufzermotiven der beiden Oboi d’amore und den monotonen, staccato in Achteln zu spielenden, abwärtsgerichteten Dreiklangsbrechungen der gedämpften Streicher sind es vor allem die schnellen Tonrepetitionen der Flöte in sehr hoher Lage, die den Klang von Sterbeglocken nachzuahmen scheinen. In veränderter Form sind diese Sterbeglocken auch in Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott BWV 127 zu hören, und zwar in der Sopran-Aria „Die Seele ruht in Jesu Händen“ (nr. 3), allerdings mit staccato zu spielenden Achteln in den Blockflöten und gezupften Vierteln im Basso continuo, zu denen imMittelteil die Streicher mit ebenfalls gezupften Sechzehntelmotiven treten. Bei diesem Werk zum Sonntag Estomihi, dem letzten Sonntag vor der Fastenzeit, uraufgeführt am 11. Februar 1725, handelt es sich um eine der letzten neukomponierten Choralkantaten des unvollständig überlieferten zweiten Leipziger Jahrgangs. Die Standardbesetzung – ohne SoloAlt – ist hier erweitert um die beiden bereits erwähnten Blockflöten und eine hohe Trompete, die allerdings erst im vorletzten Satz zum Einsatz kommt. Der unbekannte Verfasser des Kantatentextes übernahm wie üblich für Eingangssatz und Schlusschoral die erste und letzte Strophe des zugrunde liegenden Sterbeliedes von Paul Eber 69

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