TAGE ALTER MuSIK REGEnSBuRG Mai 2023 Auch wenn das Repertoire der Abendmusiken unter Buxtehudes Ägide nur sporadisch rekonstruierbar ist, darf immerhin als sicher gelten, dass eigens komponierte oratorische Vokalwerke den wesentlichen Anreiz dieser Veranstaltungen ausmachten. Erhalten sind dabei lediglich drei Libretti, das Thema eines 1688 aufgeführten dramatischen Werkes und aus Katalogen und Programmen die Titel mehrerer groß- und kleinformatiger Vokalwerke. Übereinstimmungen dieser Quellen mit anderweitig überlieferten Vokalwerken Buxtehudes bestehen leider nicht. Lediglich die anonym überlieferte Vokalkomposition Wacht! Euch zum Streit gefasset macht gilt seit Beginn des 20. Jahrhunderts als ernstzunehmender Kandidat einer originalenAbendmusik aus Buxtehudes Feder. Es ist davon auszugehen, dass die oratorienartigen Werke generell aus Chören, Choralbearbeitungen, Rezitativen und Arien bestanden und zumindest am Aktbeginn auch längere Instrumentalteile aufwiesen. War die Darbietung eines zusammenhängenden dramatischen Werkes nicht zu leisten, erfüllte gegebenenfalls auch eine freie Zusammenstellung von Vokal- und Instrumentalsätzen ihren Zweck. Der Eintritt zu den Abendmusiken war frei, die Finanzierung wurde durch Zuschüsse der Marienkirche und Spenden von Kaufleuten gewährleistet, die Buxtehude durch die Zusendung der Libretti vor den Konzerten anzuregen wusste. Das Gratis-Spektakel zog ein aus allen Gesellschaftsschichten zusammengesetztes Publikum an und musste spätestens seit den 1680er Jahren von Mitgliedern der Rathauswache abgesichert werden – immer wieder ist in den Quellen von tumultartigen Zuständen und einer lautstarken Lärmkulisse zu lesen. Freilich war die Präsenz der Wache auch einer eher alltäglichen Ordnungsfunktion geschuldet, die angesichts großer Menschenmengen in der früh einsetzenden Dunkelheit des norddeutschen Winters durchaus geboten war. In Lübeck war man zweifellos stolz auf das mondäne Gepräge der Abendmusiken. Der Stadtführer Die beglückte und geschmückte Stadt Lübeck von 1697 – als Buxtehude bereits seit drei Jahrzehnten im Amt war – ging in seiner Beschreibung der Marienkirche eigens auf den Lokalbrauch ein: Es sei „der Welt-berühmte Organist und Componist Dietrich Buxtehude“, der jährlich „die angenehme Vocal- und Instrumental Abend-Music, […] das sonst so nirgends wo geschiehet“, präsentiere. Tatsächlich hatte man in Hamburg, der alten Hanse-Gefährtin und -Konkurrentin nur gute 60 Kilometer südwestlich von Lübeck, nichts Derartiges zu bieten. Dafür verfügte man seit 1678 über einen Opernbetrieb, der in gewissem Sinne das weltliche Gegenstück zur Lübecker Abendmusik darstellte. Johann Adam Reincken, wenige Jahre jünger als Buxtehude und mit diesem gut befreundet, war einer der Begründer dieser Institution, deren Sitz sich bis zu ihrer letzten Spielzeit 1738 am Gänsemarkt befand. Dabei ist der aus dem niederländischen Deventer stammende Reincken selbst nicht als Komponist des Musiktheaters bekannt. Überhaupt sind von ihm lediglich Instrumentalkompositionen erhalten, die höchstwahrscheinlich nur einen kleinen Teil seines Schaffens darstellen. Der Hortus musicus von 1688 ist eine seiner wenigen Druckveröffentlichungen und besteht aus einer Abfolge von je sechs Sonaten mit anschließender vierteiliger Suite (Allemande, Courante, Sarabande, Gigue) in gleicher Tonart. Ob Kompositionen wie diese ihren Weg in die Programme der Lübecker Abendmusik gefunden haben, ist schwer zu sagen. Wenn Buxtehude tatsächlich Werke anderer Komponisten integrierte, so wäre die Wahl des befreundeten Reincken aus der nachbarstadt Hamburg zumindest naheliegend gewesen. Immerhin sind beide auf einem 1674 entstandenen Gruppenbild des niederländischen Malers Johannes Voorhout, einträchtig nebeneinander Allegorie auf die Freundschaft von Johannes Voorhout, 1674. Am Cembalo sitzend Johann Adam Reincken, links daneben vermutlich Buxtehude an der Viola da gamba 94
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