Tage Alter Musik – Programmheft 2024

Tage alTer Musik regensburg konzert 15 eine Brücke zwischen zwei Welten „ Ich, Euer ergebener Diener, kann nachvollziehen, dass es Euer Plan war, eine Brücke von Galata nach Stambul zu errichten …, aber sie wurde nicht gebaut, weil sich kein Fachmann fand. Ich, Euer Untertan, bin in der Lage, das zu tun. Ich werde außerdem eine Zugbrücke errichten in der Art, dass man die Küste Anatoliens erreichen kann. Wenn die Götter es wollen, schenkt bitte meinen Worten Glauben und betrachtet mich als Euren Diener, der Euch immer zu Diensten ist...“ am 3. Juli des Jahres 1502 ging ein bemerkenswerter brief mit einem kühnen und gewagten Vorschlag auf einem schiff von genua nach istanbul. er war an sultan bayezid ii. gerichtet und von einem der brillantesten köpfe seiner Zeit unterzeichnet: demMaler, ingenieur, architekten und Wissenschaftler leonardo da Vinci. in seinem brief schlägt leonardo dem sultan den bau von nicht weniger als zwei brücken vor. Die erste sollte das goldene Horn überspannen und so die osmanische stadt mit dem bezirk galata verbinden, einem betriebsamen Handelszentrum, das von genuesischen, venezianischen und florentinischen kaufleuten bevölkert war. Das zweite Projekt war vielleicht noch ehrgeiziger: eine geniale Zugbrücke sollte den bosporus überqueren und so zwei kontinente, zwei völlig verschiedene Welten effektiv miteinander verbinden: asien und europa. Wie kam der italienische universalgelehrte dazu, dem osmanischen Herrscher seine Dienste anzubieten? leonardos leben fiel mit einer faszinierenden Periode in den italienisch-osmanischen beziehungen zusammen. im Jahr 1453, als er gerade einmal ein Jahr alt war, eroberten die Türken konstantinopel und machten es zur Hauptstadt ihres schnell wachsenden osmanischen reiches. Diese neue Weltordnung führte zu erbitterten kämpfen, aber auch zu einem intensiven kulturellen austausch und einem lebhaften Fließen von Menschen, kunst und ideen. sultan Mehmet ii. war mit einer kosmopolitischen Weitsicht gesegnet und hegte eine leidenschaft für die italienische Porträtmalerei, bildhauerei und architektur. auf seine unzähligen bitten hin reisten verschiedene italienische künstler und kunsthandwerker, unter anderem der berühmte venezianische Maler gentile bellini, an seinen Hof in istanbul. sein nachfolger bayezid ii. war mehr an „le arti meccaniche“ interessiert, vor allem an den italienischen innovationen in den bereichen Technologie und ingenieurswesen. als er den Plan fasste, das goldene Horn mit einer brücke zu überspannen, fand die nachricht davon durch türkische Händler und gesandte bald ihren Weg nach Venedig. leonardo mag davon im Frühling 1500 auf einer reise nach Venedig erfahren haben. Für leonardo, der immer auf der suche nach neuen Horizonten und Möglichkeiten war, dürfte eine solche Herausforderung unwiderstehlich gewesen sein. außerdem sandte er sein schreiben vermutlich während einer kurzen anstellung bei dem berühmt-berüchtigten Condottiere Cesare borgia ab – ein weiterer grund, weshalb er sich eifrig nach einem anderen Herrn umgeschaut haben dürfte. seine Vorschläge, von denen nur eine einzige Zeichnung in seinen notizbüchern erhalten ist, sollten eindeutig beeindrucken: eine so hohe brücke, dass schiffe unter vollen segeln passieren konnten, beide brücken so lang, dass sie zu dieser Zeit die längsten auf der ganzen Welt gewesen wären – wenn sie denn gebaut worden wären. Dem sultan scheinen jedoch seine Pläne zu ehrgeizig gewesen zu sein: leonardos schreiben blieb unbeantwortet, sein entwurf nicht mehr als eine idee. später wollte bayezid Michelangelo für das Projekt gewinnen, sah jedoch seine anfrage zurückgewiesen. und so zeigt das weitgeschwungene Panorama der stadt, das der deutsche künstler Melchior lorck 1559 mit blick über das goldene Horn zeichnete, ein lebhaftes kommen und gehen von Wasserfahrzeugen, ruderbooten und anmutigen Daus, aber keine brücke, die die beiden ufer verbindet. es sollten drei Jahrhunderte vergehen, bis die Wasser von konstantinopel mit brücken überspannt wurden. Autorin: Marjolein van Zuylen Deutsche Fassung: Joachim Berenbold Ein Schiff auf stürmischer See. Votivgabe in einer Kultstätte als Dank für eine sichere Rückkehr. Fondazione Per Grazie Ricevute, Mailand. Ein Porträt von Sultan Bayezid II. von Paolo Veronese (1528-1588). Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Staatsgalerie in der Residenz Würzburg. 113

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=