Tage Alter Musik – Programmheft 2024

der küste Dalmatiens entweder tätig waren oder von hier abstammten. in späteren Jahrhunderten bestanden die werdenden nationalstaaten in dieser region auf scharfen unterscheidungen zwischen nationen, grenzen und sprachen, was zu anhaltenden spannungen zwischen italien und Österreich-ungarn sowie später Jugoslawien führte, wobei die beiden Weltkriege die lage nur verschlimmerten. Doch zur Zeit soranzos, keineswegs ein Zeitalter der ruhe und des Friedens, waren jedenfalls der kontinuierliche austausch von Menschen, sprachlichen und kulturellen einflüssen sowie Handel über die adria Tatsachen des alltags. Die Venezianer betrachteten die adria als „unser Meer“ (mare nostrum, il Golfo di Venezia), während ludovico ariosto – kein Venezianer – in seinem pseudo-ritterlichen epos Orlando furioso wahrscheinlich wohlüberlegt stichelte, indem er darauf hinwies, dass die östliche adriaküste als „slawisches Meer“ ihren eigenen, speziellen Charakter besitzt. in Venedig ist die seeseite in der nähe des Dogenpalastes bis heute als Riva degli Schiavoni bekannt. ein schiavone musste nicht unbedingt slawe sein – die bezeichnung konnte auch jeden italiener meinen, der von der östlichen seite der adria stammte: ein schönes beispiel dafür, wie regionale besonderheiten als bindeglieder fungierten und überwanden, was spätere nationalismen als tiefe gräben sehen wollten. Die meisten unserer Musikstücke datieren aus den Jahrzehnten nach der reise soranzos; sie spiegeln die Tatsache wider, dass nach lepanto die türkischen strategen die meisten ihrer maritimen Ziele auf das östliche Mittelmeer, vor allem Zypern, konzentrierten und auf dem Festland ungarn und sein Hinterland bedrängten. in Venedig und entlang der kroatischen küste wurde etwas entlastung spürbar und die schiffsrouten in der adria wurden sicherer. Das könnte einer der gründe dafür sein, dass an der küste und auf den inseln ein aufleben künstlerischer aktivitäten stattfand; allerdings trat aufgrund des emotionalen Drucks während der langen Periode der unsicherheit und der notwendigkeit, gott um seinen beistand anzuflehen, die Musik der liturgie eher in den Vordergrund als ein weltliches repertoire. außerdem fehlten in Dalmatien die Höfe wohlhabender adeliger, die damals in italien die Zentren des musikalischen Mäzenatentums waren, und die sogwirkung italiens, insbesondere Venedigs, war zu stark für die Musiker, zumal sie dort leichter eine anstellung finden konnten. so ist es kein Zufall, dass der erste Ortsname, den der Tagebuchschreiber erwähnt, Parenzo (Poreč) in istrien ist. Die beiden uspers, Francesco (ca. 1560–1641) und gabriele (möglicherweise ein neffe des ersteren und in den 1620er und 1630er Jahren aktiv), stammten aus Poreč und hatten ihren ursprünglichen namen sponga zu ehren ihres venezianischen Förderers Cesare usper aufgegeben. beide wirkten in Venedig und so passt es gut, dass unser Programm je ein Werk von beiden enthält, das den stil der jeweiligen generation verdeutlicht. gabriello Puliti, ein Franziskanermönch, stammt aus der Toskana und ging den umgekehrten Weg: von italien reiste er erst nach Pola (heute Pula) und war danach in einer reihe istrischer städte tätig, darunter einige Zeit in dem zu Habsburg gehörenden Triest. er war TAM 2023, Bojan Čičić, Violine, im Reichssaal Foto: Michael Vogl Conor Hastings, Zink Tage alTer Musik regensburg Mai 2024 Abraham Ortelius (1527-1598): PANNONIAE, ET ILLYRICI VETERIS TABULA Altkolorierte Landkarte von Kroatien, Adria, Westbalkan. Gedruckt bei Jan Baptist Vrients im Jahre 1608 oder 1612 in Antwerpen. 18

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=