Tage alTer Musik regensburg konzert 9 Frauengestalten vom Mittelalter bis zur renaissance Was wissen wir über Frauen im Mittelalter, über ihr wirkliches leben? Verborgen unter dem, was in der regel Männer über sie geschrieben haben, reduziert sich ihr auftreten auf flüchtige gestalten, bilder in goldradierung oder Hinterglasmalerei wie die blonde isolde, die goldfarbige Flamenca oder Douceline, die begine aus der Provence. ihre stimmen? beinahe unhörbar. Ob göttin, Madonna oder Hexe, Frauen betraten die bühnen damals als Vertreterinnen eines bestimmten Typus. Die Wiederentdeckung des aristoteles imMittelalter hat die Denker des 13. und 14. Jahrhunderts stark beeinflusst. in der Folge setzte sich eine Trennung der räume und Funktionen der öffentlichen und der privaten sphäre durch, die lange bestand hatte und auf der unterschiedlichen „natur“ von Mann und Frau beruhte. Christine de Pizan (um 1364–1430), empört darüber, als Frau geboren worden zu sein, sagte von sich und den anderen Frauen, es sei, „als hätte die natur ungeheuer geboren“ und klagte gott an. Der blickwinkel, unter dem Männer Frauen wahrnahmen, lastete schwer auf diesen mit all den Zwängen, die ihnen ihren Platz in der gesellschaft und in der literatur zuwiesen: gehorsam, enthaltsamkeit, reinheit... Doch zwischen den Zeilen der Dichter und Musiker blitzen andere eigenschaften auf. Vom 13. bis zum 15. Jahrhundert wagten Frauen ihre stimme zu erheben, was eine Vielzahl an reaktionen hervorbrachte, die in unserem Programm gezeigt werden sollen: erstaunen und bewunderung, aber auch Misstrauen und verstärkte kontrolle durch das establishment mit ihrem Wissensmonopol und ihrem rederecht. Die Herausforderung dieses konzerts besteht darin, den Frauen mehr oder weniger direkt eine stimme zu geben, um den traditionellen sinn der Texte, die das ensemble ausgewählt hat, zu erhellen, aber auch über die Frauen, die diese Texte verfasst oder inspiriert haben, zu reflektieren, um sie so vom Objekt zum subjekt zu machen. Was bleibt von diesen gesichtslosen „schönen“, reduziert auf ihren „makellosen körper mit frischen Farben“, die von den klerikalen und feudalen autoritäten ermahnt werden, ihre ehre zu bewahren, dabei aber die Huldigung, d.h. die bewertung durch den Mann zu akzeptieren oder akzeptieren zu müssen? erinnert sei hierbei auch an die berühmten Verse, die François i. zugeschrieben werden und in einem der Fenster seines schlosses Chenonceau eingraviert sind: „Die Frauen ändern sich oft, ein narr, wer sich auf sie verlässt!“ A chantar m´er de so qu´eu no volris Zur Zeit der Troubadoure und der höfischen liebe äußert sich hier eine Frau in einer herzzerreißenden klage mit dem okzitanischen lied der Comtesse de Dia – berühmt und packend, einzigartig in seinem genre. umso wertvoller als Zeugnis, da man im 12. Jahrhundert nur selten den namen einer Frau als autorin findet – natürlich nur ein name, denn niemand hat diese Frau identifizieren können oder ihren stattlichen, flatterhaften liebhaber, dem sie schreckliche Vorwürfe macht. Wie weit weg ist sie doch von der „Traumfrau“, die ihr Zeitgenosse bernart de Ventadorn als ihm ebenbürtig „in begehren und genießen“ sehen will, wenn er darüber klagt, dass die Frauen „alle gleich“ seien: attraktiv, aber voller lug und Trug. Santa Maria leva eine der 427 Cantigas de Santa Maria aus dem 13. Jahrhundert in galicisch-portugiesischer sprache, die im umkreis von könig alfons X. dem Weisen komponiert wurden, präsentiert die zwei Frauen, die von der damaligen kirche als gegensätze betrachtet wurden wie die weisen und die törichten Jungfrauen im Matthias-evangelium (25, 1–13): eva und Maria. Die Weiblichkeit bleibt hier in einer glasmalerei eingerahmt: das bild der einen Frau wird einfach dem bild der anderen gegenübergestellt. Die lateinischen Dichter wussten auch mit den buchstaben ihrer namen zu spielen und gingen von eva zu ave, von Fleischeslust zu Marienkult und von sünde zu erlösung. Honte, paour, doubtance de meffaire Das leben der Frau unter männlicher Herrschaft schildert die ballade „Schmähungen, Schrecken und Angst vor Fehltritten“ aus dem 14. Jahrhundert von guillaume de Machaut: nicht nur, dass sie einen Fehler begehen kann, sondern dass sie dadurch ihre ehre verliert. und der autor fährt fort, die Zwänge aufzulisten, denen eine Frau im Mittelalter unterworfen war, wenn sie ordnungsgemäß ihre ehre, d. h. ihren körper bewahren wollte. so viel zu der Zwangsjacke, die sie einengte. La belle se siet au piet de la tour in dem lied Die Schöne sitzt am Fuß des Turms von guillaume Dufay versucht eine junge Frau ihrem Vater, dem Mann, der die Wahl ihres zukünftigen ehemannes treffen wird, verständlich zu machen, dass sie lieber zusammen mit dem Mann, den sie liebt, der aber zum Tod durch den galgen verurteilt wurde, sterben will, als ohne ihn zu leben – eine Thematik, die bis in die Folklore hinein ihren Widerhall findet. Santa Maria amar eine andere cantiga deutet an, dass eine Äbtissin, die der Jungfrau Maria ergeben ist, indirekt durch einen Mann, in Wahrheit vom Coudrette (13??-14??), Le Roman de Mélusine Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des Manuscrits (cote: Français 24383, f 0 19) 69
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