Tage Alter Musik – Programmheft 2024

darüber hinaus einige musikalische Charakteristika, die in späteren kantaten scarlattis kaum noch vorkommen. erwähnenswert sind beispielsweise die große anzahl von 13 sätzen, die noch nicht standardisierte abfolge von rezitativen und arien, die oft fließenden Übergänge zwischen rezitativen und ariosi, die tonale geschlossenheit mit F-Dur als Zentrum und ausweichungen in benachbarte Tonarten sowie der arioso-schluss der gesamten kantate. in der serenata Notte ch’in carro d’ombre greift der unbekannte Dichter zum Teil auf präexistente Vorlagen zurück. Der Text des ersten rezitativs entspricht dem beginn der venezianischen serenata la fedeltà consolata dalla speranza von nicolò beregan, die mit der Musik von antonio giannettini im august 1685 in Venedig aufgeführt wurde. beregan veröffentlichte den vollständigen Text seiner serenata 1702 in der Pietro Ottoboni gewidmeten sammlung Compositioni poetiche. Verse wie „Deh, non tardate più, pigri momenti” am ende des rezitativs nr. 4 erinnern dagegen an giovanni Filippo apollonis Quanto sete per me pigri, o momenti, aufgeführt mit der Musik antonio Cestis (1623–1669). scarlattis serenata ist überliefert in einer abschrift der Partitur durch einen kopisten, der im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in seinem römischen umkreis tätig war. und auch die dem aktuellen standard folgende anlage mit einer sinfonia und mehreren – in diesem Falle vier – rezitativ-ariePaaren sowie das ausschließliche Zurückgreifen auf das Formprinzip der Da capo-arie sprechen für eine Datierung auf den beginn des Jahrhunderts. Denkbar wäre eine Präsentation im privaten rahmen der Conversazioni der accademia dell’arcadia, an denen Dichter, Musiker und Philosophen teilnahmen. Dass wir uns erneut in einem bukolischen ambiente befinden, wird erst im rezitativ „Ma parmi ch’esaudite” (nr. 6) durch die erwähnung der aus schäferspielen bekannten namen amarilli und Tirsi enthüllt. Der von amarilli an die Zuhörer gerichtete Monolog erscheint fokussiert auf die idee, dass die nacht und der schlaf ihr die Möglichkeit gewähren könnten, zur ruhe zu kommen und ihre Tränen zu stillen, die sie wegen der unglücklichen liebe zu Tirsi vergießt. Die bereits im grave-Teil der sinfonia in fis-Moll musikalisch umgesetzte düstere nächtliche stimmung setzt sich im einzigen accompagnatorezitativ (nr. 2, „notte, ch’in carro d’ombre”), dessen Text in beregans serenato Fileno zugeordnet war, ebenso fort wie in ihrer anschließenden einladung an die nacht (nr. 3, aria „Vieni, o notte“). Doch der von ihr angerufene „süße schlaf“ (nr. 7, „Con l’idea d’un bel gioire”), der sie wenigstens vorübergehend von ihrem schmerz befreien könnte, kommt nicht, - eine erkenntnis, zu der amarilli erst im rezitativ nr. 8 („Ma voi non vi chiudete”) gelangt. Wie Fileno in all’hor che stanco il sole wird auch sie glauben, ihre erlösung in dem von ihr allerdings mit Freude erwarteten Tod finden zu können (nr. 9, „sì che priva di contento“). georg Friedrich Händel (1685–1759) ist uns heute vor allem als komponist englischsprachiger Oratorien wie Messiah, italienischsprachiger Opern wie giulio Cesare in egitto und von Orchestersuiten wie der Water Music bekannt. Weitaus weniger vertraut sind wir dagegen mit Händels kammermusikalischem Œuvre, das im Wesentlichen aus jeweils 16 als authentisch bewerteten solosonaten und Triosonaten für zwei konzertierende Melodieinstrumente und basso continuo besteht. Während es sich bei den im londoner Verlag von John Walsh um 1733 veröffentlichten sechs Triosonaten op. 2 um wesentlich früher entstandene, aber immerhin originäre Werke handelt – darunter die sonate in g-Moll HWV 387, die Händel nach angaben von Charles Jennens bereits im alter von 14 Jahren komponiert haben soll –, basieren die ende Februar 1739 ebenfalls bei Walsh gedruckten seven sonatas or Trios for two Violins or german Flutes with a Thorough bass for the Harpsicord or Violoncello des Opus 5 (HWV 396–402) überwiegend auf instrumentalsätzen und ballettmusiken zu Opern der 1730er-Jahre sowie auf einzelnen sätzen aus den sog. Chandos anthems der 1710er-Jahre. Walsh’ Vermerk in einem rechnungsbuch seines Verlages vom Oktober 1738 legt nahe, dass Händel ihm zunächst die für derartige sammlungen übliche anzahl von „six new sonatas“, vermutlich die nummern 1 bis 3 und 5 bis 7, geliefert hatte. bei der Triosonate in g-Dur HWV 399 (nr. 4), die hinsichtlich der durchaus ungewöhnlichen satzfolge von den anderen nummern abweicht, ist nach wie vor nicht geklärt, ob sowohl die kompilation als auch die Veröffentlichung innerhalb des Opus 5 auf Händel selbst oder auf Walsh zurückgehen. als einzige beginnt diese sonate nicht mit einem an die sonata da chiesa angelehnten Wechsel langsamer und schneller sätze, sondern mit einem schnellen allegro, an das sich ein im Tempo nur wenig zurückgenommener zweiter satz und – wie in den anderen nummern – einige französische Tänze anschließen. aus den allen sonatensätzen zugrunde liegenden Vorlagen wurden die beiden Oberstimmen, in der regel Violinen, und die basso-continuo-stimme nahezu unverändert und (mit ausnahme des dritten satzes) sogar unter beibehaltung Tage alTer Musik regensburg konzert 12 Francesca Aspromonte & Boris Begelman 91

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