Tage Alter Musik – Programmheft 2024

TAGE ALTER MUSIK REGENSBURG Konzert 13 Anfang dieser Sonate zu hörenden leidenschaftlich überbordenden Dissonanzen sollten später ein fester Bestandteil der Werke Arcangelo Corellis werden. Einer der bedeutendsten Italiener, der nach Norden ging, war der „valoroso nel violino“ Antonio Bertali, der um 1624 in Wien ankam und 1649 Kaiserlicher Kapellmeister wurde. Seine Sonata à 3 ist mit ihrem innigen Adagio, das eine wahrlich mitreißende Ciaconna umrahmt, ein treffendes Beispiel für seinen hochdramatischen Stil. Diese Sonate taucht in mindestens zwei Quellen auf. Wir verwenden die Version, die im Band II seiner Prothimia suavissima erschien. Diese Sonate ist auch Bestandteil der gewaltigen Musiksammlung, die Gustav Düben in Uppsala für den Gebrauch am schwedischen Hof zusammengetragen hat: ein weiterer Beleg dafür, wie die Musik der ersten Wiener Schule kreuz und quer durch ganz Europa reiste. Trotz der Popularität der Sonaten von Dario Castello zu seiner Zeit haben wir keine Angaben über sein Geburts- und Todesjahr oder gar über seine berufliche Karriere, außer dass er (dem Titelblatt zufolge) „Leiter des Bläserensembles an San Marco“ und Kollege von Claudio Monteverdi war. Die vierstimmige Sonata decimaquarta aus seinem zweiten Sonatenbuch ist voll von seinen für ihn charakteristischen frappierenden Höhenflügen musikalischer Phantasie, vor allem in der höchst manieristischen Coda. (In seinem Vorwort empfiehlt Castello, diese Stücke vor der Aufführung ein- oder zweimal zu proben, „denn nichts ist schwer für jene, die sie lieben.“) Johann Kaspar Kerlls umfangreiche Sonata à tre vereint in ihren Imitationen die italienische Vorliebe für extravagante Soli mit einem handwerklich exzellenten Kontrapunkt. Kerll lernte den italienischen Stil aus erster Hand: Er studierte bei Valentini, einem der ersten Italiener, die Hofkapellmeister in Wien wurden, und reiste später nach Rom, ummit Carissimi zu arbeiten. Kerll begann seine Karriere am Hof von München, doch nach einer heftigen Auseinandersetzung mit den italienischen Opernsängern dort ging er nach Wien, wo er kaiserlicher Organist wurde. Johann Heinrich Schmelzers Ruf reichte weit über Wien hinaus. Mitte der 1660er Jahre stand er in Korrespondenz mit Karl Lichtenstein-Castelcorno, dem Fürstbischof von Olmütz und Sohn Kaiser Ferdinands II. Karl unterhielt an seinem Hof in Kremsier (heute Kroměřiž) eine Gruppe hervorragender Musiker. Bei Schmelzer gab er verschiedene Werke in Auftrag, einschließlich der festlichenSonate la Carioletta, die vermutlich zur Feier seines Namenstags komponiert wurde. Obwohl Dietrich Buxtehude heute ammeisten für seine Orgelwerke bekannt ist, schuf er auch viele Stücke für Kammermusik. Seine großartige Sonata à tre in G-Dur könnte sehr wohl bei seinen Abendmusik-Konzerten, die er jeden Sonntagnachmittag in Lübeck veranstaltete, zu hören gewesen sein. Buxtehudes virtuoses Komponieren für die Viola da gamba war von den brillanten Spielern beeinflusst, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von England nach Deutschland emigriert waren. Hier verwendet Buxtehude die italienische Sonatenform, um aus aufeinander abgestimmten Dialogen im Wechsel mit leidenschaftlichen Soli ein musikalisches Bauwerk von großartiger, schwebender Balance zu errichten. Kerlls Werke für Tasteninstrumente zeigen seine Meisterschaft in den beiden großen nationalen Stilen seiner Zeit: extravagante italienische Toccatas und elegante französische Tanzsuiten. Seine kunstvolle Passacaglia, 1676 in einer Münchener Sammlung veröffentlicht, ist ein schönes Beispiel dafür, wie in Süddeutschland italienische Virtuosität in eine klassische französische Tanzform eingebunden wurde. SeineSonata à 2 erschien in einer umfangreichen Anthologie mit 157 Sonaten, die der Kleriker Franz Rost vermutlich für den Markgrafen von Baden-Baden zusammenstellte. Kerll sondiert hier den Reichtum der konzertanten Sonate mit ausgedehnten Soli für beide Violinen, bettet jedoch all diese Virtuosität in eine für Süddeutschland charakteristische lyrische Melancholie ein. Wir beschließen unser Programmmit einer späten Sonate von Johann Rosenmüller, dessen ungewöhnlicher Lebenslauf zu interessanten musikalischen Entwicklungen führte. Zu seiner Zeit war Rosenmüller in Leipzig die Leitfigur in der Musikszene und sollte gerade seinen neuen Posten als Thomaskantor antreten (die Stelle, die Bach dreißig Johann Heinrich Schmelzer Allegorie auf die Freundschaft von Johannes Voorhout, 1674. Am Cembalo sitzend Johann Adam Reincken, links daneben vermutlich Buxtehude an der Viola da gamba. 99

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