Tage Alter Musik – Programmheft 2025

rend die Sonatae Violino Solo in der reihe Denkmäler der Tonkunst in Osterreich (DtÖ) bereits 1898 und die Rosenkranz-Sonaten 1905 herausgegeben wurden, erfolgte die wissenschaftliche neuausgabe der Harmonia erst im Jahr 1956, die erste aufnahme mit alice Harnoncourt und Walter Pfeiffer im Jahr 1964. noch der amerikanische Forscher David D. boyden (Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761, 1971) würdigte zwar bibers beitrag zur entwicklung der Violintechnik, die sammlung Harmonia ließ er jedoch unerwähnt. Was waren nun die gründe für diese auffallend verzögerte akzeptanz der Harmonia? sie scheinen paradoxerweise wohl dieselben zu sein, die ihre faszinierende einzigartigkeit bilden: Die in seiner zeit einmalige Verbindung von hochvirtuoser Violintechnik und der sog. skordatur, die aber nicht wie üblich nur in einer solostimme, sondern in triosonatenbesetzung (die neben Violinen auch skordierte Viola sowie Violen d’amore mit einschließt) eingesetzt wurde. Damit sprengt die sammlung bei Weitem die üblichen anforderungen virtuoser Violinliteratur, die nur wenige spezialisierte interpreten Tage alTer Musik regensburg konzert 13 VIer FraGen an … susanna ogata Violine Newton Baroque 1. Welche erinnerung haben sie an Ihre erste begegnung mit den TaGen aLTer mUsIK regensburg und was verbinden sie mit dem Festival? Mein erster auftritt bei den taM fand 2017 statt, als der Pianist ian Watson und ich teile unseres beethoven-Projekts aufführten. ich war ganz ergriffen von der schönheit der Musik, die von so vielen verschiedenen ensembles aus aller Welt in diesem historisch einmaligen regensburg aufgeführt wurde. Jenseits unseres eigenen auftritts nahm ich lebhaften anteil an den unterschiedlichen konzerten und profitierte von einer fast magischen erfahrung, als ich die stadt wie eine Pilgerin durchquerte, um eine reihe von erstklassigen konzerten der alten Musik an so authentischen und ideal geeigneten orten zu hören. ich habe unvergessliche aufführungen gehört, angefangen vom eröffnungskonzert der regensburger Domspatzen und dem l´orfeo barockorchester bis zu den wunderbaren konzerten mit dem ensemble Masques oder den scherzi Musicali. Diese liebe und begeisterung für alte Musik habe ich nie zuvor gespürt. Jedes dieser konzerte war voll besetzt mit einem enorm begeisterungsfähigen Publikum, die ganze stadt vibrierte! Was für ein unvergessliches erlebnis! 2. Um jemanden für das „abenteuer“ alte musik zu begeistern, was raten sie ihr/ ihm? Gibt es zum beispiel ein musikstück, das er/sie unbedingt hören sollte? Die alte Musik ist in der tat ein abenteuer! ich habe über die Jahre hin erkannt, wie viel es da wirklich zu entdecken gibt, wenn man sich diese komponisten anschaut: diese enorme kreativität, diese Vielfalt an einzigartigen klangfarben! Den neulingen, die bisher nur die sogenannten „großen“, bach, Händel und Mozart kannten, würde ich raten, zu denen zurückzugehen, die diese beeinflusst haben. Da gab es so viel einfallsreichtum und so große experimentierfreude im 17. Jahrhundert! Man muss sich da nur die Musik von bertali, Frescobaldi und buxtehude anhören, oder ignaz Franz biber, dessen Harmonia Artificioso Ariosa wir heuer bei den taM spielen werden. seine Musik animiert das spirituelle und die Fantasie. seine virtuose technik von verschiedenen stimmungen der Violine in diesen Partitas erzeugt eine besondere atmosphäre und ist seiner zeit weit voraus. auch in späteren kompositionen der barockzeit oder der klassik wurde diese technik der skordatur kaum eingesetzt, jedenfalls nicht in demausmaß, wie biber davon gebrauch machte. ich habe schon oft erlebt, dass liebhaber klassischer Musik regelrecht in Verzückung gerieten, wenn sie bibers kompositionen und insbesondere seine skordaturtechnik zum ersten Mal hörten. 3. Welches musikstück/welcher Komponist der alten musik findet Ihrer meinung nach im Konzertleben zu wenig beachtung („Geheimtipp“)? Wenn ich darüber nachdenke, fallen mir viele komponisten ein, aber immer wieder komme ich zu georg Muffat zurück. zu seiner zeit war er ein Pionier, ein deutscher komponist schottisch-französischer abstammung, der in europa über viele grenzen hinweg reiste und sich mit den Musikstilen vieler Völker vertraut machte. Muffat studierte in italien und Frankreich, lebte und arbeitete eine zeit lang in Deutschland und Österreich und ließ sich von den Vorlieben so unterschiedlicher komponisten wie Corelli und lully inspirieren. seine schriften über aufführungspraxis liefern unschätzbare einblicke in den interpretationsstil dieser länder im 17. Jahrhundert und seine eigene Musik zeigt einen so reichen, farbigen Querschnitt dieser nationalen stile. in seinen Violinsonaten findet sich eine bestechend raffinierte struktur: für mich übt nach einer Forschungsreise durch alle möglichen tonarten und harmonischen gefüge die rückkehr zur anfangsharmonik am ende eines Werks immer wieder eine ganz besondere Wirkung aus. Mir gefallen auch seine armonico-tributo-sonaten oder seine orchestersuiten im Florilegium Primum et secundum. und seine einzige erhaltene Messe „Missa in labore requies“ darf in diesem zusammenhang auch nicht übersehen werden. er hat so viele musikalische einflüsse von so vielen verschiedenen Musikstilen zu einem einmalig schönen Werk verwoben. 4. Wie sehen sie die zukunft der alten musik im Konzertleben der nächsten 10 Jahre? Meine Voraussage lautet, dass die alte Musik in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich wachsen und gedeihen wird. Von meinem günstigen ausgangspunkt in boston, Massachusetts, aus und bei meiner arbeit im nordosten der usa sehe ich ein regelrechtes Überschäumen in der Musikszene mit so vielen jungen künstlern, die darauf brennen, mehr über die Welt der alten Musik zu erfahren. Während der letzten vier Jahre hatte ich am new england Conservatory gelegenheit, mit studenten zu arbeiten, die durch das Pratt residency-Programm mehr über die historische aufführungspraxis lernen wollten. es gibt eine Menge an interessierten studenten, mit oder ohne examen, die beabsichtigen, sich diesem gebiet zuzuwenden. einige haben sogar schon die initiative ergriffen und ihre eigenen ensembles gegründet. Das Harvard baroque orchestra z.b., das von der Harvard university gesponsert wird, unterstützt studenten aus vielen bostoner Colleges und konservatorien, die sich der alten Musik verschworen haben. Derzeit ist dieses orchester bis zu seiner kapazitätsgrenze voll besetzt mit studenten, die von der alten Musik begeistert sind. und die Handel- und Haydn-society, deren Mitglied ich bin, bietet die stone Fellowship an, ein zweijähriges Programm, das junge Musiker in ihrer karriere in der alten Musik fördert. entlang der ostküste der usa gibt es eine ganze reihe von Programmen, die die liebe zur alten Musik fördern, einschließlich des Privatstudiums für historische aufführungspraxis an der Juilliard school. ich sehe ummich herum tatsächlich eine große anzahl von Programmen und Projekten mit vielen jungen künstlern, die sich für die alte Musik begeistern. Foto: Hanno Meier, 2017 105

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