Tage Alter Musik – Programmheft 2025

Tage alTer Musik regensburg konzert 4 auch, dass höfischer tanz nie nur ein bloßes gesellschaftliches Vergnügen war. Die symbolik dieser kunst sollte in der anmut und der Perfektion der bewegungen den göttlichen Funken in das erdgebundene menschliche Dasein bringen. Von den mittelalterlichen estampies zu den ersten choreographien unsere reise beginnt im Frankreich des 13. Jahrhunderts mit einem sehr alten genre, über das wir nur wenige informationen besitzen: der estampie. Der name dieses tanzes, in dem offene und geschlossene Formationen verbunden werden, scheint vom deutschen „stampen oder stampfen“ abgeleitet zu sein, was darauf schließen lässt, dass lautes aufstampfen mit den Füßen dafür charakteristisch ist. La Tierche Estampie Roiale, die wir hier mit schalmei, busine und Perkussion aufführen, ist typisch dafür. Wir haben es einem stück aus dem obengenannten Manuskript zugeordnet, Danse Roial, das einen lebhafteren rhythmus hat und doch mit derselben ernsthaftigkeit und kampfbereiten Würde zu grollen scheint. einen völlig andersartigen Charakter haben die schlichten und malerischen ducties. sie entstanden wahrscheinlich als begleitung zu den tänzen auf den Vorplätzen der kirchen. ihr stil kontrastiert mit dem eher turbulenten Charakter des Retrove, einem der seltenen beispiele für polyphone estampies. Wir haben diesen tanz aus dem Codex Robertsbridge, ursprünglich für ein tasteninstrument geschrieben, zu einemWettstreit zwischen zwei blockflöten umgeschrieben. Danach tauchen wir mit der Manfredina und der Rotta kurz in das 14. Jahrhundert ein. Diese beiden Melodien entstammen einem anonymen Manuskript aus Florenz und wir haben uns die Freiheit genommen, letztere rhythmisch etwas fülliger zu gestalten, um den hypnotischen groove zu zeigen, zu dem uns diese sehr alte Melodie inspiriert hat … Das rondeau Triste plaisir et douloureuse joie von gilles binchois (1400– 1460), ein klagelied, das sich zwischen Freud und leid eines liebenden Menschen hin- und herbewegt, war Vorlage zu einer basse danse desselben namens in der bekannten sammlung mit basses danses der Margarete von Österreich. Wir haben dazu zwei weitere stimmen komponiert und spielen den tanz mit den von den Herzögen von burgund favorisierten instrumenten – zugtrompete, bombarde, schalmei –, deren strahlender und triumphierender klang die bedeutung einer der größten politischen Mächte des 15. Jahrhunderts unterstreicht und den feierlichen aspekt dieser tanzgattung betont. ein wenig später, Mitte des 15. Jahrhunderts, erschienen in italien die ersten schriften über den tanz: die tanzmeister Domenico da Piacenza, giovanni ambrosio und auch antonio Cornazzano, die in Diensten von wohlhabenden italienischen Familien standen, beschreiben elegante Choreographien für die balli, saltarelli und bassadanze. so illustrieren hier die Zogliaxa, der saltarello Les Petits Riens oder Voltate in ça Rosina die ersten aristokratischen tänze, deren Melodien und choreographische anleitungen noch vollständig erhalten sind. Wir spielen sie als „improvisierte Mehrstimmigkeit“, wie es zur damaligen zeit wohl brauch war. Basse danse, ein sinnbild des 15. Jahrhunderts Die basse danse stellt die höchste Form der musikalischen und choreographischen Verfeinerung des tanzes im 15. Jahrhundert dar. es handelt sich dabei um Paartänze mit genau vorgeschriebenen, elegant und gravitätisch gleitenden bewegungen ohne Hüpfer, sprünge oder imponierendes aufstampfen in einer sehr getragenen taktart. Dieses anmutig fließende und gleichzeitig würdevolle schreiten, das den Männern Dominanz und den Frauen zurückhaltung auferlegt, ist voller symbolik für die adelsherrschaft. Musikalisch gesehen funktioniert die basse danse nach einem sehr speziellen Modell, da als Maßstab für die tanzschritte und -figuren nur ihre langsamste und sehr einfache grundlegende Melodie notiert wurde, und zwar fast ausschließlich im tenor. Die anderen stimmen mussten sich an dieser basis, die die tanzbewegungen festlegte, orientieren und ihre Polyphonie von dieser grundlage aus selbst finden und notieren. Diese Methode der notation wurde in der renaissance von vielen Musikern wiederbelebt und auch auf andere Musikgenres (lied, profane und geistliche Musik) übertragen. Die Melodie der Spagna, im 15. Jahrhundert sehr populär, erlaubte uns, in unterschiedlichen stilen arrangierte stücke zu diesem thema zu kombinieren. Das erste, Re di Spagna, wurde von antonio Cornazzano mit den zugehörigen tanzschritten unterhalb der Partitur versehen und umfasst nur die 48 noten der originalpartitur. Wir haben nach art eines improvisierten Duos eine oberstimme hinzugefügt. Das Manuscrit du Roi oder auch Chansonnier du Roi ist eine mittelalterliche französische Liederhandschrift aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Sie ist als Manuscrit Français 844 in der französischen Nationalbibliothek archiviert. 43

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