Tage Alter Musik – Almanach 2007

Wellness-Tage fürs Gehör Die Tage Alter Musik in Regensburg frischen an einem Wochenende die Sinne wieder auf (Regensburg, 25.-28. Mai 2007) Immer, wenn die Regensburger Tage Alter Musik zu Ende sind, hat man das Gefühl, es sei alles viel zu schnell gegan- gen. Waren das wirklich neun Konzerte, die man an drei Tagen gehört hatte? Neun von 14, die man hätte hören können? Jedes einzelne hat einen tiefen Eindruck hinterlassen, als Unikat aus dem speziellen Klang der Instrumente und dem Raum, in dem diese Musik erklang. Kann man so viel in so kurzer Zeit überhaupt aufnehmen, verarbeiten? Es ist wohl das Geheimnis der Regensburger Dramaturgie, dass man es nicht nur kann, sondern es auch will. Die Fahrt zu den Tagen Alter Musik bedeutet das Eintauchen in ein Gesamtkunstwerk. Wie lange getrennte Partner werden hier Kompositionen vergangener Jahrhunderte mit den Räumen zusammengebracht, zu denen sie gehören. Kirchen und Säle, die bis in das neunte Jahrhundert zurückreichen. Räume, in denen Europas Geschichte verhandelt wurde, wie im Reichssaal, in dem über Jahrhunderte die Reichstage stattfanden. Wäre Guillaume Dufay (1397 bis 1474) je in Regensburg gewesen, er hätte seine Messen und Motetten in genau derselben Dominikanerkirche (erbaut ab 1246) auf- führen, gar uraufführen können, in denen ihnen im Nachtkonzert am Samstag das Publikum des Jahres 2007 mit Ergriffenheit lauschte. Wenn sich ihrer ein so kundiges und inspiriertes Ensemble annimmt wie “Cantica Symphonia” aus Italien, dann ergreift derart große Musik die Gelegenheit des idealen, weil geradezu aus ihm geborenen Raumes, um über sich hinauszuwachsen. Sie nutzt die Wölbungen und Weitungen des Raumes, seine Winkel und Nischen, um den Hörer von überall zu erreichen und “gefangen” zu nehmen. So setzt Regensburg auch das Privileg ins Recht, Musik im Sinne des Wortes einmalig und einzigartig zu hören. So, wie dies die Menschen vor der Erfindung der Schallplatte taten. Dieses Erlebnis lässt sich auch mit der feinsten High-End-Anlage nicht reproduzieren. Mehr Musikliebhaber denn je waren sich beim Jahrgang 2007 des Festivals dieser Chance bewusst; fast jedes Konzert war ausverkauft, nicht wenige überbucht, so dass viele Zuhörer wenigstens im Stehen dabei sein wollten. Weitere Höhepunkte dieser Einheit von Raum und Musik waren: Das Konzert des “Ricercar Consort” mit vier Bachkantaten in der mit dem verspielten Überfluss des Rokoko verzierten Stiftskirche Unserer Lieben Frau zur Alten Kapelle. Papst Benedikt der XVI. hat deren neue Orgel geweiht, und die Kirche ist wahrhaft ein magischer Ort. Das Ricercar Consort sang und spielte die Kanten BWV 18, 106, 150 und 4 in kleinster Besetzung, die Chorpartien solistisch besetzt. Ein Klang erfüllte die Kirche, dessen Bässe körperlich zu spüren waren und dessen Höhen wie von oben herabzuschweben schie- nen. Das Glück wäre vollkommen gewesen mit ein bis zwei Ripienisten in den Chorpartien. Bach wusste schon, dass sein Satz dadurch strahlender wird, dass das Wort des Chores schwerer wiegt als das der Solisten, dass die Kantaten dadurch eine wesentliche Dimension dazu gewinnen. Davon abgesehen war dieses Konzert das professionellste, das stil- sicherste der gehörten Konzerte. Die vier Sänger und zehn Instrumentalisten des Ricerar Consorts brauchen nichts mehr auszuprobieren. Worauf es bei Bach ankommt, das haben sie im Blut. Hoffentlich gibt die beim Label “Mirare” erschie- nene CD mit diesem Programm all das wieder, was Raum und Interpreten in Regensburg für Bach anzubieten hatten. Ebenso glücklich fügte sich die Musik, die das amerikanische Renaissance-Bläserensembles “Ciaramella” aus Los Angeles mitgebracht hatte, in den Raum der Minoritenkirche am Dachauer Platz. Wegen ihres Volumens und ihrer Weite hat diese heute als Museum genutzte Kirche einen enormen Nachhall. Schnelle polyphone Musik mit bewegter Motivik - wie die Suiten von Telemann und Rameau, die das Barockorchester “B’Rock” aus Belgien unter der Leitung von Skip Sempé dort aufführte - kommt nur diffus beim Hörer an. Die prägnant formulierten Motive der Bläserstücke von Komponisten der deutschen Früh- und Hochrenaissance, die “Ciaramella” auf Blockflöten, Pommern, Zugtrompeten, Posaunen, Sackpfeifen und einer Orgel präsentierte, hatten da genau ihren richtigen Ort. Besser als im Freien, wo solche Musik eigentlich hingehört, kommen im Raum die Obertöne zur Geltung, mischen sich mit denen der anderen Instrumente zu einem wie von selbst schwebenden Klang-Ganzen. Auch bei kleiner Besetzung wirkt diese Musik enorm festlich und würdevoll. Sehr berührend waren die Stücke mit Gesang, für die die amerikanischen Solistinnen Anna Levenstein und Debra Nagy das Mittelhochdeutsch mit bewundernswerter Verständlichkeit einstudiert hatten.

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