Tage Alter Musik – Almanach 2007

Perfekt aufgehoben war das Barockensemble “I Furiosi” aus Toronto, als es im Reichssaal Concerti von Vivaldi und anderen Barockkomponisten und Arien von Purcell und Händel musizierte. Klanglich jedenfalls. Denn gerade eine Minibesetzung wie die der “Furiosi” - zwei Violinen, Viola, Cello, Bass, Cembalo, Flöte und Stimme - präsentiert der Saal wie in einem Brennspiegel. Jedes Instrument ist ortbar, hörbar, fühlbar. Die Musikerinnen und Musiker gingen bewusst mit Drive zur Sache und unterstrichen ihre Furchtlosigkeit durch ihr Auftreten als Punks: blasser Teint, schwarze Kluft, buntes Haar, wie eine Schar von Anhängern des Nigel-Kennedy-Kultes. Das macht ihre Musik allerdings nicht besser: von Giardino Armonico bekommt man es farbiger, von Europa Galante mit mehr Eleganz. Aber es gab auch Konzerte, die ohne die Magie von Raum und Klang funktionierten: Monteverdis “Orfeo” im Theater Velodrom etwa, einer Art Kulturarena, in der vorübergehend das Theater Regensburg spielte und in dem jetzt Musicals gegeben werden. Vielleicht ist auch “Orfeo”, die erste überzeitlich vollgültige Oper, eine Art Musical für die auftragge- benden Gonzagas gewesen. Die Oper handelt von Liebe, von tragischem Verlust und einer Art happy ending. Im Velodrom machte das italienische Madrigalensemble “La Venexiana” eine bunte Show daraus, halbszenisch, mit Kostümen aus dem Heute. Das hilft der Fantasie immer recht gut auf die Sprünge. Am musikalischen Teil vermißte man nichts, außer, dass in der Intrada die Pauken fehlten. “La Venexiana” hat sich ein gutes Orchester zusammengestellt; dass herausragende Sänger mitwirken, die auch Solopartien ausgestalten können, hat die Gruppe schon immer bewiesen. Ohne exponierte Stars zu beschäftigen, führte das Ensemble die Oper zu ihren Wurzeln zurück, zum Madrigal. Jene, die in Mantua die Madrigale Monteverdis aufführten, mussten auch in der Lage sein, diese Oper überzeugend herüberzubrin- gen. Was für “La Venexiana” zu beweisen war. In diesem Raum mit seiner trockenen, aber sympathischen Akustik hätte auch das andere große Konzert der Regensburger Tage gut gepasst: der niederländische Fortepianist Arthur Schoonderwoerd führte mit seinem Orchester “Cristofori” zwei Werke Ludwig van Beethovens auf. Ist das noch alte Musik, fragten da etliche. Allein wegen ihres Alters von 200 Jahren kann die Antwort nur “ja” lauten. Und auch wegen ihrer ursprünglichen Aufführungsbedingungen. Man gab Beethovens Orchesterwerke im Saal des Palais Lobkowitz in Wien, der etwa so groß ist wie das obere Foyer am Treppenaufgang des Herkulessaals in München. Oder im Theater an der Wien, das an die tausend Zuschauer in die Höhe stapelt und mit trockenster Akustik versorgt. Also durfte Beethoven damit gerechnet haben, seine Transkription des Violinkonzerts für Hammerflügel und sein drittes Konzert für Fortepiano und Orchester (c-Moll) unter Bedingungen auf- zuführen, die praktisch jedes Instrument wie auf dem Präsentierteller darboten. Schoonderwoerd zog daraus den Schluss, dass es genügen muss, jedes Instrument des Orchesters solistisch zu besetzen, auch die Streicher. Das wurde in Regensburg in der Dreieinigkeitskirche in hinreichend präziser Akustik vorgeführt. Dennoch hätten es jeweils ein bis zwei Streichinstrumente mehr sein dürfen, um eine dort wirklich zufriedenstellende Balance zu erzielen. Im Velodrom wäre das Verhältnis zwischen den Bläsern, den Streichern und dem Hammerklavier sicher mit mehr Spannung zu erleben gewesen. Eine Ermutigung, jenen ungewohnten und stilistisch nicht korrekten Raum für Orchesterkonzerte in Zukunft in Betracht zu ziehen. Er könnte als zeitgenössischer Ersatz für all jene Konzertsäle in Schlössern und Kaufmannshäusern dienen, die Regensburg bisher nicht aufbieten konnte. Dazu bietet er eine echte Seltenheit bei den Austragungsorten der Tage Alter Musik: großzügige Pausenräume, Auslauf für das Publikum. Schoonderwoerds Interpretation jedenfalls riss wieder einmal alle aus der Lethargie der Beethoven-Routine heraus, nach der zum Klavierkonzert der größte Steinway, Fazioli oder Bösendörfer gehört, bedient von einem “Weltstar” und beglei- tet von den Symphonikern oder Philharmonikern in zwölfer- oder besser sechzehner-Besetzung vor 2000 Zuhörern. Hier dagegen klang das Soloinstrument wie eine Zauberharfe, die einmal aus Glas sein durfte und im nächsten Moment Geigentöne von sich gab. Hier schien es, als habe Beethoven für das Orchester ein Bläseroktett mit einem Streichsextett zusammengefügt. Die Bläser versteckten sich nicht auf den hinteren Rängen, hier dominierten sie auch optisch das Podium. Dennoch überdeckte keiner den anderen und alle nicht den Solisten. Überhaupt: Wie in Regensburg immer wieder der Begriff “Orchester” neu zu erleben ist in den verwegensten Kombinationen der Instrumente, wie immer die Rolle von “Solist” und “Tutti” neu überdacht, erprobt und definiert wird, das ist ein Hör-Abenteuer ohne Ende. Für das gesamte Programm zeigten sich die Veranstalter unerschöpflich neu inspiriert von der Fülle der Musik, dem Reichtum und den Fügungen ihrer Geschichte. Man muss an Orte wie die Tage Alter Musik Regensburg fahren, man muss dort gewesen sein, um sich sein Gehör wieder einzurichten, um es sensibel zu machen nach den Abstumpfungen des alltäglichen Musikbetriebes. Hier kann man erleben, wie frisch, wie neu, wie verwegen die “alte” Musik einmal war und mit welchem Mut Komponisten zu ihrer Zeit ans Werk gingen. Nicht, um die Geschichte neu zu schreiben. Sondern um ihre eigene Musik zu erleben und sie zum Erlebnis zu machen. Laszlo Molnar

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