Tage Alter Musik – Almanach 2007

kammermusikalischen Intimität, die allerdings dem allzu großen Raum der Dreieinigkeitskirche Tribut zahlen musste. So konnte sich Céline Frischs sehr schönes kantables Spiel in Johann Sebastian Bachs Cembalokonzert d-Moll BWV 1052 leider nur bedingt gegen den tragfähigeren Streicherklang behaupten. Leichter hatte es da Petr Skalka im beeindruckend souverän dargebotenen Cellokonzert a-Moll des Bach- Sohnes. Nach der Pause unterstrich Café Zimmermann mit dem Tripelkonzert für Traversflöte (Diana Baroni), Violine (Pablo Valetti), Cembalo, Streicher und Basso continuo BWV 1044 von Johann Sebastian und der furi- os gespielten Sinfonie h-moll von Carl Philipp Emanuel Bach nochmals seine herausragende Klasse. Inzwischen ist es Abend geworden… Eine mondäne Hochzeitsgesellschaft feiert mit Champagner, bei fröhli- cher Musik und schwülwarmen, beinahe schon tropischen Temperaturen die Vermählung des berühmten Sängers Orfeo und seiner Euridice. Ein Schlangenbiss macht dem jungen Glück ein jähes Ende und Orfeo augenblicklich zum Witwer. Der Sänger fügt sich allerdings nicht kampflos in sein Schicksal. Er macht sich auf den Weg, um der Unterwelt seine Gattin kraft der Musik wieder zu entreißen. Vergeblich, wie wir seit 400 Jahren wissen, als nämlich Claudio Monteverdi seine Favola in musica „Orfeo“ am 24. Februar 1607 erstmals aufführte. Das Datum gilt als die eigentliche Geburtsstunde der Oper. In Regensburg wurde das Jubiläum mit einer Interpretation durch das italienische Ensemble La Venexiana gefeiert. Die klimatischen Bedingungen im Velodrom, einer ehemaligen Radsportstätte, waren sicherlich nicht als Bestandteil der in sich stimmigen, unterhaltsamen Inszenierung von Paolo Reggiani geplant. Sie verlang- ten nichtsdestotrotz den Akteuren auf der Bühne wie dem Publikum im Zuschauerraum eine Menge Stehvermögen ab. Dennoch wurden die hohen Erwartungen, die man an dieses Ereignis knüpfen durfte, mehr als erfüllt. Mirko Guadagnini gab einen leidenschaftlichen Orfeo und meisterte die Tücken dieser hochvirtuo- sen Partie mit Bravour. Emanuela Galli war ihm als Euridice eine ebenbürtige Partnerin und konnte auch als La Musica überzeugen, ebenso Gloria Banditelli in der Rolle der Messagera. Cristina Calzolari (Proserpina), Matteo Bellotto (Plutone), José Lo Monaco (Speranza), Salvo Vitale (Caronte) und Raffaele Giordani (Apollo) komplettierten die hervorragende Solistenriege. Unter der musikalischen Leitung von Claudio Cavina, der zeit- weilig selbst als Countertenor in die Rolle eines Pastore schlüpfte, gelang eine gleichermaßen exzellente wie kurzweilige Aufführung, mit der La Venexiana keinen Zweifel aufkommen ließ, dass es zur Zeit im Olymp der Originalklangensembles beheimatet ist. Im Dschungel der Barockmusik Der letzte Festivaltag nahm seinen Anfang mit einem „tierischen“ Spektakel. Das kanadische I Furiosi Baroque Ensemble entführte sein Publikum in den Dschungel der Tier- und Naturschilderungen, wie sie die Komponisten der Barockzeit geliebt und gepflegt hatten. Man erlebte ein humorvoll gestaltetes Konzert, in dem spielerische, ja verspielte Elemente deutlich dominierten. Wann hört man schon einmal Marco Uccelinis Aria sopra la „Bergamasca“ von einem Hai vorgetragen? Auch Biene, Dachs und Stier betraten musizierend das Podium des Reichssaals. Neben allem offensichtlichen Spaß an der Sache ließen Gabrielle McLaughlin (Sopran), Aisslin Nosky und Julia Wedman (Violine) sowie Felix Deak (Violoncello) musikalisch keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihres Umgangs mit den Werken von Michel Pignolet de Montéclaire, Händel, Vivaldi u.v.a. Als Gäste unterstützten Jed Wentz (als äußerst kompetent Traversflöte spielender Hirsch), Max Mandel (Viola) und Olivier Fortin (der Hahn am Cembalo) I Furiosi bei ihrem unterhaltsamen Spiel. Trotz der Warnung im Programmheft verlangte das begeisterte Publikum nach einer Zugabe. Es bekam den Hit „The Eye of the Tiger“ der Rockband Survivor aus dem Jahr 1982! Zu einem Konzert der ganz leisen, äußerst intimen Klänge luden Sylvia Rhyne (Sopran) und Eric Redlinger (Tenor & Laute) in das Runtingerhaus. Das Duo Asteria widmet sich vornehmlich dem Liedgut des Mittelalters und der Renaissance. Im glücklich gewählten Ambiente des historischen Festsaals aus dem späten 13. Jahrhundert boten die sympathischen Musiker einen Einblick in die Liebeslyrik des Spätmittelalters. Im Mittelpunkt stand der „Roman de la Rose“ mit seinen zahlreichen, auch das Geistliche einschließenden, Facetten der Minne. In tadellosem Deutsch führten sie ihr Publikum in die weit zurückliegende Welt dieser Lyrik ein. Mit unaufdringlicher, gleichwohl berührender Musikalität, begleitet von wenigen Blicken und Gesten, gelangen wunderschöne Interpretationen, die sich auch unmittelbar mitteilten: ergreifend beispielsweise Christine de Pisans Gedicht „Dueil angoisseux“ über den Tod ihres Ehemanns in der Vertonung von Gilles Binchois. Selten wurde ein musikwissenschaftlicher Disput so heftig und kontrovers geführt, wie der über die These von der solistischen Besetzung der Bachschen Chöre. Die Forschungsergebnisse des amerikanischen Musikwissenschaftlers und Dirigenten Joshua Rifkin, wenngleich in der Fachwelt nach wie vor umstritten, wer- den mehr und mehr von renommierten Originalklangensembles aufgegriffen und in der Praxis erprobt. In Regensburg interpretierte das belgische Ricercar Consort unter der Leitung des Gambisten Philippe Pierlot Kantaten aus dem Frühwerk Johann Sebastian Bachs: „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt“ BWV 18, „Actus Tragicus“ BWV 106, „Nach dir, Herr, verlanget mich“ BWV 150 und schließlich „Christ lag in Todesbanden“ BWV 4. In dem mächtigen mittelalterlichen, Mitte des 18. Jahrhunderts im üppigen Rokokostil umgearbeiteten Sakralraum der Alten Kapelle konnte man eine weitere Bewährungsprobe der einst kühnen These Rifkins miterleben: Die Homogenität und Transparenz der „Chöre“ lassen, von makellosen Solostimmen vorgetragen, kaum Wünsche offen. Katharine Fuge (Sopran), Carlos Mena (Altus), Julian Prégardien (Tenor) – kurzfristig für den erkrankten Jan van Elsacker eingesprungen – sowie Stephan MacLeod (Bass) bildeten ein hervorragend aufeinander abgestimmtes Vokalquartett. Zusammen mit den Instrumentalisten des Ricercar Consort ließen sie mit ihren kompetenten, gleichfalls von großer Musikalität getragenen Darbietungen die spitzfindigen quellenkritischen Auseinandersetzungen der Musikforschung rasch vergessen. Hier wurde jenseits allen Expertenstreits Bachs Musik einmal mehr zur Entdeckung und die Interpreten entsprechend vom Publikum gefeiert.

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