Tage Alter Musik – Almanach 2009

DIE TONKUNST Stimmungsvolle Konzertvielfalt an historischen Stätten 25 Jahre Tage Alter Musik Regensburg, 29. Mai bis 1. Juni 2009 Autorin: Almut Jedicke Wer meint, Alte Musik sei verstaubt und auf eine Aufführung mehr oder weniger komme es nicht an, der wurde bei den Tagen Alter Musik Regensburg, die sich Pfingsten zum 25. Mal jährten, eines Besseren belehrt: So lebendig und stimmungsvoll wie die insgesamt 14 Konzerte oft regelrecht inszeniert waren, erschien keine Minute zu lang – zumal alle Ensembles auf hohem und höchstem Niveau agier- ten. Dies gilt auch für das italienische, von Alfredo Bernardini angeführte Zefiro Baroque Orchestra , das bereits zum fünften Mal in Regensburg zu Gast war. In diesem Jahr standen Concerti von Georg Friedrich Händel (sein Todestag jährte sich im April zum 250. Mal) auf dem Programm, darunter die Feuerwerksmusik (HWV 351). Immanente Gegensätze von prächtigen Tutti und kammermusikalischen Holzbläser-Soli hob das Orchester durch energiegeladenes oder tänzerisch-leichtes Spiel hervor, das manche Intonationsschwächen der ersten Violinen aus dem ersten Teil des Konzerts wieder wettmachte. Einen doppelten dynamischen Effekt erreichten am Ende die im Stehen spielenden Musiker, indem sie sich für Fortissimo-Passagen frontal dem Auditorium gegenüberstellten, bevor sie sich für das jewei- lige Echo wieder im Halbrund einander zuwandten – ein ansprechender Effekt, der den weiten Raum in der vollbesetzten gotischen Minoritenkirche ausnutzte. Stimmungskontraste mit farbreichen, bruchlos beinahe an die Grenze des Unhörbaren gehenden und exakten Pianissimi bot auch das bel- gische Barockorchester Les Muffatti mit seinem englischen Programm von Matthew Locke bis Thomas Augustin Arne im klassizistischen Neuhaussaal des Stadttheaters. Das Wechselspiel der einzelnen Instrumentalstimmen erhielt noch eine besondere Note, als in Henry Purcells »The Prophetess, or The History of Dioclesian« eine der beiden Violen und der Leiter Peter van Heyghen zur Blockflöte griffen, um nur generalbassbegleitet die eingängige Chaconne des weiteren Jubilars (Purcells Geburtstag jährt sich zum 350. Mal) innig vorzutra- gen. Frisch und kraftvoll musizierte das Orchester das Concerto Nr. 3 d-Moll nach Scarlatti von Charles Avison – ähnlich mitreißend die bereits dem galanten Stil verpflichtete Sinfonie Nr. 1 C-Dur von Arne. Wiederum in der Minoritenkirche überzeugte das italienische Orchester La Risonanza mit Händels frühem, 1707 in Rom komponiertem Oratorium »Il Trionfo del Tempo e del Disinganno« (HWV 46a) unter der Leitung von Fabio Bonizzoni, das wie Les Muffatti erstmals bei den Tagen Alter Musik Regensburg auftrat. Zwar war der Einstieg der Sonata nicht ganz exakt, doch die Soloviolinen ließen ihre Virtuosität sprühen, auch platzierten die Streicher ihre Einwürfe bei den Oboensoli präzis. Dynamische Entwicklung und ausgeprägte Bassimpulse waren von Anbeginn präsent. Vielleicht hatte das Martinshorn eines vorbeifahrenden Rettungswagens direkt vor dem ersten Einsatz abge- lenkt, das nochmals während eines Rezitativs das rege Leben in Regensburgs Altstadt zu Bewusstsein brachte. In diesem kurzweiligen, einschließlich Pause knapp dreistündigen Konzert – der Beginn des folgenden Nachtkonzerts in der Dominikanerkirche wurde spontan hin- ausgezögert – wurde Händels reichhaltige Komposition so unterhaltsam musiziert, wie es das recht überschaubare Libretto nicht hatte erwarten lassen. Allen voran begeisterte die Sopranistin Nuria Rial als Bellezza, die Schönheit. Im Kampf um deren Seele stritten Piacere, das Vergnügen (Yetzabel Arias Fernandez, Sopran), Disinganno, die Enttäuschung (Elena Biscuola, Alt), und Tempo, die Zeit (Krystian Adam, Tenor), mit ihr, die vor der Entscheidung stand, in ihrem Leben Piacere oder Verità zu wählen. Letztendlich siegte die Wahrheit. Die Vokalisten verdeutlichten einfühlsam den Textgehalt – besonders Nuria Rial bezauberte neben ihrer klaren beweglichen Stimme mit Gestik und Mimik, indem sie keck der Zeit ein Schnippchen schlug oder sich noch einmal in der Schlussarie mit großer Ruhe in die Herzen der Zuhörer sang, sanft vom Orchester begleitet, das insgesamt, wo möglich, die Textausdeutung der musikalischen Figuren unterstützte – her- vorragende Musik, großartig und wundervoll interpretiert. Schwungvolle Klangpracht in unterschiedlichen instrumental-vokalen Besetzungen entwickelte das Ensemble La Chapelle Rhénane aus Frankreich (mit einigen in Deutschland beheimateten Musikern) unter dem Tenor Benoît Haller mit kleinen und großen geistlichen Konzerten von Heinrich Schütz in der gotisch-barockisierten St.-Oswald-Kirche. Dass nicht alles perfekt übereinander passte, mag an der zwar akustisch reizvollen, doch für die Musiker ungünstigen Aufstellung gelegen haben: Haller agierte dadurch, dass er selbst auch Tenor sang, aus der Mitte heraus; die Bassinstrumente verteilten sich links und rechts außen. Aber die beeindruckende Ausdrucksstärke, die gro- ßen Spannungsbögen und der warme Klang von Zinken und Posaunen ließen auch den skeptischen Hörer innerlich dahinschmelzen. Das Ensemble Le Poème Harmonique unter Vincent Dumestre (Theorbe und Barockgitarre) zeigte viel Spielfreude während seines eben- falls in der Oswaldkirche aufgeführten kurzweiligen Programms »Un voyage en Europe« mit Werken von Charles Tessier, der in der zwei- ten Hälfte des 16. Jahrhunderts als Kammermusiker des französischen Königs Heinrich IV., aber auch des Landgrafen Moritz von Hessen wirkte. Vielfalt in der vokalen und instrumentalen Kombination bei den Strophen der einzelnen Airs – mit oft kunstvoll ausgezierten Wiederholungen – und nahtlose Übergänge rissen die Hörer mit. Da theatralische Einlagen der Sänger für zusätzliche Stimmung sorgten, verwunderte es auch nicht, dass als zweite Zugabe ein französisches Chanson aus dem 20. Jahrhundert mit Zink, Gamben und weiteren alten Instrumenten geboten wurde, zu der die Sänger durch das Mittelschiff tanzten. Schauspielerische Qualitäten bewies auch das fünf- köpfige Ensemble Ex Umbris aus den USA, das bereits mehrmals in Regensburg zu Gast war, im Leeren Beutel, einem alten ehemaligen Getreidespeicher. Mit Musik des elisabethanischen Zeitalters (für Gesang, verschiedene Flöten, Violine, Viola da Gamba, Cister, Laute, Dudelsack, Maultrommel, Handtrommel) führte es den Liedinhalten angemessen teils behutsam, teils drastisch inszeniert durch die ver- schiedenen Ausprägungen von Melancholie. Eine ganz andere Wirkung entfalteten die beiden ersten Nachtkonzerte: Die österreichische Capella Incognita verzauberte unter Marcus Hufnagl mit barocken Werken zum Thema Nacht im um 1630 gebauten Reichssaal des Alten Rathauses. Energische Forte- und federleich- te Piano-Stellen bei akkurater Artikulation erzeugten große Plastizität. Vivaldis Konzert g-Moll op. 10 Nr. 2 »La notte« war vollkommen neu zu entdecken – kontrastreich herausgearbeitet die spritzigen Tutti-Einwürfe gegenüber fahler Streicher-, hier auch sparsamer Cembalobegleitung, nuancenreich das Fagott-Continuo und virtuos die Blockflöte (Mariella Cuchiero). Sie musizierte angenehm leicht und wirkte immer bedacht, klanglich als Farbe zu dienen, ohne das Solistische in den Vordergrund treten zu lassen – eindrucksvoller ließen sich die unterschiedlichen Aspekte der Nacht kaum vorstellen. Auf andere Weise verzauberten die acht Sängerinnen und Sänger des fran- zösischen Ensembles Ludus Modalis (Leitung: Bruno Boterf) in der frühgotischen Dominikanerkirche mit Werken des um 1537 in der Picardie geborenen Paschal de L’Estocart. Text und Musik (homophon bis kunstvoll kontrapunktisch mit kühnen harmonischen Wendungen) wirkten in der großen Kirchenakustik bereits für sich, doch das Ensemble verstand es, dem musikalischen Ausdrucksgehalt gegenwärtige Kraft zu verleihen. Die stimmig gewählten Aufführungsorte, aber auch das Flair der gesamten Altstadt hinterließen einen wunderbaren Gesamteindruck, selbst wenn man nicht alle Konzerte besuchen konnte. Alles Historische verband sich durch die unmittelbare Lebendigkeit mit der Gegenwart. Jenseits elitärer Attitüden, wie sie bei manch anderen Festivals zu beobachten sind, kam man jederzeit ins Gespräch und sah Musiker ins Konzert von Kollegen eilen. Viel Betrieb herrschte außerdem in der Ausstellung, bei der im historischen Salzstadel an der Steinernen Brücke Musikinstrumentenbauer und Musikverlage ihre Produkte präsentierten. – Gleich, wohin Krisen ökonomischer Art in Zukunft führen werden, die Tage Alter Musik Regensburg haben dank ihres unkomplizierten dreiköpfigen Organisationsteams das Potenzial, jene unbe- schadet zu überstehen und ihre traditionellen Pfingstwochenenden weiterhin so qualitätvoll und atmosphärisch reich fortzusetzen.

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