Tage Alter Musik – Almanach 2009

www.klassik.com Vier Tage – 700 Jahre Autorin: Andrea Braun Die neusten Entwicklungen, Musiker und Ensembles in der Szene der Alten Musik, eine Zeitreise durch 700 Jahre Musikgeschichte, ein fröhliches Treffen von Freunden und Musikern der historischen Aufführungspraxis: Das alles bieten jedes Jahr wieder die Tage Alter Musik Regensburg, die dieses Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum feierten, dabei aber nicht nur mehrere Deutschland- und Europapremieren von Ensembles, sondern auch durchaus bewährte Größen zum Entzücken ihres Publikums aufboten. Was vor einem Vierteljahrhundert mit der privaten Initiative dreier Alte-Musik-begeisterter ehemaliger Regensburger Domspatzen begann, hat sich inzwischen – und übrigens immer noch im Wesentlichen unter der gleichen Leitung – zu einem alljährlichen Gipfeltreffen der internationalen Szene entwickelt, zu dem auch heuer wieder über 8000 Besucher, nicht nur aus Regensburg und Umgebung, sondern mehr noch aus ganz Deutschland und auch dem Ausland angereist waren. 14 Ensembles und Orchester an neun verschiedenen historischen Spielorten konnte diese Alte-Musik-Gemeinde wieder erleben – was, auf drei Tage und einen Abend verteilt, eine nahezu zwangsläufige ästhetische Reizüberflutung für den ehrgeizigen Konzertbesucher bedeutet. Doch die neuen Eindrücke an Ensembles und Klangideen, die interessanten und abwechslungsreichen Programme vom Main-Stream bis zur Neuentdeckung und die vielfach hervorragenden Interpretationen, die man hier erleben kann, machen die anschließende körperliche und geistige Erschöpfung zweifelsohne wett: Regensburg lohnt sich. Was die sämtlich ausverkauften Konzerte der Jubiläumsedition wieder einmal bezeugten. Und da spreche ich auch von mitternächtlichen Aufführungen einstimmiger, mittelalterlicher Gesänge, ein Genre, das die meisten – und sicher die vor allem ökonomisch orientierten – Festivaldirektoren fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Doch Regensburg beweist, dass hierfür durchaus ein Publikum existiert (und sei es auch ein Stück weit deshalb, weil man es sich über Jahre herangezogen hat): Ein Publikum, das die 90 Minuten auf den wahrlich nicht gerade zur Entspannung einla- denden Büßerbänken der Regensburger Kirchen nicht nur willig, sondern gar enthusiastisch auf sich nimmt, auch wenn diesem Konzert am gleichen Tag schon drei weitere vorhergegangen waren. Ludwig Hartmann und Stephan Schmid, die künstlerischen Leiter des Festivals, und Geschäftsführer Paul Holzgartner setzen tradi- tionell kein Thema über ihre Veranstaltungen. Ihr Konzept beinhaltet vielmehr die Abdeckung möglichst vieler Epochen, Nationalitäten, Stilrichtungen und Besetzungen in jeder Edition des Festivals. Und so konnte man auch dieses Jahr verschiedenste Eindrücke und spannende Erfahrungen sammeln, einen wirklichen Rundumschlag an Alter Musik erleben, wie man ihn in dieser Dichte und Intensität nur bei wenigen Festivals erwarten darf. Zum Auftakt etwa ging man es in Regensburg ganz klassisch an: Die Regensburger Domspatzen und das Orfeo-Barockorchester musizierten unter Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner Mozarts „Linzer Symphonie“ und die „c-Moll-Messe“ – und setzten damit unzweifelhaft bereits Maßstäbe für den Rest des Festivals. Absolut überzeugend schon der Chor, der mit seinem Klangkonzept von zwar strahlenden, in der Höhe glanzvollen, aber dennoch immer natürlich bleibenden, durchzugskräftigen Knabenstimmen, sei- nen kräftigen, aber schlanken Männerstimmen und insgesamt guter Balance erfreute, aber auch mit bester Intonation, klarer Artikulation, homogenen Stimmgruppen und deutlicher, einheitlicher Phrasierung. Dazu passten die barocken Instrumente klanglich hervorragend, und Orfeo (Konzertmeisterin Michi Gaigg) erfreute nicht nur mit sensiblem Spiel bei der Begleitung von Chor und Solisten, sondern auch mit schönen Solo-Leistungen. Dazu hatte Büchner mit der Sopranistin Dorothee Mields einen wunderbaren Griff getan, da sie ihre Partien sensibel, oft kammermusikalisch intim gestaltete, gerade und bruchlos, dabei mit viel Glanz in der Höhe agierte. Gestalterisch wunderbar auch ihre Soprankollegin Siri Thornhill, die allerdings mit deutlich mehr Tremolo, dafür aber auch mehr Volumen aufwartete. Robert Buckland, Tenor, und Manfred Bittner, Bass, wurden ihren kleineren Partien ebenfalls gut gerecht. Büchner ging die Messe gerade in den Chören mit viel Mut zum Monumentalen an, kostete die dichten Stellen genussvoll aus, setz- te jedoch auch ausreichend zarte und intime Momente dagegen, um ein ausgewogenes Bild zu zeichnen. In seinem Dirigat wandte er sich dabei hauptsächlich an den Chor, doch das Orchester folgte seiner Gestik dennoch ausgezeichnet, überzeugte vielleicht auch gerade deshalb durch eine sehr vokale Phrasierung. Ohne Dirigent spielte Orfeo die „Linzer Symphonie“ KV 425, agierte auch hier sehr beweglich bei oft flotten Tempi, spielte bis auf ver- einzelte Streicher-Ausnahmen sehr gut zusammen und erfreute mit treffsicherem Blech. Weniger überzeugend erschien dagegen das Nachtkonzert mit dem österreichischen Barockensemble Capella Incognita mit und unter Marcus Hufnagl: Zwar musizierten die 13 Instrumentalisten sowie Bariton Gebhard Heegman sauber und technisch durchaus ansprechend. Doch hinsichtlich der musikalischen Gestaltung ihres Repertoires zum Thema „Nacht“ fehlte es den jungen Musikern durchgängig an solistischem Impetus, so dass das Programm vielfach schön gespielt, aber zu brav, mit zu wenig Akzentuierung und wenig Ausdruckswillen vor sich hin plätscherte. Einen großen Fortschritt bedeuteten da schon Les Muffatti aus Belgien, die unter Leitung von Peter Van Heyghen ein Programm mit englischer Musik des früheren und späteren Barock (Locke, Smith, Purcell, Stanley, u.a.) präsentierten. Bei den früheren Komponisten ging allerdings die von Van Heyghen für diesen Programmteil angenommene, tendenzielle Zeremonialität der Musik in der Ausführung zu sehr auf Kosten der Lebendigkeit, als dass man wirklich begeistert in die Pause hätte gehen können. Zwar agier- ten alle Beteiligten sehr sauber und in guter Balance, schwang die Musik schön, gelangen feine dynamische Abstufungen auch über längere Strecken, doch wünschte man sich als Hörer hier einfach etwas mehr Temperament, etwas weniger Schönklang. Im zweiten Teil des Programms wurde dieser Wunsch dann zumindest teilweise wahr: Zwecks der Authentizität mit kürzeren Bögen und neuem Cembalo ausgestattet, spielten Les Muffatti nun wesentlich zupackender, wagten auch ab und an härtere Akzente und mitreißender gestaltete Linien. Doch es hätte eben immer noch mehr sein können – und so verließ man das Konzert mit dem etwas paradoxen Gefühl, gerade zu viel Kultur erlebt zu haben... Exakt die angemessene Mélange zwischen Kultur und dem prallen Leben gab es dann zum Ausgleich beim Auftritt der französischen Gruppe Le Poème Harmonique unter und mit Vincent Dumestre, die Stücke aus Charles Tessiers Sammlung „Un voyage en Europe“ zu Gehör brachten. Jeder der vier Sänger des Ensembles, jeder einzelne Musiker, agierte hier mit einem furiosen Drang zur Expressivität und Intensität, so dass ein schon spieltechnisch und klanglich in jeder Hinsicht großartiges, dabei aber auch noch unge- mein mitreißendes Konzert zustande kam. Herrlich schon die faszinierende Sopranstimme von Claire Lefiliâtre, welche die Sängerin einerseits sehr gerade und präsent am Ton, andererseits ungemein beweglich und farbenreich zu führen verstand – beste Voraussetzungen für ausdrucksreiche Textdeklamation dieses Repertoires aus der Zeit um 1600. Bruno Le Levreur, Alt, Jan Van

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