Tage Alter Musik – Almanach 2009

allein der homogene, durchaus reife, aber sehr gerade, ruhige und ausgezeichnet geführte Klang der sieben Französinnen, die hier in verschiedenen Besetzungen „Visionen der Ewigkeit“ sangen, aber auch die Interpretation ließ mit ihren souverän geschwungenen, agogisch stets perfekt getimten Linien, der glasklaren Intonation der pythagoräischen Stimmung nichts, aber auch gar nichts zu wün- schen übrig. In die durch diese schwebenden Klänge, die ungemein dichte Interpretation erzeugte Atmosphäre passten hervorragend die gestimmten Handglocken, mit denen das Ensemble Intonationen spielte und viele Gesänge untermalte; übrigens nicht einfach eine originelle Idee, sondern möglicherweise durchaus authentische mittelalterliche Praxis, wie Lesne erklärte: Hat sie die Anregung doch zeitgenössischen Abbildungen Singender entnommen. Aus Kanada kam das Ensemble, welches das erste Konzert des letzten Festivaltages bestritt: La Rota besteht aus vier jungen Musikern, die im prächtigen Reichssaal der Stadt Regensburg Musik aus der Zeit Philipps IV. des Schönen (um 1300) zur Aufführung brachten, und dabei ein ebenso perfektes Konzert ablieferten, wie Discantus in der Nacht vorher: Stilgerecht gerade, dabei wohlge- führt, sangen Sarah Barnes und Tobie Miller, wobei letztere auch noch auf der Blockflöte und mit der Drehleier hervorragend agier- te. Da saß jeder Ton optimal an seinem Platze, in der richtigen Lautstärke, zum richtigen Zeitpunkt und im ebenso treffenden Verhältnis zu seinem Vorgänger oder Nachfolger. Esteban LaRotta mit Laute und Harfe sowie Emilie Brûlé auf der Fidel standen dem nicht nach, so dass man auch dieses Mittelaltererlebnis uneingeschränkt genießen konnte. Ebenso das dritte Mittelalterkonzert: De Caelis, ebenfalls ein Frauenensemble und ebenfalls aus Frankreich, sang die Messe von Tournai, die früheste polyphone Messe, die überliefert ist. Und auch hier herrschte wieder wunderbare Präzision, sangen die (dies- mal fünf) Damen unter und mit Laurence Brisset absolut homogen, dabei klanglich sehr schlank und gerade, nicht zu offen, aber immer noch natürlich. Beeindruckend angesichts dieser Literatur vor allem auch die ungemeine Virtuosität der Sängerinnen, die Bruchlosigkeit, mit der sie sich in allen Lagen bewegten. Dazu kam hier, im polyphonen Repertoire natürlich auch noch eine luzide Durchhörbarkeit, die eben durch die schlanke Klanglichkeit, aber auch durch die sehr überlegte Gestaltung jeder Linie entstand. Man sieht es also nicht nur an der Stadtarchitektur: Das Mittelalter liegt Regensburg! Ein Feuerwerk an Lebendigkeit und Esprit brannte dann ausgerechnet ein Barockorchester aus dem (relativ) kühlen Norden ab: Concerto Copenhagen, mit Leiter Lars Ulrik Mortensen am Cembalo, spielte sein Programm mit „Concerti Grossi“ von Händel und Musik von Johan Helmich Roman so entschieden, mitreißend und schwungvoll, dass es den Hörer buchstäblich immer wieder unwill- kürlich vom Sitz zu reißen drohte. Sicher, die straffen, oft geradezu scharfen Phrasierungen, die Mortensen mit seinen Musikern prak- tiziert, mögen nicht jedermanns Sache sein, können auf die Dauer auch anstrengend werden. Doch sie sorgen – und erst recht bei diesen ausgezeichneten, unglaublich sauber und glanzvoll spielenden Musikern – für eine Durchsichtigkeit, eine Durchhörbarkeit auch jeder kleinsten horizontalen Bewegung, wie man sie in einer solchen Besetzung selten erleben darf. Dazu kommt die Verve und der Mut zum auch einmal nicht mehr wohlklingenden Akzent, die ungehemmte Spielfreude der CoCo-Musiker, die sich teils schwung- voll durch die Barockmusik jazzeln, teils genussvoll verinnerlichte Kantilenen drechseln, die ein Konzert der Dänen wirklich zum Erlebnis machen. Zum Abschluss des Festivals konnte man sich dann noch ein weiteres Mal über eine wirklich gelungene Aufführung freuen: Monteverdis „L’Incoronazione di Poppea“, interpretiert von La Venexiana unter Claudio Cavina, der hier nicht nur als Dirigent, son- dern als Ottone auch in sängerischer und darstellerischer Weise aktiv wurde, in einer Inszenierung von Paola Reggiani. Wenn La Venexiana Monteverdi spielt und singt, dann ist das in gewisser Weise so, wie wenn eine süddeutsche Hausfrau Knödel zubereitet: reine Routine. Aber nicht im Sinne einer langweiligen Tätigkeit, die man schon zu oft vollführt hat, um sie noch mit Sorgfalt anzugehen, sondern in der Art einer in Fleisch und Blut übergegangenen, geschätzten und ganz natürlichen Beschäftigung im eige- nen, vertrauten Zuhause, die man mühelos vollbringen kann, in die man aber viel Liebe und Idealismus steckt. Reggiani hatte die Handlung aus dem Rom des ersten nachchristlichen Jahrhunderts in das Japan der 1960er Jahre versetzt, was optisch zu einer oft seltsam anmutenden Mischung aus japanischer Tradition und – durch quasi bildliche Zitate aus amerikanischen Filmen – Hollywood-Glimmer führte, aber im Hinblick auf die vielen, unermüdlich zwischen Ethos und Passion, Moral und Lust chan- gierenden Charaktere der Oper durchaus Sinn machte. Dem Ganzen haftete eine feine Ironie an, die natürlich schon dem Text zu eigen ist, aber hier noch verstärkt wurde, indem Reggiani etwa Senecas Freunde zum Abschied vor seinem Tode im Golf-Dress auf- treten ließ, die Arnalta immer wieder skurril überzeichnete, die moralischen Umschwünge der einzelnen Charaktere bewusst deutlich und unvorbereitet geschehen ließ. Diese Charaktere überzeugten darstellerisch allesamt uneingeschränkt; dies auch eine der großen Stärken dieses Ensembles: Dass Cavina diese Qualitäten mindestens genauso hoch schätzt wie die sängerischen. Doch auch diese ließen, zumindest in den Hauptrollen, kaum zu wünschen übrig: Cavina selbst verfügt zwar über einen etwas matt, aber damit auch sehr weich und angenehm klingenden Countertenor, so dass er in tiefen Lagen leicht dynamisch ins Hintertreffen gerät, doch führt er seine Stimme darob auch bruchlos und ohne jede Schärfe in die Höhe, gestaltet spannungsreich. Unzweifelhafte Stars des Abends waren jedoch sicherlich die beiden Hauptprotagonistinnen: Emanuela Galli als Poppea und Roberta Mameli als Nerone, die beide mit unglaublicher Expressivität antraten. Galli begeisterte mit ihrem warmen Timbre, der Wandlungsfähigkeit und Beweglichkeit ihrer Stimme, der mühelosen Technik, während Mameli klarer und noch runder sang, dabei auch feinste Pianissimi wagte, lange Töne dagegen wunderbar gera- de, fast schneidend, aber doch nie scharf anzusetzen verstand. Da konnte man sich beim abschließenden Liebesduett der beiden des Gedankens kaum erwehren, dass etwas Schöneres nachher kaum noch geschrieben wurde... Sowohl durch seine sehr farben- reiche Stimme wie besonders auch durch seine darstellerischen Glanzleistungen erfreute Tenor Ian Honeyman als Arnalta, während Xenia Meijer als Ottavia sängerisch schon ob ihrer sehr flattrigen Stimme etwas blass blieb, dafür ebenfalls als Schauspielerin über- zeugte. Das Orchester war im hinteren Bühnenbereich platziert und spielte mit und – wenn Cavina gerade als Ottone im vorderen Bereich unterwegs war – ohne Dirigenten sicher und sehr beweglich; ab und an gab es einmal kleine Temposchwierigkeiten bei einem Über- gang, doch blieben solche entschieden die Ausnahme. Die Continuo-Gruppe folgte den Sängern in den Rezitativen geradezu schlaf- wandlerisch, ob mit oder ohne Sichtkontakt, und der ganze Apparat passte sich den Stimmungen der Musik in Klangfarbe und Gestus, Strichen und Ansatz perfekt an. Ein schöner Abschluss eines Vierteljahrhunderts Tage Alter Musik in Regensburg!

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=