Tage Alter Musik – Almanach 2009

www.KlassikInfo.de Autor: Laszlo Molnar Alte Musik ohne Grenzen Die Regensburger Tage Alter Musik feierten ihr 25-jähriges Bestehen so, wie sie es am besten können: mit einem hervorragenden und inspirierenden Programm Fast vier Tage lang feierten die Tage Alter Musik in Regensburg ihr 25-jähriges Bestehen. Sie taten das auf eigentlich gewohnte Weise. Die Stadt brummte vor Konzertbesuchern, jeder Tag war von morgens bis abends mit Konzertterminen gepflastert, und wie immer staunte der Besucher über die Schönheit der Räume, in denen die Konzerte stattfinden. Was konnte dieses Festival zum Jubiläum eigentlich Besseres tun als genau das, wofür es nun schon ein viertel Jahrhundert lang bekannt ist? Kommt man nun schon seit gut einem fünftel Jahrhundert selbst zur Alten Musik nach Regensburg, dann genießt man jedes Jahr wie- der dieses Gefühl der Vertrautheit und des gut Aufgehobenseins. Es ist, als käme die Familie wieder zusammen. In der Tat sind es Menschen, die sich riesig auf dieses Ereignis in der prächtigen Donaustadt freuen und gespannt sind auf das, was das Festival ihnen diesmal präsentieren wird. „Die waren ja schon viermal hier“... in solch einem Kommentar schwingt fast schon Enttäuschung mit, wenn dem Sitznachbarn beim Nachtkonzert in der gotischen Dominikanerkirche das exquisite Vokalensemble „Ludus modalis“ aus Frankreich etwas zu sehr bekannt vorkommt. Ja, in Regensburg erwartet man auch vom ganz Alten das ganz Neue. Insofern ähnelt dieses Festival der Alten Musik ganz stark einem Festival der Neuesten Musik: vor allem möchte man Überraschungen erleben. Aber die gab es, keine Sorge. Zum Beispiel mit Händel. Öhhh, so bekannt, alter Hut, schon wieder der.... von wegen! Wer zum Beispiel hat je live Händels „Concerti a due cori“ gehört, von dem sechzigjährigen Händel geschrieben für großes Orchester, um damit maximalen Eindruck zu schinden? Um die Gunst des Hörer-Ohrs buhlen gleichzeitig Streicher, ein Chor von Holzbläsern und ein Chor von Blechbläsern. 100 Musiker hätten es nach der Vorstellung Händels schon sein können. Die feuern dann eine Mixtur von Händels „Greatest Hits“ auf die Zuhörer ab, die brillantesten Chorsätze aus des Meisters großen Oratorien wie Messiah, Belshazzar, Saul und Esther, vom ihm selbst aufs Opulenteste auf diese Instrumente verteilt. In der frühgotischen Minoritenkirche aus dem 13. Jahrhundert, die heute dem Stadtmuseum angeschlossen ist, ließ das „Zefiro Baroque Orchestra“ mit diesen Prachtstücken die historischen Wände wackeln. Zwar nicht 100 Leute, aber genug für den ganz großen Klangeindruck. Da merkt man erst, wie viel an Musikzierlust, an genialem Einfall, an Genuss des Instrumentalklangs einem in den Routine-Programmen großer Sinfonieorchester vorenthalten wird. Händel, ein alter Bekannter? Wirklich nicht!! Am Morgen des Samstags hatte es schon Begegnung mit tatsächlich Unbekanntem gegeben, denn von den Namen der Komponisten - John Stanley, Charles Avison oder Thomas Augustin Arne - haben Kenner zwar schon gehört, aber nur kaum etwas von deren Musik. Die präsentierte dafür das Ensemble „Les Muffatti“ aus Belgien auf schwindelerregendem Niveau. Perfektes Zusammenspiel, seidiger Klang mit allen Nuancen, eine tänzerisch geschmeidige Gangart wie bei einem Rumba-Wettbewerb wurden gekrönt von der schier unbegrenzten Virtuosität der Solisten Tuomo Suni (Violine) und Marian Minnen (Cello) sowie der unauffällig-genialen Auszierungskunst der Cembalistin Kris Verhelst. Geleitet wird diese Wunder-Truppe von dem Blockflötisten Peter van Heyghen. Ein begnadeter Dirigent, ein mitreißender Rundum-Musiker, der in einer Chaconne von Henry Purcell sein eigenes Instrument höchst berührend spielte. Vor dieser Mischung von entfesseltem Elan und CD-reifer Spielkultur muss sich eine ruppige Band wie Les Musiciens du Louvre warm anziehen, ein René Jacobs könnte sich von dem subtilen Dirigierstil van Heyghens einiges abschauen. Und letztlich fragt man sich, was dieses Gedöns um hochbezahlte „Stars“ wie Anne-Sophie Mutter oder Hillary Hahn soll, wenn man Leuten wie Tuomo Suni beim Zelebrieren einer wahrhaft teuflischen Kunst zuhören darf. Größtes Lob erntete auch der Auftritt des Ensembles Le Poème Harmonique. Es brachte unter seinem Leiter Vincent Dumestre „Reisen in Europa“ von Charles Tessier mit. Dieses Programm gibt es bereits auf der beim Label „Alpha“ erschienenen CD der Gruppe. Aber alle waren sich einig, dass der Regensburger Auftritt des Ensembles die bereits höchst gerühmte Güte der CD noch übertraf. Auch dies ein Beleg, dass die Alte-Musik-Szene mittlerweile einen technischen Standard erreicht hat, der über jede Diskussion erhaben ist und nur noch schiere Faszination auslöst. Das Publikum in Regensburg jedenfalls taumelte in Seligkeit von einem beglückenden Musikereignis zum nächsten. Bis weit nach Mitternacht. Am Sonntag war der Star des Tages Händels Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ mit dem italienischen Ensemble „La Risonanza“ in der Minoritenkirche. Dieser Aufführungsort hat seine Tücken. Der Bau ist eine weitläufige Hallenkirche mit einem ent- sprechend riesigen Hall. Und dennoch trägt er die Musik sehr gut, selbst wenn sie in einer so kleinen Besetzung (sechs Violinen, Bratsche, zwei Celli, Kontrabass) gespielt wird wie von „La Risonanza“. Man muss sich aber einhören. Ist das erst gelungen, dann wird man belohnt mit einem ungemein weichen, schimmernden Klangbild. Das gibt es weder in anderen Konzertsälen noch daheim. Und genau dieser Klang war es auch, der seine Zuhörer in diesem 1707 von Händel in Rom komponierten Oratorium in die ewige Stadt entführte. Er beflügelte die Phantasie, in jenem Saal eines Palazzos zu sitzen, in dem der 22-jährige Händel sein erlesenes Publikum bei der Uraufführung zunächst in Erstaunen, dann in Entzücken versetzte. Mit Kompositionen wie „Il Trionfo“, der dritten größeren Vokalkomposition seit seinem Eintreffen in Rom 1706, hatte sich Händel zum Star der Musikszene zunächst Roms, dann Italiens gemacht. Kein Wunder: In Windeseile hatte sich der gebürtige Sachse den ganzen melodiösen Schmelz seiner italienischen Kollegen Scarlatti und Corelli angeeignet und ihn mit der Sorgfalt des nördlichen Musizierens veredelt. In diesem frühen Stück tritt ein Genie an und ist schon der ganze spätere Händel präsent - darunter die berühmte Arie „Lascia ch’io pianga“ aus „Rinaldo“, die hier noch „Lascia la spina“ heißt und einen Höhepunkt gegen Ende des Oratoriums markiert.

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=