Tage Alter Musik – Almanach 2009

In Regensburg erfuhr es eine rundum sensationelle Aufführung, die ihr Publikum drei Stunden lang in Bann hielt. Nuria Rial (ein wun- derbar koloraturfester, strahlender Sopran), Yetzabel Arias Fernandez (eine aus Kuba stammende Sopranistin mit Glut in der dunkel timbrierten Stimme), Elena Biscuola (eine Altistin, die diesen Namen auch verdient) und der polnische Tenor Krystian Adam waren die Solisten. Sollte „La Risonanza“ ihre Aufführung je auf CD veröffentlichen, sollte man keine Sekunde zögern und sie kaufen. Damit hatte der Sonntag weder begonnen noch geendet. Übervoll soll man aus Regensburg davongehen. Daher gab es vor Händel noch Elisabethanische Musik und Atmosphäre mit dem amerikanischen Ensemble „Ex Umbris“ (die eigens für dieses Konzert aus New York gekommen waren), die schöne Strenge des Heinrich Schütz mit der „Chapelle Rhénane“ aus dem Elsass und, zum Tagesschluss, den mystischen Zauber der frühen Vokalpolyphonie in der geheimnisvoll beleuchteten Dominikanerkirche mit den sie- ben Damen von „Discantus“ aus Frankreich. Momente, wie sie nur die Räume in Regensburg bieten können. Oper für die Gänsehaut Nachklang zu einem gelungenen Fest: Die Regensburger Tage Alter Musik 2009 waren ein gro- ßer Jahrgang und die Aufführung der “Krönung der Poppea” seine Krönung Für engagierte Alte-Musik-Enthusiasten war der Pfingstmontag in Regensburg kein Feiertag. Da hatten die “Tage Alter Musik” noch mal ordentlich aufgetischt und ab 11 Uhr ein Programm bis in den späten Abend zusammengestellt. 11 Uhr und 14 Uhr 15 waren mit den Ensembles “La Rota” aus Kanada und “De Caelis” aus Frankreich der Instrumental- und Vokalmusik des Mittelalters gewidmet. Musiker dieser Sparte fühlen sich in Regensburg immer besonders gut aufgehoben, weil sie im Programm immer prominente Plätze einnehmen und ideale Räume vorfinden. Da haben sich die Veranstalter nie beirren lassen. Etwas “mainstreamiger” wurde es dann ab 16 Uhr, als das Barockorchester “Concerto Copenhagen” im Neuhaussaal auftrat. Der Saal ist mit seiner sparsamen aber wirkungsvollen Dekoration für Konzerte dieser Art bestens geeignet, fordert die Musiker aber mit sei- ner sehr trockenen Akustik zu höchst präzisem Spiel heraus. Unter seinem Leiter, dem als Cembalisten allgemein sehr geschätzten Lars Ulrik Mortensen, hatten die Kopenhagener vier Concerti aus Händels opus 3 mitgebracht und zwei Stücke des schwedischen Händel-Zeitgenossen Johann Heinrich Roman. An Beiträgen zum Händel-Jahr hat es also nicht gefehlt. Dänemarks einziges auf Originalinstrumenten spielendes Orchester spielte auf diesen Instrumenten zwar mit viel Elan, aber die Raffinesse des Klangs wie etwa “Les Mufatti” ließ es leider vermissen. Da fällt einem der so abgenutzte Vergleich mit dem Holzschnitt ein. Beim Festival mar- kierten doch Ensembles wie “Les Mufatti”, “Zefiro” oder “La Risonanza”, was heute der Maßstab des barocken Orchesterspiels ist. Als sehr sympathisch erwies sich die Musik Johan Helmich Romans. Er lebte von 1694 bis 1758, starb also ein Jahr vor Händel, erwies sich aber in seinem Konzert für Oboe d’amore und Orchester D-Dur (mit Frank de Bruine als Solist) schon fortschrittlicher, dem empfindsamen Stil zugewandt, als Händel. Auch hier ein Stück, das im Konzertrepertoire Platz finden könnte. Wollte man schon hier ein Resumee des 25. Jahrgangs der Tage Alter Musik Regensburg ziehen, dann dieses: das Festival hat einen sehr schönen Grad ausgewogener Reife erreicht. Zum einen kann es souverän etablierte Musiker und Ensembles präsentieren und bietet auch in den größten Formen - Oratorien, Messen - Aufführungen auf allerhöchstem Niveau. Zum anderen hat es sich die Neugierde und Frische bewahrt, die Überraschungen möglich machen und die Neugierde der Besucher wach halten. Es bietet also Halt und Abenteuer zugleich. Dieses Gefühl hat dieser Jahrgang verbreitet wie kaum einer zuvor. Und vor diesem Hintergrund konnte man sich dann zum letzten Programmpunkt der Tage Alter Musik Regensburg 2009 begeben: der szenischen Aufführung von Claudio Monteverdis Oper “L’Incoronazione di Poppea”. Das machen die Regensburger nur zu gro- ßen Festtagen - dafür wird etwas wirklich Besonderes daraus. Die Oper wurde nämlich nicht von “Operngranden” aufgeführt oder den üblichen Verdächtigen (etwa Alan Curtis oder René Jacobs), sondern vom italienischen Madrigalensemble “La Venexiana”. Die Truppe gehört schon längst zu den ganz Großen der Szene, hält sich aber von kommerziellen Großereignissen weitgehend fern und produziert ihre (durchweg hinreißenden) CDs beim spanischen Spezial-Label “Glossa”. (Man muss es heutzutage als Kriterium der Qualität sehen, wenn ein Ensemble sich noch nicht an eines der “Major”-Labels verkauft hat. Denn mit diesem Schritt wird meist die Seele dem Kommerz geopfert. Bezeichnend, dass die Neuaufnahme von Bachs h-Moll-Messe mit den Musiciens du Louvre unter Marc Minkowksi bei “Naive” erschienen ist. Ihr frühres Label DG-Archiv bringt nur noch Rezitals heraus; um eine wirkliche künstleri- sche Aussage will es sich nicht mehr kümmern). “La Venexiana” also zeigte schon zum zweiten Mal Oper szenisch in Regensburg. Projekt 1 war “L’Orfeo” (2007), der die Zuhörer ver- zückte und auch auf CD großen Anklang fand. “L’Incoronazione” erwies sich als noch spannender, noch radikaler, noch geschärfter. Durch eine von japanischen Elementen geprägte Inszenierung von Paola Reggiani blieb ihr zwar jegliche Historisierung fern, aber die Oper wirkte immer noch fremd, stilisiert, wie eine Botschaft von einem anderen Stern. Gerade deshalb kam die Botschaft um so dra- stischer herüber; die Handlung auf der Bühne, die Musik vom dahinter postierten Orchesters im (für solche Zwecke optimalen) Velodrom in Regensburg erschien wie ein Brennspiegel, aus dem grellstes Licht auf die Schwächen und Abgründe des menschlichen Daseins schoss. So gnadenlos, so kantig, so unverstellt grausam und berechnend waren einem die Gestalten der “Krönung” noch nie erschienen. Selbstverliebte, hochfahrende, durch die Macht jeden menschlichen Anstands enthobene Monster agierten da; mit lieblichsten Flötentönen arbeitete Emanuela Galli die Verruchtheit und die Berechnung ihrer Schmeicheleien Nerone gegenüber heraus; dieser (Roberta Mameli) antwortete mit lauter Verzückung und knappst hervorgestoßenen Todes- und Verstoßungsurteilen seinen Gegnern gegenüber. Vor diesem Rausch der Sinne war keiner mehr sicher; der imposant-eleganten Oktavia, Neros Frau (Xenia Meijer), half auch herrisches Telefonieren mit dem weichlichen Ottone (der Altus Claudio Cavina, der sich und seiner Stimme solche großen Partien nicht mehr antun sollte) nicht mehr vor der Verbannung aufs offene Meer. Der große Worthülsen salbadernde Nero-Berater Seneca (Matteo Bellotto) fügte sich ohne weiteres Zögern dem Todesurteil. Das Orchester von La Venexiana illustrierte dieses Spiel der von Lust befeuerten Niedertracht mit einem reichen, geradezu wollüsti- gen Angebot von Klängen der Harfe, Theorbe, Gitarren, von Cembali und zwei Violinen. Das ist mehr als genug für drei Stunden Oper, die einem nichts vorgaukelt sondern etwas vom Wesen den Menschen erzählt. Das Genie Monteverdis ließ Zeit und Raum verges- sen, das war Erlebnis pur. Die Tage Alter Musik Regensburg hatten sich nach einem an Höhepunkten schon reichen Festival 2009 einen großen Abschluss gegönnt, ein Ereignis außer Konkurrenz. Das dieses aber völlig stimmig zum vorherigen Programm passte, es krönte statt den Rest zum Verblassen zu bringen, das zeigt, welche Güte der Programmierung und der Substanz die Tage Alter Musik in 25 Jahren ihres Bestehens erlangt haben. Auf diese Qualität will sicher keiner der Besucher, die die Konzerte in diesem Jahr restlos füllten, in Zukunft verzichten.

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