Tage Alter Musik – Almanach 2009

Händel in Italien Eine Kerze in der Hand, einsam, ängstlich um sich schauend betrat am Sonntagmorgen Lucy Fitz Gibbon die Bühne des Leeren Beutel und stimmte die Broadside Ballad „Bar’ra Faustus’ Dream“ an. Die Melancholie in der Musik des elisabethanischen Zeitalters bildete den roten Faden des Konzerts von Ex Umbris. Das US-amerikanische Ensemble war zum wiederholten Male in Regensburg zu Gast, und konnte auch in diesem Jahr wieder mit einem kurzweiligen Programm, bei dem der Humor nicht zu kurz kam, überzeugen. Mit großer Kompetenz, aber keineswegs akademisch trocken widmete sich La Chapelle Rhénane am Nachmittag in der St.- Oswald-Kirche dem Werk von Heinrich Schütz. Aurore Bucher, Tanya Aspelmeier (Sopran), Rolf Ehlers (Altus), Benoît Haller und Henning Kaiser (Tenor) sowie Benoît Arnould (Bass) bildeten ein ausgezeichnetes Vokalensemble, das von den Instrumentalisten mit einem ausgewogenen Klangbild unterstützt wurde. So gelang dem französischen Ensemble ein vitales musikalisches Plädoyer für den Altmeister der evangelischen Kirchenmusik. Mit der Aufführung des „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ folgte am Sonntagabend der zweite Beitrag der Tage Alter Musik zum Händel-Jubiläum. Händels Jugendwerk und erster Beitrag zur Gattung Oratorium, 1707 in Rom uraufgeführt, steckt voller fri- scher Ideen. Der junge Komponist, soeben in Italien angekommen, maß seine Kräfte in neuer, anregender Umgebung. In der Regensburger Minoritenkirche nahm sich das italienische Barockorchester La Risonanza unter der Leitung von Fabio Bonizzoni des Werks an. Nuria Rial sang die Rolle der Schönheit (Bellezza) mit klaren Koloraturen und quasi makellosen Höhen. Yetzabel Arias Fernandez’ Sopran verfügt über ein dunkles, sinnliches Timbre, das sie überzeugend verführerisch in der Rolle des Vergnügens (Piacere) einzusetzen wusste. Elena Biscuola gab mit warmem, eindringlichem Alt eine mahnende Enttäuschung (Disinganno). Und Krystian Adam gestaltete mit seinem charaktervollen lyrischen Tenor die Rolle der Zeit (Tempo). Die vitale Interpretation durch La Risonanza und die hochkarätigen Solisten litt leider unter den schwierigen akustischen Bedingungen. Anders als noch am Vorabend bei der „Feuerwerksmusik“ ging hier doch manches Detail der filigranen Textur im Nachhall verlo- ren. Monteverdis „Poppea“: ein – nicht ganz – „krönender“ Abschluss Überraschende Neuentdeckungen gab es fast jedes Jahr bei den Tagen Alter Musik Regensburg – man erinnere sich nur an Il Giardino Armonico oder Anonymus 4. Im diesjährigen Jubiläumsfestival zählt für mich La Rota zu diesen Entdeckungen. Unter dem Motto „Heu, Fortuna“ präsentierte das junge kanadische Ensemble Musik aus der Zeit Philipps IV. des Schönen (1268–1314), also aus der Blütezeit des französischen Mittelalters. Sarah Barnes (Sopran), Tobie Miller (Flöte, Drehleier, Sopran), Esteban LaRotta (Laute, Harfe, Tenor) und Émilie Brûlé (Fidel) präsentierten die meist anonym überlieferten Kompositionen in sehr abwechslungs- reichen, farbigen Interpretationen. Dabei wechselten ein- bis dreistimmige Vokalstücke mit virtuosen, teils improvisierten instru- mentalen Einlagen ab. Auch in der strengen Kunst der isorhythmischen Motette (Philipp de Vitry), dreistimmig gesungen und instru- mental begleitet, fühlen sich die kanadischen Musiker zuhause. Ein gelungener musikalischer Auftakt zum letzten Festivaltag. Bravo! Noch einmal stand am Nachmittag Georg Friedrich Händel auf dem Programm, dieses Mal zusammen mit dem schwedischen Zeitgenossen Johan Helmich Roman. Musikantisch im besten Sinne, mit großer Spielfreude und sattem Orchesterklang zeichne- te Concerto Copenhagen unter der Leitung von Lars Ulrik Mortensen für diesen Festivalbeitrag verantwortlich. Neben drei Concerti grossi aus Händels Opus 3 und Romans Golovin-Suite beeindruckte vor allem das Konzert für Oboe d’Amore und Orchester D- Dur des schwedischen Barockmeisters, das schon deutlich frühklassische Züge trug. Frank de Bruine war der souveräne Solist dieses außergewöhnlichen Konzerts. Den krönenden Abschluss der 25. Tage Alter Musik sollte das italienische Ensemble La Venexiana mit einer szenischen Aufführung der Oper „L’Incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi gestalten. Dass es nicht der ganz große Wurf dieses Festivals wurde, lag nur zum Teil an den einmal mehr viel Durchhaltevermögen fordernden klimatischen Bedingungen im subtropischen Klima des Regensburger Velodroms. Wie so oft im modernen Regietheater war das Konzept der Inszenierung höchst fragwürdig. Paola Reggiani verlegte die Handlung aus dem antiken Rom des Kaisers Nero in das Japan der 1960er Jahre. Dem besseren Verständnis einer Geschichte, die in längst vergangener Zeit spielt, diente diese „Aktualisierung“ jedenfalls nicht. Vielmehr taten sich zwischen Text und Szene unüberbrück- bare Risse auf, wenn beispielsweise die von Nero verstoßene Ottavia singt: „A Dio Roma, a Dio patria, amici a Dio“ (Lebe wohl, Rom, lebe wohl, Heimatland, Freunde, lebt wohl). Für eine römische Kaiserin, die von ihrem Ehemann zum Verlassen der Heimat gezwungen wird, klingen diese Worte bedrückend und nachvollziehbar. Im (fiktiven) Japan der Nachkriegszeit ausgesprochen, wir- ken sie zumindest irritierend. Anspielungen auf berühmte Hollywood-Filme – Ottone mit Regenschirm („Singing in the Rain“), Poppea im kostbaren Kostüm à la Audrey Hepburn („Breakfast at Tiffany’s“) u.v.m. – führten auch nicht zu neuen Einsichten in Monteverdis Bühnenwerk, regten während der Pause allenfalls zum mehr oder weniger unterhaltsamen Vergleich mit dem Film- Glossar im Programmheft an. Das ist leider, abgesehen von einigen Slapsticks (Arnalta), auch schon alles, was ich Positives über diese Inszenierung zu berichten weiß. Ansonsten beschränkte sich Paola Reggianis Regieleistung auf ein schematisches Auf- und Abtreten der Darsteller; von Personenführung oder gar psychologischer Einfühlung in das dramatische Geschehen konnte keine Rede sein. So litt die gut dreieinhalbstündige Aufführung an schwer erträglichen Längen, die auch durch die gewohnt hohe musi- kalische Qualität von La Venexiana unter der Leitung von Claudio Cavina nicht aufgewogen werden konnte. Emanuella Galli (Poppea) und Roberta Mameli (Nero) bildeten ein stimmlich ausgezeichnet aufeinander abgestimmtes Liebespaar, das leider auch im quälend langsam vorgetragenen Schlussduett „Pur ti miro“ seine Leidenschaft nicht ausleben durfte. Claudio Cavina schlüpfte neben seiner „Hauptrolle“ als Dirigent auch in die Rolle des Ottone. Seinem Countertenor merkte man in den Höhen die Doppelbelastung durchaus an. Ian Honeyman spielte die komische Rolle der alten Amme Arnalta mit offensichtlichem komödiantischen Spaß. Die Kaiserin Ottavia wurde von Xenia Meijer mit dunklem, seriösem Mezzosopran ebenso überzeugend dargeboten, wie der Philosoph Seneca von Matteo Bellotto, der sich mit profundem Bass in sein Schicksal fügte. Der Sängerriege stand ein ausgezeichnet besetztes Orchester mit großer Generalbass-Gruppe (3 Theorben, 2 Cembali, Harfe) aufmerksam zur Seite. Am späten Montagabend lagen schließlich wieder vier Tage, voll bestückt mit Konzerten Alter Musik, hinter den Festivalbesuchern (und dem Rezensenten). Das Angebot war wieder so groß, dass ich leider nicht alles hören, geschweige denn von allen Konzerten berichten konnte. Der Eindruck, den die Tage Alter Musik Regensburg hinterlassen, ist dank der einmaligen Reichsstadt-Kulisse, vor allem aber dank der klugen Konzertauswahl durch das unermüdliche Pro Musica Antiqua-Team auch in der 25. Auflage immer noch überwältigend. Ohne „Regensburg“ wäre die Alte-Musik-Szene deutlich ärmer. In diesem Sinne kann man den Veranstaltern für die Zukunft nur alles Gute wünschen.

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