Tage Alter Musik – Almanach 2009

Windkanal Ausgabe 3/09 Autor: Jochen Grams Welche Gefühle mögen einen beschäftigen, wenn man an einem schönen Sonntag nach Regensburg zu den 25. Tagen Alter Musik fährt? Sicherlich nicht die Melancholie. Die stellte sich erst ein, als die Sopranistin Lucy Fitz Gibbon das Konzert der Gruppe „Ex Umbris“ aus den USA zum Thema „Melancholy – Musik des elisabethanischen Zeitalters“ eröffnete. Allein im dunklen Saal, nur von einer Kerze beleuchtet, sang sie von den traurigen Gedanken und Ängsten, die sie abends im Bett heimsuchten. Sowohl die folgen- den Lieder, oft nur begleitet von der Laute, als auch die Instrumentalstücke machten verständlich, warum Menschen einer traurigen Grundhaltung frönen können. Als sich die Gruppe aber den um 1600 gefundenen Gründen der Melancholie zuwandte, musste nie- mand mehr traurig sein. Zuviel oder zuwenig Liebe, Alkohol oder Tabak können der Grund, aber auch das Heilmittel sein. Die per- fekte musikalische Darbietung war oft eingebettet in szenische Darstellungen. Ein gemeinsam durchgeführtes Trinkgelage brachte neue Erkenntnisse: Mäuse fangen Katzen bzw. Käse frisst Ratten. Der Tod holte sich sein jüngstes Opfer aus dem Publikum. Aus feuertechnischen Gründen durfte zu Tobias Humes „Tobacco“ nicht geraucht werden. Nach der auf der Bühne durchgeführten Beerdigung erschienen die Gruppenmitglieder als Teufel. Und beim Programmpunkt Witchcraft gab es natürlich auch eine Hexe. Der „Second Witches´ Dance“ eines anonymen Komponisten, den uns die Gruppe Red Priest bekannt gemacht hatte, durfte nicht fehlen. Diesmal genial dargeboten von einem Blockflötentrio, unterstützt von Einhandflöte mit Trommel. „La Chapelle Rhénane“ (Frankreich) unter der Leitung des mitsingenden Tenors Benoît Haller entführte in die Welt von Heinrich Schütz. Und auch hier waren wieder die traurigen, nachdenklichen „Affekte“ zu spüren. Wenn die sechs SängerInnen z. B. nach- einander zu nur einem Orgelton „Herr, wie lang willst du mein so gar vergessen“ skandierten, machte sich Betroffenheit im Publikum breit und niemand konnte applaudieren. Ganz anders aber nach den zuversichtlichen Stücken. Den MusikerInnen war die Freude am Inhalt und Stück abzuspüren, Benoît Haller tanzte mehr als dass er dirigierte und das Publikum wurde zu stehenden Ovationen hingerissen. Manchmal sind ja Kleinigkeiten sehr förderlich. In diesem Fall war es die Möglichkeit blechernes Blech (3 Barockposaunen) und hölzernes Blech (2 Cornetto curvo) einzusetzen. Den grandiosen Abschluss bildete das Magnificat SWV 468 aus dem Manuskript aus Uppsala. Gut, dass dies die Gruppe bereits auf CD eingespielt hat. Wenn Bellezza (Schönheit), Piacere (Vergnügen), Disinganno (Enttäuschung) und Tempo (Zeit) über die Zukunft hadern, kann auch das nicht ohne Melancholie abgehen. „La Risonanza“ (Italien) führte „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ von Georg Friedrich Händel auf. Yetzabel Arias Fernandes (Sopran), Elena Biscuola (für die Rolle der Enttäuschung genial tiefer Alt) und Krystian Adam (Tenor) nahmen die Botschaft des „Oratoriums“, dass der gottgefällige Mensch sich nicht an Äußerlichkeiten und Oberflächlichkei- ten orientieren soll, auf. Händel komponierte das Stück mit dem Libretto von Kardinal Pamphili in Rom, als dort Opern vom Papst verboten waren. Auch wenn es sich formal um ein Oratorium handelt, trifft der Begriff „Opera proibita“ den Charakter besser. Zumal sich die Frage stellt, ob ein hochbarockes Stück wirklich melancholisch sein darf. Nuria Rial als Bellezza machte mit ihrem hellen Sopran und den fröhlichen Melodien trotz der Wandlung von der äußerlichen Schönheit hin zu mehr Tiefgang und Ernsthaftigkeit deutlich, dass selbst in einem moralisierenden Rom das Leben im Barock ein fröhliches Fest ist. Emanuela Galli und Claudio Cavina bei der Aufführung der “Poppea” im Velodrom

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