Tage Alter Musik – Almanach 2010

www.KlassikInfo.de Autor: Laszlo Molnar Zwei Ohren auf Zeitreise Ach, war das ein ödes Festival. Kein Jarrousky, keine Bartoli, keine Christina Pluhar. Weit und breit keine Stars zum bedingungslo- sen Anbeten. Was sollen wir da? Besser gar nicht erst hingehen... Ach, war das ein herrliches Festival. Kein Jarrousky, keine Bartoli, keine Christina Pluhar. Keine besinnungslose Anbetung von Leuten, die uns von Marketing-Abteilungen als Stars angedreht werden sollen. Dafür an jedem Fleck Musiker, die brennen für das, was sie tun, und ihr Handwerk perfekt beherrschen. Die Musik so machen, dass einem Hören und Sehen vergehen. Die einen im Schwingen der Töne, des Rhythmus, der Harmonien Raum und Zeit vergessen lassen. Drei ganze Tage lang. Im wunderschönen Regensburg. Da musste man sein! Die Gesamtbilanz der 26. Tage alter Musik in Regensburg fällt nicht nur für die Veranstalter prächtig aus. Alle vierzehn Konzerte ausverkauft, keine Ermüdungserscheinungen beim Publikum, war zu vernehmen. Die Zuhörer kamen ebenfalls voll auf ihre Kosten - taumelten selig aus dem einen Konzert hinaus, nur um gleich Kurs auf das nächste Glückserlebnis zu nehmen. Welches war eigentlich das Beste an dem Tag? Keine Ahnung, alle großartig. Aber das Nachtkonzert und dreiviertel Elf, das wird erst phanta- stisch... So geht es zu bei den Tagen für Alte Musik in Regensburg. Und dieses Jahr ging es ganz besonders so zu. Es war ein selten “run- der”, so ungemein stimmiger Jahrgang. Sofort am ersten Abend wurde mit der Aufführung von Beethovens C-Dur-Messe, mit den Regensburger Domspatzen und der Akademie für Alte Musik unter Domkapellmeister Roland Büchner, eine Qualitätsmarke gesetzt, von der man einfach nicht mehr herunter wollte. Die Basilika St. Emmeram - zum Schloss gehörig, das Gloria von Thurn und Taxis gehört - legte einen prachtvollen Einstand als Aufführungsort hin. Ein Barockrausch in Gold- und Naturfarben, in dem sich der Klang aufführte, als sei er im Wiener Musikverein. Weich, goldgetönt umströmte er den Zuhörer. Das Orchester tönte seidig und sämig wie die Wiener Philharmoniker mit Originalinstrumenten. Der Chor: tausend (natürlich nicht ganz so viele) Stimmen wie aus einer Brust, schillernd und strahlend, jeder Akkord eine Verführung. Monika Mauch sang Schubert (Stabat Mater g-Moll). Fehlte hier irgendje- mandem Anna Netrebko und Co? Nein, das ganze aufgeblähte Musik-Business erscheint einem als absurder gargantuesker Witz, wenn man hörte, was die von Stephan Schmid und Ludwig Hartmann nach Regensburg geladenen Künstler aufboten, um die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer zu bannen. Dazu kommt etwas, das man nicht oft genug wiederholen kann: In den herrlichen Räumen Regensburgs wird die Musik zum ein- zigartigen Gesamtkunstwerk. Schade, dass man in den Nachtkonzerten die Klänge der Vokal-Ensembles “Graindelavoix” aus Belgien und “Plus Ultra” aus England nicht gleich zum Stein der Dominikanerkirche dazumeißeln konnte. Dass sie auf immer dort bleiben und die gotischen Wände, Pfeiler und Bogen gänzlich ihrer Schwere entheben. So musste die geistliche Musik der Renaissance gedacht gewesen sein. Sie gehört zu solch einem Raum, nimmt ihn ganz in ihren Besitz. Jeder Winkel wird Klang, jede Ritze schwingt nach. Der Nachhall dehnt sich, als wolle der Stein den Ton nicht loslassen und ein Teil von ihm werden. Materie scheint sich aufzulösen, um die Sinne für andere Wahrheiten zu öffnen. “Transzendenz” heißt das auch. “Graindelavoix” sucht mutig nach neuen Wegen und bewirkte die Weitung des Raums mit einem Programm zum Marienkult des frühen 16. Jahrhunderts. Man schuf eine geheimnisvolle, meditative Stimmung, mit sehr erdigen, mediterran-rauen Tönen, aus denen elementare Inbrunst und Versenkung sprach und südliche Leidenschaft glühte. “Plus Ultra”, zusammen mit den Bläsern von “His Majesty’s Sagbutts and Cornetts”, war ein Hochamt der britischen Alten Schule, makellos, explosiv, mit dem unerschütterlich starkem Ton der Glaubensgewissheit. Einem Ton, der sich auch vom Einsturz des Gebäudes nicht davon hätte abbringen lassen, den Herrn mit den herrlichsten Klängen zu preisen. Dass man danach noch schlafen konnte, lag einzig an der späten Stunde und der Überfülle an musikalischen Eindrücken am vorangegangenen Tag. Diese beiden Eckpunkte - Musik der Renaissance hie, Beethoven da - beschreiben schon, warum es so gut funktioniert in Regensburg. Man schreckt sich nicht vor der Musikgeschichte. Beethoven hat hier genauso seinen richtigen “Saal” wie die Gottesmusik von Francisco Guerrero und Nicolas Champion ihre Kirche hat. Jeder dieser Räume inspiriert die Musiker zu einem Maximum. Ortswechsel. Ein kleiner Spaziergang, am Dom vorbei, zum Dachauplatz. Auch dort, natürlich, wieder eine Kirche. Aber nun eine, die heute als Museum genutzt wird, die ehemalige Minoritenkirche. Sie ist beim Publikum etwas gefürchtet, weil sie einen beson- ders langen Nachhall hat, dicht gesetzte Musik gleichsam auffrisst und sie nur als Klangbrei wieder hergibt. Aber wie perfekt unter- stützt dieser Hall die wichtigste Instrumentalmusik der Renaissance, die Bläsermusik. Mit ihr geht der riesige Raum ein Bündnis ein. Er bietet ihr Luft wie ein Platz und Schutz durch ihr Dach. Hier fühlten sich die brillanten Musiker von Katharina Bäumls “Capella della Torre” aus Deutschland in ihrem Element. Ihre Pommern, Zinken, Dulziane, Flöten und Posaunen ließen sie schmettern, trö- ten, knarren und säuseln, dass es eine Freude war. Der großartige Schlagzeuger Peter A. Bauer trieb sowohl den Musikern als auch

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