Tage Alter Musik – Almanach 2010

Verschmolzenheit zwischen Dirigent und Orchester zu beeindrucken. Da wird keine Spielanweisung des Dirigenten übersehen, kein noch so kleines Zeichen, alle Musiker spielen wie aus einem Guss! Hören wir eine zunächst als eine kleine Kostprobe den vierten Satz aus der Sinfonie in g-moll KV 550 von Wolfgang Amadeus Mozart mit Anima Eterna Brugge unter der Leitung von Jos van Immerseel. Im Neuhaussaal in Regensburg spielte Anima Eterna Brugge unter Leitung von Jos van Immerseel den Finalsatz aus der Sinfonie in g-moll KV 550 von Wolfgang Amadeus Mozart. Dass selbst so virtuose Läufe wie in diesem Satz in einem atemberaubenden Tempo und trotzdem mit unglaublicher Präzision gespielt werden können, das zeigte Anima Eterna Brugge hier einmal mehr. Kein Wunder, dass die Besucher in der Konzertpause staunend meinten, dass man Mozart kaum besser spielen könnte! Umrahmt wurde die g-moll-Sinfonie von ihren beiden Schwesterwerken, den Sinfonien in Es-Dur KV 543 und der berühmten Jupiter-Sinfonie in C-Dur KV 551. Alle drei Werke sind im Sommer 1788 innerhalb von nur acht Wochen entstanden. Die Musikwissenschaft sah in den sehr unterschiedlichen Sinfonien anfangs nie eine musikalische Einheit, doch für viele Forscher steht heute fest, dass diese Werke als sinfonische Trias zu verstehen sind. Manche sprechen sogar von einem „künstlerischen Rundumschlag am Lebensabend“ oder sogar von Mozarts „Schwanengesang“. Über solch pathetischen Umgang mit den drei letzten Sinfonien ließe sich viel diskutieren. Und auch Jos van Immerseel sieht den Mythos „letzte Werke“ eher mit Skepsis, aber für ihn ist es keine Frage, dass man die drei Werke als Zyklus in einem Konzert zusam- men spielen sollte,... “...weil nach meiner Meinung die drei zusammengehören. Die sind komponiert in einer kurzen Zeitspanne in 1788. Das sind die letzten, ok, aber Mozart ist dann gestorben in 91. Wenn er weitergelebt hätte und so alt geworden wäre wie Haydn, dann würde er noch Mendelssohn und Berlioz mitgemacht haben. Also für uns sind das nicht die ‚letzten’ Sinfonien, aber reife Stücke, die alle einen besonderen Charakter haben und sehr verschieden sind. Und wenn man die drei zusammen hört, dann bekommt man einen ganz anderen Eindruck.“ Dieser Meinung ist auch der amerikanische Mozart-Forscher Neal Zaslaw. In seinem Buch „Mozart’s Symphonies“ aus dem Jahre 1989 schreibt er: “Mozarts letzte Sinfonien waren kein l’art pour l’art, sondern Musik, die in einer ganz bestimmten Absicht geschrieben wurde. Wer diese Werke aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang reißt, beraubt sie eines Teils ihrer Tragweite.“ Über den Kompositionsanlass der Sinfonien ist nichts bekannt, doch auch hier gibt es viele Vermutungen. Einige Forscher sind der Meinung, dass Mozart sich damit von den Fesseln des konservativen Wiener Musikgeschmacks und von der Abhängigkeit der adligen Gönner befreien wollte. Andere vermuten, dass er die Werke als Visitenkarte für eine geplante Neuanstellung beim preußischen König in Berlin komponiert hat. Wieder andere forschen immer noch (vergebens) nach einem geheimnisvollen unbekannten Auftraggeber. Jos van Immerseel hat da so seine eigene These: „Wir wissen nichts. Es ist der Zeitpunkt, an dem Mozart wirklich einen eigenen Weg geht. Er ist ein bisschen müde von diesen Aufträgen immer und will eine eigene Sprache sprechen und einen eigenen Weg gehen. Die Effekte davon waren ganz schnell zu merken. Er hat ein Subskriptionskonzert noch gemacht in 88 und da war nur eine Person eingeschrieben. Also das Publikum folgte nicht. Selbst ein ziemlich respektierter Autor wie (Rudolf) Gerber schreibt in seinem Buch, Mozart ist unverständlich, man kann ihn nicht mehr verstehen, das ist unbe- greifliche Musik. Sehr komisch, dass die Leute heute alle zuhören, Leute, die keine Vorkenntnisse haben und keine Probleme damit haben!“ Doch die Zeitgenossen Mozarts, die zwei Jahre zuvor noch die „Hochzeit des Figaro“ bejubelt haben, waren offensichtlich vom sinfonischen Avantgardisten Mozart des Jahres 1788 überfordert: wo ist der von uns so geliebte galante Stil geblieben? Überaus komplexe Sinfonien mit einer Dauer von mehr als einer halben Stunde? Wer hat so etwas jemals zuvor komponiert? Und vor allem, wer soll sich so etwas anhören, frag- ten sich die konservativen Adelskreise, die maßgeblich das Musikleben in Wien bestimmten und somit auch über den Erfolg oder Misserfolg einer Komposition. Im Falle Mozart hieß das Ende der 1780er Jahre: „Daumen runter“. „Man darf auch nicht vergessen, dass viele adlige Leute musizierten und auch komponierten. Aber wie Laien, das waren natürlich niemals Meisterwerke. Und es kann auch sein, dass man die Musik zu schwierig fand. Oder, aber das ist gewagt das zu sagen, aber es kann sein, dass die adligen Leute, die was zu sagen haben in Wien, Gegenpropaganda gemacht haben, das ist absolut möglich.“ Dass Mozart mit seinen letzten drei Sinfonien schon das Tor zum 19. Jahrhundert weit aufgestoßen hat, das erkannte man erst lange nach Mozarts Tod. Erst 1808 – also 17 Jahre nach seinem Tod – konnte man etwa in der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung lesen, die Jupiter-Sinfonie sei „das erklärte Lieblingsstück“ des dortigen Konzertpublikums und solle natürlich auch in diesem Jahr wieder gespielt wer- den. Aus dem Neuhaussaal in Regensburg nun die erste der drei Sinfonien, die Sinfonie in Es-Dur KV 543 von Wolfgang Amadeus Mozart. Anima Eterna Brugge und Jos van Immerseel. „Die erste ist sehr dramatische Konzertmusik und sehr konzertant. Die Tonart ist auch sehr charakteristisch. Es-Dur wird in den meisten Büchern aus der Zeit beschrieben als pompös, mächtig, zeremonisch und das ist das Stück auch wirklich.“ Nach der Konzertpause im Regensburger Neuhaussaal wurde mit Spannung der Höhepunkt des Abends erwartet, vielleicht sogar der diesjähri- gen Tage Alter Musik Regensburg: die Aufführung der C-Dur Sinfonie KV 551, der sogenannten Jupiter-Sinfonie, von Wolfgang Amadeus Mozart mit dem belgischen Ensemble Anima Eterna Brugge unter Leitung seines Gründers und Chefdirigenten Jos van Immerseel. 1987 hat er das Ensemble als Projektorchester aus der Taufe gehoben mit seelenverwandten Musikern, die seine Leidenschaft für historische Aufführungspraxis barocker, klassischer und romantischer Musik auf historischen Instrumenten teilen, mit denen er überkommene Aufführungstraditionen über Bord werfen kann, die wie er immer mit Engagement und Spaß bei der Sache sind. Projektorchester nennt er das Ensemble, weil sich die Musiker nur zwei-, dreimal im Jahr treffen, um gezielt und konzentriert an einem neuen Projekt zu arbeiten. So ist gewährleistet, dass nie so etwas wie „Orchesteralltag“ aufkommt, sondern dass die Musiker mit Neugierde an jedes neue Projekt herangehen. Und vielleicht liegt hier auch ein Geheimnis der Klangkultur des Orchesters, der Präzision und der unglaublichen Intensität, mit der hier gespielt wird. Fast scheint es, als ob sich die Musiker blind verstehen, wenn sie jeden Atemzug und jede Geste ihres Dirigenten, und sei sie noch so klein, sofort musikalisch umzusetzen wissen. Das andere Geheimnis aber liegt sicherlich in der charismatischen Persönlichkeit von Jos van

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