Tage Alter Musik – Almanach 2011

streng, zu wenig moduliert, zu wenig geschmeidig. Gerade in Regensburg mit seinen so inspirierenden Orten hat man auf diesem Gebiet schon viel Berückenderes, Zauberischeres gehört. Gerade mit blitzsauberem Spiel gezaubert haben dann aber die Musikerinnen und Musiker vom "Harmony of Nations Baroque Orchestra", das unter der Leitung des italienischen Oboisten Alfredo Bernardini am Samstag im klassizistischen Neuhaussaal spielte. Man könnte meinen: schon wieder ein Barock-Orchester, das sich aus einer Gruppe all jener hochbegabten Absolventen zusammensetzt, die Jahr für Jahr zu Hunderten die Musikhochschulen verlassen. Stimmt. Das ist ein bunter Haufen überwiegend junger Musiker, und sie sind ohne Frage hoch- begabt. Die Idee zu dem "Harmony of Nations"-Orchester ist aus dem "European Community Baroque Orchestra" hervorgegangen, aber dazu kam in diesem Konzert mit Musik von Purcell, Corelli, Rebel, Albinoni und Telemann ein Temperament und eine musikalische Intelligenz für den Tonfall der Kompositionen, dass das rein technische Können und die Sauberkeit des Spiels "nur" als Voraussetzung für die eigentliche Interpretation durchklangen. Das war mit Abstand das Beste an dieser Art von Ensemble-Musik, das man in den vergangenen Jahren in Regensburg zu hören bekommen hat, und kann als Maßstab für viele Formationen dienen, die sich mit der Orchestermusik des Barock beschäf- tigen. Der Funke sprang auch sofort über. Am Stehplatz auf der Empore waren viele junge Leute, die sich sichtbar vom Rhythmus dieses Barock- Swings mitreißen ließen. Zum Abschluss gab es Beifallsrufe und -pfiffe wie bei einem Rockkonzert. "Alte Musik" heißt nicht, dass diese Musik von gestern sei. Sie war auch damals nicht ohne Grund "der Hit" und schlägt auch bei den modernen Hörern von heute ohne Umwege ein. Die CD des Orchesters heißt "Les Caractères de la Danse". Sie enthält das Programm des Konzertes, ist beim herzerfrischend engagierten Label "Raumklang" erschienen und sollte von jedem gekauft werden, der an hochkultivierter Barockmusik zur guten Unterhaltung Freude hat. Zurück zu den Wurzeln (II) Von der Volksmusik zur Kunstmusik und dem Madrigal in Monteverdis "Ulisse" - Die Regensburger Tage Alter Musik 2011 zeigten, wo die Kunstmusik herkommt. (Regensburg, 15. Juni 2011) Bei den Tagen Alter Musik Regensburg ist es Brauch, den Begriff "Alte Musik" weit auszulegen. Das betrifft auch die Musikgattungen. In jedem Jahr sind Musiker und Ensembles dabei, die nicht nur mit der Kunstmusik einer Epoche umgehen kön- nen, sondern auch "volkstümlichere" Formen beherrschen oder sich für sie interessieren. Dabei ist eine interessante Entwicklung zu beobach- ten: Zuerst hat die Alte-Musik-Bewegung sich wieder Spielweisen aus der Volksmusik angeeignet, die für das "ernste" Genre längst tabu geworden waren: ausgeprägt tänzerisches Spiel etwa, die radikale Betonung der schweren Taktteile oder die atmende Artikulation. Dann begann die etablierte Alte-Musik-Szene, die volkstümlichere Musik jener Zeiten für sich zu entdecken, aus denen man die Kunstmusik neu dargestellt hatte. Einige Konzerte in Regensburg 2011 zeigten nun beides gleichberechtigt nebeneinander und trugen Titel wie "Telemann und die Zigeunermusik" (mit dem kanadischen "Ensemble Caprice" des aus Deutschland stammenden Blockflötisten und Geigers Matthias Maute), "Der Einfluss der Volksmusik auf die höfische Musik des 17. und 18. Jahrhunderts" (mit dem Ensemble "Rebaroque" aus Schweden) oder sie brachten Musiker, die sich offen zur "Folklore" bekennen mit Künstlern des "ernsten" Faches zusammen ("Kantaduri" aus Kroatien mit "Dialogos" aus Frankreich mit Gesängen der dalmatinischen Messliturgie des Mittelalters). Das ist tatsächlich reizvoll, den Vorlagen nachzu- spüren, nach denen dann die großen Komponisten ihrer Zeit dann überzeitliche Kunstmusik machten. "Caprice" ließ Zigeunermusik im Originalklang nur so krachen, und die Sätze aus Kompositionen von Telemann wirkten anschließend plausibler, verlangten sogar nach derbe- rem Zugriff, als man ihn von der reinen "Kunstmusik" erwarten würde. Bei der dalmatisch-glagolitischen Musik zeigen sich dann aber die Grenzen der Methode. Die Gesänge, die mit Dreiklangsharmonik wie für heutigen sentimentalen Geschmack wie modernisiert wirkten (und manchen wie "La Montanara" im Ohr klangen) trugen nicht die ganze Länge des Nachtkonzertes in der Dominikanerkirche hindurch und erwiesen sich eher als Gebrauchsmusik denn als Stücke mit entschieden künstlerischer Absicht. Da, und auch bei den Zigeunerklängen von "Caprice" in der Oswaldkirche, wären andere Hörsituationen gefragt, so interessant diese Zusammenhänge letztlich auch sind. Zweimal wurden die Tage Alter Musik in diesem Jahr szenisch. Am Ende des Festivals gab es Monteverdis "Il Ritorno d'Ulisse in Patria", als Abschluss der Monteverdi-Opern-Trilogie mit "La Venexiana" im Velodrom. Wieder konnte das halbszenische Konzept überzeugen, bei dem vor allem die Gefühlslage der Protagonisten dargestellt wird. Eine sehr sparsame Dekoration mit einer Art Vorhängen genügte, um einen Raum für die eigenen Vorstellungen zu schaffen. Die Sängerinnen und Sänger von "La Venexiana" hatten große Präsenz in der Gestaltung ihrer Rollen und konnten sie den Zuhörern wahrhaftig nahebringen. Die Aufführung einer Monteverdi-Oper auf diese Art nimmt dem Begriff "Oper" die über die Jahrhunderte zugelegte Schwere und bringt das Werk seinem Ursprung im Madrigal wieder näher. Man entdeckt auch wie- der das Spielerische, mit dem Monteverdi aus Elementen des Madrigals seine Großform schuf. Keine Frage: das Weniger dieser Art der Aufführung ist ein deutliches Mehr an Verständnis für das Werk. Im Velodrom fand auch eine Aufführung statt, die die Meinung des Publikums tiefgehend spaltete. Das Ensemble "eX" mit Ursprüngen in Deutschland und Irland zeigte dort ihre szenische Auffassung von Bachs Kantate "Christ lag in Todesbanden". Dem erhabene Kunst erwar- tenden Zuschauer fiel die Kinnlade herunter: da agierten Tänzerinnen wie in einer Revue-Bar, da gab es Andeutungen einer Tischgesellschaft wie im "Jedermann", da wurde das Kruzifix als bunter Totem verulkt und in der Arie "Hier ist das rechte Osterlamm" machte sich ein Koch über die auf den Tisch gelegte Christus-Gestalt her. Schrill, bunt, respektlos, ja, aber leider auch ohne irgendeinen Sinn, wie er sich etwa in Herbert Wernickes Inszenierung von Bach-Kantaten unter dem Titel "Actus tragicus" ergibt. Solche Buhs hat man von der sonst einmütig begeisterten Regensburger Zuschauerschaft noch nie gehört, aber auch Beifall brandete auf. Ihr Ziel, die ungetrübte Kunsterwartung richtig aufzumischen, hatten die Leute von "eX" auf jeden Fall erreicht. Zumal man ihnen für die musikalische Seite des Projekts nicht am Zeug flicken konnte. In den Instrumenten wie in den Stimmen solistisch besetzt, musizierten sie die Bach-Kantate auf einem hohen Niveau.

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