Tage Alter Musik – Almanach 2011

Am Abend dieses Sonntags gab es dann den Höhepunkt der diesjährigen Musiktage zu hören und zu sehen: Das Konzert des englischen Vokalensembles "Stile Antico" (die CDs des phänomenalen Ensembles sind bei Harmonia Mundi erschienen) im weitläufigen Schiff der goti- schen Dominikanerkirche. Die zwölf Sängerinnen und Sänger (von denen drei Sängerinnen auch beim "Ensemble Brabant" am Freitag mit- wirkten) musizierten ein Programm mit Musik des spanischen Komponisten Tomas Luis de Victoria, die zu Vorbildern seiner Kompositionen (keine aus der Volksmusik, sondern von Meistern wie Palestrina, Morales und Guerrero) in Bezug gestellt wurden. Perfekte Ausführung im idealen Raum, wieder eines jener Ereignisse, die so nur in Räumen stattfinden können, wie sie Regensburg eben zu bieten hat. Das Ensemble sang sich zu Höchstform auf, verströmte einen einzigartig geschmeidigen, zu jeder Modulation fähigen Gesamtklang und ließ dabei jede wichtige Stimme durchhören. Völlig ohne Anstrengung sangen sie, als sei ihnen jeder Ton gerade in die Kehle gefallen, ganz dem Lauf der Polyphonie Victorias hingegeben. Nur in Darbietungen wie dieser kann Victorias raffiniert disponierte und umwerfend sinnliche Musik ihre ganze Größe entfalten. Das war ein Triumph geistigen Inhalts und irdischen Könnens, der so auch nur durch den richtigen Ort mög- lich würde, durch die Weite des Raumes mit seinem für diese Musik idealen Nachhall. Ein Glück, dass die Aufnahmen von "Stile Antico" alle als SACD erschienen sind. Nicht ganz so ernst, aber nicht weniger ernsthaft gaben sich dann am Montag-Morgen im Reichssaal die sechs Musiker von "Artemandoline". Das ist eine in Luxemburg beheimatete Gruppe, die sich ganz der Musik für Mandoline verschrieben hat. Man spielt mehrstimmig auf Mandolinen, nur der Continuo ist mit Gambe oder Violone und Cembalo oder Orgel besetzt: ein Mandolinenorchester. Das mag im ersten Moment putzig klingen, zehn Takte später ist man schon ganz hingerissen von diesem golden-prickelnden Klang der mit einem Plektrum gezupften Instrumente (was den Klang so heller und präsenter macht als den der verwandten, mit den Fingern gezupften Laute). Die Musikerinnen und Musiker spielen höchst lebhaft, virtuos und zugleich mit großem künstlerischen Ernst. Ihre Interpretationen von Musik von Vivaldi, Scarlatti, Johann Sigmund Weiss und anderen weniger bekannten Komponisten des 18. Jahrhunderts sind kompetent und in jeder Hinsicht durchdacht. Das ist tatsächlich eine Musik- und Klang-Dimension, die bislang zu Unrecht vernachlässigt wurde und hoffentlich viele Freunde gewinnen wird. Denn das zu hören, das macht einfach Spaß. (CDs beim Label "Jade"). Von den Tagen Alter Musik in Regensburg verabschiedet man sich immer mit dem Gefühl, sehr viel gehört, Musikalisches erlebt zu haben und doch etwas zu kurz gekommen zu sein. Da bleibt leider einfach zu wenig Zeit, die wundervolle Stadt zu genießen, gar zu erkunden, die seit 2006 als Weltkulturerbe geführt wird, aber nicht erst seit diesem Datum eine der allerschönsten Städte Europas ist. Eintausend Baudenkmäler sind innerhalb der ehemaligen Stadtmauern versammelt, und ein historischer Spruch - zu lesen im neuen Weltkulturerbe- Zentrum im Salzstadel - besagt, in Regensburg gebe es so viele Kirchen und Kapellen, wie es das Jahr Tage hat. Das sollte zum Gesamterlebnis in Zukunft dringend dazu gehören. Es wäre übrigens in aller Interesse, wenn sich die Tage Alter Musik entspannter, das heißt, über mehr Tage ausbreiten könnten. Die Besucher hätten mehr Zeit, das Gehörte zu verarbeiten. Die Veranstalter könnten ihre Konzerte entspannter platzieren. Und die Stadt und ihre Kaufleute könnten von einer längeren Verweildauer der Besucher auch an Werktagen profitieren. Denn Regensburg hat eine große Zahl attraktiver Geschäfte zu bieten, die dank der weitläufigen Fußgängerzone bequem und angenehm zu erreichen sind. Und Konzertbesucher sind nicht die ärmsten Menschen. Sie haben Geld, sie haben Geschmack, sie haben Lust auf Schönes. Wer vom Bummeln und Shoppen ermüdet, den erwar- ten zahllose Cafés und Restaurants. Bei schönemWetter gibt es, nur 120 km nordöstlich von München, Atmosphäre wie in jedem italienischen Stadtjuwel. Wie wäre es, wenn die Stadt das weltbekannte Festival an seine Brust nähme und seinen Wert als Quelle für Besuch und Kaufkraft einsetzte. Es sollte als zentrales Ereignis des Kulturangebots der Stadt angepriesen und noch stärker in das Tourismusangebot eingebunden werden. Hier hat sich in 27 Jahren eine Kompetenz und eine Bekanntheit angesammelt, die einzigartig ist und Regensburg auf der Kulturlandkarte fest eingebrannt hat. Ludwig Hartmann, Stephan Schmid und Paul Holzgartner haben schon lange vor der Verleihung des Weltkulturerbe-Titels das weiterreichen- de kulturelle Potenzial der Stadt entdeckt - die Räume, das Ansehen der Regensburger Domspatzen - und es mit Leben erfüllt. Ihre Leistung besteht nur zum einen Teil im Aufspüren und Einladen besonderer musikalischer Talente. Der andere Teil ist die kongeniale stilsichere Verbindung mit dem unvergleichlichen architektonischen Erbe, dessen Wert durch die Aufführung der dorthin gehörenden Musik eine neue, in dieser Dichte nur in Regensburg erfahrbare Dimension erhält. Darüber sollten die Stadtväter und alle, die an Regensburgs Erfolg interes- siert sind, einmal länger nachdenken. In drei Jahren feiern die Tage Alter Musik ihr 30. Jubiläum. Spätestens dann sollte ihr Angebot fest zum Besuchsprogramm des Weltkulturerbes gehören.

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=