Tage Alter Musik – Almanach 2012

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Geigerin Midori Seiler, die den reiz- vollsten optischen Akzent im Programm setzte, spielte hier zur sonntäglichen Messezeit Johann Sebastian Bachs Parti- ten für Solovioline. „Die reine Wahr- heit“, geriet Veranstalter Ludwig Hart- mann über Seilers konzentriertes, unge- mein klares Spiel ins Schwärmen, „das ist die Kunst!“ In der zweiten, der d- Moll-Partita, wies die Geigerin gar die Glocken mit dem Mittagsgeläut zeitwei- se in die Schranken, ohne übermäßig laut zu spielen. Dazu passt der Kommentar eines In- strumentenbauers, der im Salzstadel an der Steinernen Brücke „Blasende Instru- mente“ in großer Vielzahl präsentierte. „Entweder du machst es, fast wie eine Sucht“, begründete er seine Motivation, mit immer neuen Holzarten zu experi- mentieren und gerade Zinken und Schal- meien zu drechseln oder gar zu schei- tern, „oder du lässt es!“ So einfach kann das Leben sein. Dann aber zieht er eine Reihe von Tinkturen und Ölen heraus und erläutert, wann welches Öl zum Fir- nisanstrich oder zur Reinigung Verwen- dung findet und die Welt ist wieder wunderbar kompliziert. Derweil bessert der zwölfjährige Sohn am Fuße der Stei- nernen sein Taschengeld mit Blockflö- tenmusik auf, tapfer über krumme Töne und humpelnde Rhythmen hinwegspie- lend. Trotz besten Biergartenwetters summt die umfangreiche Ausstellung historischer Nachbauten von Lauten, Gamben, Orgeln und Portativen, Gems- hörnern, Drehleiern und Notenheften vom Ansturm der Besucher. Mit Akkor- den einer prächtigen Gitarre im rechten Ohr, die ein talentierter Besucher inten- siv testet, und zarten Cembaloklängen von links, konnte man leicht das nächste Konzert verpassen. Das wäre im Fall des englischen Ensembles „Brecon Baroque“ in der St.-Oswald-Kirche kein zu großer Verlust gewesen. Auf technisch beein- druckend hohemNiveau fehlte den Kon- zerten von Bach und Telemann ein we- nig Leben. Im krassen Kontrast dazu stand die bis ins Letzte durchdachte und musikalisch durchlebte Interpretation von Mozarts Grabmusik – mit Thomas Bauer (Bass) und Andrea Lauren Brown (Sopran) als Solisten – und dem nur als Fragment überlieferten Requiem – eine atemberaubende Glanzleistung. hrhunderts imOhr e „La Compañia“ in der Minoritenkirche vor. Alle Fotos: altrofoto.de ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● TAGE ALTER MUSIK ➤ Das international renommierte Re- gensburger Festival „Tage Alter Musik“ fand an diesem Pfingstwochenende zum 28. Mal statt. 13 Konzerte und eine Opern- aufführung standen an den vier Tagen von Freitag bis gestern auf dem Programm. Dabei reichte die Bandbreite von Musik aus demMittelalter bis zur Romantik. ➤ Mehrere Konzerte widmeten sich der Renaissancemusik aus England, Italien oder Spanien, andere stellen barocke In- strumentalkonzerte etwa von Johann Se- bastian Bach oder Georg Philipp Telemann in den Mittelpunkt. ➤ Die mitwirkenden Ensembles kamen neben Deutschland aus Australien, Groß- britannien, Belgien, den Niederlanden, Ita- lien, Frankreich, Schweden und der Schweiz. Die Tage Alter Musik wurden von einer Ausstellung historischer oder nach- gebauter Instrumente im historischen Salzstadel in Regensburg begleitet. Mehrere der Konzerte wurden live im Ra- dio gesendet beziehungsweise aufgezeich- net. ➤ Über weitere Konzerte und die ab- schließende Opernaufführung berichten wir auf den Kulturseiten in unser morgigen Ausgabe. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● BEI UNS IM NETZ Die Kritiken zu den 28.Regensburger „Tagen Alter Musik“ finden Sie in einer ausführlicheren Fassung im Internet unter ➤ www.mittelbayerische.de/kultur ● ➲ Lesen Sie mehr! Palestrinas Musik gilt als Inbegriff eben- mäßiger, satztechnisch ausgewogener Mehrstimmigkeit, im Fall der „Missa Pa- pae Marcelli“ kommt hinzu, dass der Komponist eine eher schlichte, sehr text- verständliche Messvertonung gestaltete. Der Gefahr einer allzu glatt dahinströ- menden Gestaltung setzte das 14-köpfige italienische Vokalensemble „Odhecaton“ bei seinem Nachtkonzert eine besondere klangliche Strategie entgegen: Ausge- hend von einem eher ungewöhnlichen Fokus auf expressive Textdeklamation stehen die einzelnen Sänger mit ihren je- weiligen Stimmcharakteristiken oder bestimmte Stimmgruppen im Vorder- grund. Dies ergab sehr variable Mischun- gen und eine Auflockerung des sonst eher als Klangkontinuum aufgefassten Palestrina-Stils. Weil sich innerhalb des hohen vokalen Niveaus intonatorische Wackler in Grenzen hielten, entschied somit das italienische Ensemble den – zumindest partiell naheliegenden – Ver- gleich mit den englischen Kollegen von „Gallicantus“ für sich. Ungewöhnlicher Fokus Vokalensemble Odhecaton ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON JUAN MARTIN KOCH, MZ Mit seinem Orchester „Anima Eterna“ hat Jos van Immerseel den Anspruch des „Originalklang“-Musizierens allmählich chronologisch bis in die späte Romantik ausgedehnt: Werke etwa von Liszt und Rimski-Korsakov präsentierte er dem Publikum der „Tage Alter Musik“ in den vergangenen Jahren. Ist diese Idee inzwi- schen ausgereizt? Diesmal folgte jeden- falls bei einem Festival-Konzert in der Alten Kapelle die Wendung zurück ins 18. Jahrhundert: gemeinsam mit dem Collegium Vocale Gent wandte sich Im- merseel der geistlichen Musik Wolfgang Amadeus Mozarts zu. Mit einem Fuß steht dessen „Grabmu- sik“, eine Passionskantate des eben Elf- jährigen, noch im barocken Stilbezirk. Grundiert von rasenden Streicherfigu- ren übernimmt bei der Aufführung die- ses dialogisch angelegten Werks der Bas- sist Thomas Bauer die Rolle der zer- knirschten „Seele“. Affektgeladen ist sein Vortrag, bei dem er Stichworte wie „Rachen“ und „Flammen“ scharf heraus- meißelt. Zur Legatokultur lässt er sich zurückführen, wenn ihn ein „Engel“ zu Reflexion und Reue animiert: Mild ver- körpert diesen die Sopranistin Andrea Lauren Brown und gießt Balsam auf die Wunden der „Seele“. Auch Jos van Im- merseel lässt sein zuvor mit heftigen Ausbrüchen aufwartendes Orchester nun zu ruhigerer, empfindsamer Klang- sprache finden. In der Gegenüberstellung mit dieser „Grabmusik“ wird besonders deutlich, wie viel an barocken Reminiszenzen auch noch in Mozarts mehr als zwanzig Jahre später entstandenem „Requiem“ steckt. Ganz sanft schwingend lässt Im- merseel es anheben, aber schon bald melden sich ernstere, dunklere Töne zu- mal der Posaunen und Bassetthörner zu Wort. Sie leiten eine Interpretation ein, bei der die Sänger des Collegium Vocale Gent und das Orchester gemeinsam dras- tische Bilder des Jüngsten Gerichts ent- werfen, wobei der Furor noch durch kra- chende Einwürfe der Pauke gesteigert wird. Sanftere, doch nicht weniger ge- lungene Passagen bietet dann das „Bene- dictus“. Trefflich besetzt sind ebenso die Solopartien, deren individuelle Stimm- charaktere sich besonders gut im „Tuba mirum“ abzeichnen: Dem markanten Bass Henry van Kamps lässt der Tenor Markus Schäfer frenetische, dann wei- chere Töne folgen, und vom dunklen Timbre der Altistin Sophie Harmsen wird hier für einen Moment lang auch Andrea Lauren Brown beeinflusst, deren Sopranstimme später das „Lux aeterna“ umso heller aufleuchten lässt. Die zerknirschte Seele wird gestreichelt Anima Eterna Brugge & Colle- giumVocale Gent ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON GERHARD DIETEL, MZ Die Schwierigkeiten, die Bach dem In- strumentalisten in seinem monumenta- len Zyklus von je drei unbegleiteten So- naten und Partiten abverlangt, potenzie- ren sich bei der Verwendung einer Ba- rockgeige. Midori Seiler nahm diese Hür- den zu Beginn ihres Programms in der Spitalkirche mit in die Interpretation hi- nein. An die Stelle einer selbstverständli- chen Zurschaustellung manueller Fähig- keiten trat in der d-Moll-Partita die De- tailarbeit an einem Klang, den es erst zu erarbeiten gilt. Diesen in seiner nachdenklichen Hal- tung sehr plausiblen Ansatz schien die Geigerin dann mit dem Presto-Double der Courante schier wegfegen zu wollen. In atemberaubendem Tempo stellte sie hier die pure Lust an der Formauflösung zur Schau, stieß dabei aber an klangliche Grenzen. Obwohl sie dann das Double der Sarabande sehr verhalten anging, er- holte sie sich von diesem Parforce-Ritt bis in die dann leicht verunglückte Bour- rée hinein nicht vollständig. Beeindruckende technische und ge- stalterische Präsenz entwickelte Midori Seiler dann in der d-Moll-Partita. Eine wunderbare Piano-Wiederholung des ersten Allemande-Teils, der leicht verbis- sene Tanzgestus der Corrente, die nun besser tragenden harmonischen Basistö- ne in der Giga: All das bereitete den Weg für eine manuell wie in der Erfassung des riesigen architektonischen Bogens zwingende Bewältigung der berühmten Chaconne. Lust an der Formauflösung GeigerinMidori Seiler ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON JUAN MARTIN KOCH, MZ Das australische Ensemble „La Compa- ñia – The Renaissance Band“ sah sichmit dem akustisch problematischsten Raum konfrontiert: der Minoritenkirche. Wenn der Zink (virtuos: Danny Lucin) die Stimmführung übernahm, war von der Violine (Rachel Beesley), der Viola da gamba (Victoria Watts) und von Laute bzw. Renaissancegitarre (Rosemary Hodgson) kaum etwas zu vernehmen. Ebenso erging es Mitchell Cross (Dulzian und Pommer) neben den Posaunen von Julian Bain und Glenn Bardwell. Das Schlagwerk (Christine Baker) hielt durchgehend die Stellung. Bei der Blä- ser-Dominanz hatte es auch die schön singende junge Sopranistin Siobhan Stagg nicht einfach, sich durchzusetzen. Die zwanzig Programmpunkte ver- mittelten in musikalischen Miniaturen Genrebilder höfischer Unterhaltung. Die Vertonungen sind von den Gehalten der Texte noch unbeeinflusst, denn Affekt- ausdeutungen finden erst im Barock Ein- gang in die Musik. Bei den spanischen Vertonungen hätte man sich doch mehr Temperament gewünscht, was Siobhan Stagg dann erst am Schluss bei Willaerts „Cingari simo“ und Gastoldis Bestseller „L’innamorato“ zeigte. Je drei Werke von Gaspar Fernandez und Francisco Guerre- ro, je zwei Manuel Machado und Juan Vásquez zeichneten die Musik der Minis- triles vor der Pause. Die europäischen Musiker Giovanni Giacomo Gastoldi, Or- lando di Lasso und Adrian Willaert ga- ben danach Einblicke in die weltoffenere Musik an europäischen Höfen zur Zeit der Renaissance. Hier war der zentrale Einfluss Italiens deutlich spürbar. Musikalische Miniaturen Ensemble La Compañia ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON GERHARD HELDT, MZ

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