Tage Alter Musik – Almanach 2012

REGENSBURG. Auch heuer war eine Oper die Schlussveranstaltung der Ta- ge Alter Musik. 2004 gastierte das Münchner Orchester „La Ciaccona“ mit der Oper „Amor und Psiche“ von Joseph Schuster (1748-1812) im Velo- drom, acht Jahre später gelangte sein Dramma giocoso „Il marito indolente“ (Der gleichgültige Ehemann, 1782) zur Aufführung. Der Stoff des Dresdner Hoflibrettisten Caterino Mazzolà, der auch das Libretto von Mozarts „Titus“ schrieb, beruht auf Homers „Odyssee“, ist aber – ähnlich Mozarts „Così fan tutte“ – eine Abhandlung über menschliche Eigenschaften wie Liebe und Treue, Teilnahmslosigkeit und Untreue. In der Ehe der temperamentvollen Metilde und des philosophierenden Bücherwurms Tranquillo ist jede Lei- denschaft erloschen. Metilde wird, wie Odysseus’ Gattin Penelope bei Homer, von Liebhabern umworben: dem dege- nerierten Grafen Belospiri (schöne Hoffnung) und einem draufgängeri- schen jungen Leutnant, der es ur- sprünglich auf Lucina, die Schwester Tranquillos, abgesehen hatte. Fulgen- zio, Onkel des Hausherrn, versucht, die Ehe seines Neffen wieder ins rechte Lot zu bringen. Bei dieser Gelegenheit bemerkt er die Vorzüge der Kammer- jungfer Reginella (kleine Königin) und wirbt erfolgreich um sie. Einer bleibt zum Schluss übrig Die klassische Personenkonstellation der Commedia dell’arte ist also gege- ben: vier Männer, drei Frauen, die zum glücklichen Schluss zu drei Paaren werden; einer bleibt als der, der zu viel wollte, übrig, hier der einzige Adlige, Graf Belospiri. Gesellschaftskritik wie in Mozarts „Figaro“ bedeutet das bei Mazzolà-Schuster nicht, wie über- haupt Inhalt und Gehalt Politisches außen vor lassen. Es geht, wie in Mari- vaux’ „Streit“ (1744), darum, welches der Geschlechter eher zu Liebe und Treue fähig ist. Mazzolà umgeht die Antwort auf diese mal heiter, mal ernst diskutierte Frage, indem er den konventionellen Ausgang wählt: drei glückliche Paare. Dass einer übrig bleibt, trübt die Stimmung nicht. Regisseur Dominik Wilgenbus, als Everding-Schüler an vielen deutschen Bühnen, vor allem aber mit seiner Münchner Kammeroper, erfolgreich, arbeitet mit einfachsten Theater-Mit- teln: Ein kleines Spielpodest für die Aktionen steht im Vordergrund der Bühne (Peter Engel). Daneben hat das sicher aufspielende kleine Orchester Platz. Einzige Requisiten sind zahllose Bücher, die die wahre Leidenschaft des Ehemanns charakterisieren. Sie wer- den im Verlauf der Oper immer zahl- reicher herangekarrt, besetzen im Schlussbild auch die ganze Hinterbüh- ne. Die weißen Kostüme (Katja Melle) sind schlicht wie auch die kaschierten höfischen Frisuren im Stil der Entste- hungszeit, die Wilgenbus zusätzlich mit einigen aus der Barockoper stam- menden Sängergesten unterstreicht. Die Zeit des Adels ist abgelaufen Die Charaktere der einzelnen Figuren sind sehr genau nachgezeichnet: Der Graf steht für degeneriert-blasierten Adel, dessen Zeit abgelaufen ist. Metil- de und ihre Schwägerin Lucina sind durchgehend emanzipierte Frauen, die denMännern zeigen, wo es langgeht. Joseph Schusters Musik ist durch und durch konventionell, über weite Strecken nicht mehr als solide Ge- brauchsmusik. Nach der mehrteiligen, schlicht aus kurzatmigen Motiven zu- sammengesetzten Ouvertüre konnte man erahnen, welche Komponisten Mozart mit seinem „Dorfmusikanten- sextett“ KV 522 verspottete. Es domi- nieren knappe Kadenzfloskeln, Skalen und endlose Sequenzen. Die Rezitative wurden deutsch, die Arien italienisch (mit Übertiteln) gesungen, wobei sie mit zunehmender Dauer an Qualität und Ausdrucksstärke zunahmen. In den wenigen Ensembles zeigte Schus- ter, weshalb Mozart einige seiner Wer- ke schätzte. Dirigent Jörg Straube gab der musi- kalischen Seite mit deutlicher Zei- chengebung den nötigen Rückhalt. Sängerisch und gestalterisch gefielen allen voran Katja Stuber mit leichtem Mozartsopran als Lucina und der kolo- raturstarke Thomas Lichtenecker (Al- tus) als Leutnant. Rollendeckende Charakterisierungen der teils über- kandidelten Metilde und des nur scheinbar gleichgültigen Tranquillo gelangen Constanze Backes (Sopran) und Thomas Stimmel (Bassbariton). Markus Flaig (Bass) schlug mit starken Tönen Kammerjungfer Reginella (mit scheuem Alt: Andrea Letzig) in seinen Bann. Glänzend in seiner Rolle And- reas Post mit einschmeichelndem Te- nor als Graf Belospiri. Wilgenbus’ ex- zellente Präzisionsarbeit bei der facet- tenreichen Darstellung unterschied- lichster Emotionen aller Sänger ließ leicht über die eine oder andere Länge im Stück hinweghören. Emotionen in exzellenter Präzision OPER Das Münchner Orches- ter „La Ciaccona“ gastiert mit Joseph Schusters „Der gleichgültige Ehemann“ im Velodrom. Der Stoff beruht auf Homers „Odyssee“. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON GERHARD HELDT, MZ In „Der gleichgültige Ehemann“ – unser Bild zeigt eine Szene aus dem Ve- lodrom – geht es um Liebe, Treue und Untreue. Fotos: altrofoto.de ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● „IL MARITO INDOLENTE“ VON JOSEPH SCHUSTER ➤ Heute ist der 1748 geborene Dresd- ner Hofkomponist Joseph Schuster, einstiger Shooting-Star mit Opernerfol- gen in Italien, nahezu unbekannt. ➤ Seine Oper „Il marito indolente“ wurde 1782 in Dresden im Kleinen Chur- fürstlichen Theater uraufgeführt. ➤ Die handschriftliche Partitur liegt in Dresden in der Musikhandschriftenab- teilung der sächsischen Landesbiblio- thek,wurde von der Barockgeigerin Ulla Baur wiederentdeckt und in moderne Partitur übertragen. Das Libretto stammt von Caterino Mazzolà. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Begeisternde Konzerte und eine Oper als Festival-Finale TAGE ALTER MUSIK Nach ihrem ersten Regensburger Gast- spiel 2006 machten die Musiker er- neut Station im Reichssaal und boten in einer Matinee mit Werken von Triebensee, Beethoven und Mozart Harmoniemusiken aus dem kaiserli- chen Wien des frühen 19. Jahrhun- derts. Mit einer Mischung aus souverä- ner Gelassenheit und Musizierfreude spielte die aus jeweils zwei Oboen, Kla- rinetten, Fagotten und Hörnern be- stehende Bläsergruppe eines Orches- ters sowie einem als Verstärkung hin- zugenommenen Kontrabass zart und weich klingende Harmonie- und Tischmusik. Fällt ein Musiker des En- sembles wegen anderer Verpflichtun- gen aus, springt, wie hier geschehen, ein befreundeter Kollege ein. Und es machte auch nichts aus, dass ein Hor- nist seine ihm vertrauten Noten nicht fand, und er daher seinen Part auswen- dig spielte. Beim bearbeiteten Allegret- to aus Beethovens 7. Sinfonie stiegen die Musiker stets eine Tontreppe hö- her, und zu den von Andreas Göpfert arrangierten Mozart-Liedern trug Eckehard Lenzig die Texte vor. Heiden- reichs Bearbeitungen von Arien aus der Zauberflöte geriet zumHörvergnü- gen. Für interpretatorische Originali- tät sorgte die Wiedergabe je einer Par- tita von Triebensee und Beethoven zu Beginn und zumKonzertschluss. Souveräne Gelassenheit MATINEE Werke von Trieben- see, Beethoven und Mozart vomAmphion Bläseroktett ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON ULRICH ALBERTS, MZ Harmoniemusiken aus dem kaiserli- chen Wien gab es im Reichssaal. Das Ensemble 1700 Lund hatte natür- lich Stücke des „Vaters der schwedi- schen Musik“ im Gepäck: von Johan Helmich Roman (1694-1758), Geiger, Leiter der Stockholmer Hofkapelle, der in ausgedehnten, jahrelangen Studien- reisen durch die Musiklandschaften Europas alles kennenlernte, was zu seiner Zeit angesagt war. Er spielte in Händels Opernorchester in London, verkehrte in Italien mit den besten Komponisten. Seine Drottningholms- musiken sind eine Folge von 24 Tanz- und Zeremoniensätzen, komponiert zur Hochzeit eines schwedischen Thronfolgerpaares. Daraus hatte man neun Sätzchen ausgewählt, sie höchst differenziert ausgearbeitet, jedem sei- nen Affekt zugestanden: flüchtig oder galant, duftig oder feierlich. Ausge- prägten Personalstil zeigen die langsa- men Stücke mit ihren melodischen Kniffen und einem Schuss Melancolia. Im silbrig-glänzenden Klangbild des Ensembles Lund war das ein wenig wie schlichter, aber angenehmer Hän- del. Von Händel selbst gab es das Con- certo grosso op.3/2, von Telemann das Oboe d’amore-Konzert, in kleiner Be- setzung begleitet, von Per Bengtsson als Primus inter pares mit sanftem Ton interpretiert, und als Höhepunkt Tele- manns Suite La Changeante mit ihren Launen und farbigen Klangeffekten. Man spielte ohne Mätzchen, durchaus mit Schwung, nahezu schlackenlos. Nahezu schlackenlos SCHWUNGVOLL Ensemble 1700 Lund aus Schweden spielt Johan Helmich Roman. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON CLAUDIA BÖCKEL, MZ Das Ensemble 1700 Lund in St. Oswald

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