Tage Alter Musik – Almanach 2012

Die Vielfalt Alter Musik als Programm von Ingo Negwer Die 28. Tage Alter Musik Regensburg wurden, einer guten Tradition folgend, von den Regensburger Domspatzen eröffnet. Ihnen zur Seite stand wieder einmal die Akademie für Alte Musik Berlin , die zu Beginn in der Basilika St. Emmeram Franz Schuberts Sinfonie h-Moll „Die Unvollendete“ spielte. Ohne Dirigenten, vom Konzertmeisterpult (Georg Kallweit) geleitet, interpretierten die Berliner das wohlbekannte Orchesterstück mit ungewohnt herbem Grundton präzise und transparent. Nach der Pause nahmen sich die Domspatzen unter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner Schuberts Messe Nr. 5 As-Dur mit gewohnt erstklassiger Stimmkultur auf beherzte Weise an. Das ebenfalls ausgezeichnete Solistenquartett bildeten Deborah York (Sopran), Dorothée Rabsch (Alt), Florian Neubauer (Tenor) und Christof Hartkopf (Bass). Das Regensburger Pfingstfestival bot auch in diesem Jahr ein facettenreiches Konzertangebot mit Musik vom Mittelalter bis zur Romantik. So konnte man sich allein am Samstag von der stilistischen Vielfalt der Tage Alter Musik überzeugen. Am Morgen gab La Compañia – The Renaissance Band in der Minoritenkirche ihr Europa-Debüt. Unter der Leitung des Zinkenisten Danny Lucin spielte La Compañia Musik der Stadtpfeifer aus Spanien und Italien. Die Matinée war alles in allem ein sehr beachtliches Lebenszeichen der historischen Aufführungspraxis Australiens und beeindruckte vor allem durch das durchweg hohe Niveau der Instrumentalisten. Auch Siobhan Stagg ließ mit stilsicherem, kla- rem Sopran aufhorchen. Jedoch konnten die Interpreten vor allem im ersten, den spanischen Ministrels gewidmeten Teil eine gewisse Monotonie nicht vermeiden. Gemessen an Ensembles wie Piffaro – The Renaissance Band (USA, 2008 zuletzt in Regensburg) oder Capella de la Torre (Deutschland, 2010 in Regensburg) musizierte La Compañia insgesamt zu brav. Nach der Matinée mit Renaissancemusik folgte am Nachmittag in St. Oswald ein barockes Programm mit Werken von Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann. Das von der Geigerin Rachel Podger gegründete Ensemble Brecon Baroque steht ganz in der Tradition der renommier- ten britischen Ensembles. Virtuose Souveränität, gepaart mit einer leicht unterkühlten Präzision zeichnen auch Brecon Baroque aus. Insbesondere in Bachs Violinkonzerten a-Moll, E-Dur und A-Dur (eine Rekonstruktion nach dem Cembalokonzert BWV 1055) präsentierten sich die sieben Musiker, allen voran Rachel Podger, als kleine exquisite Minimalbesetzung. Auch der Cembalist Marcin Swiatkiewicz wusste im Konzert d-Moll BWV 1052 eindrucksvoll zu überzeugen. Einen erfrischenden Kontrast im Reigen der Bachschen Musik bildete Telemanns Konzert F-Dur für drei Violinen, Streicher und Basso continuo aus der „Tafelmusik“ mit den drei Geigern Rachel Podger, Bojan Cicic und Johannes Pramsohler als Solisten. Geistliche Musik von Mozart und Palestrina stand am Abend im Fokus: In der Alten Kapelle hatten sich mit dem Collegium Vocale Gent und Anima Eterna Brugge zwei belgische Spitzenensembles vereinigt. Im ersten Teil ihres Konzerts erklang die „Grabmusik“ KV 42, eine Passionskantate in Dialogform für Sopran, Bass, Chor und Orchester, die Mozart im Alter von elf Jahren komponiert und später noch einmal revi- diert hatte. Andrea Lauren Brown sang den Engel, Thomas Bauer die Seele. Das Jugendwerk verbindet traditionelle, quasi barocke kirchenmusi- kalische Elemente mit jenen der Oper und zeugt vom experimentellen Ringen seines Schöpfers um die eigene Tonsprache, vom Messen der eige- nen Kräfte. In Verbindung mit dem reiferen, später hinzugefügten Schlusschor gleicht die „Grabmusik“ einem meisterlichen Fragment, so wie das späte Requiem d-Moll KV 626 ein fragmentarisches, von fremder Hand vollendetes Meisterwerk ist. Das Requiem folgte im zweiten Teil des Konzerts in einer Darbietung, die zu den Höhepunkten des diesjährigen Festivals zählt und sicher lange in Erinnerung bleiben wird. Unter der Leitung von Jos van Immerseel musizierten Collegium Vocale Gent und Anima Eterna Brugge mit durchweg frischen Tempi. Das „Dies irae“ geriet zu einem dramatisch zugespitzten Totentanz, das zupackende „Domine Jesu“ zu einem eindringlichen, quasi fordernden Gebet. Das vorzüg- liche Solistenquartett mit Andrea Lauren Brown (Sopran), Sophie Harmsen (Alt), Markus Schäfer (Tenor) und Harry van der Kamp (Bass) fügte sich bruchlos in die von Chor und Orchester vorgegebene Idealbesetzung ein. Auf solch hohem Niveau, als ergreifendes Flehen um göttliche Gnade dargeboten, darf man Mozarts letztes Werk nur ganz selten live erleben! Der Pfingstsamstag endete mit Giovanni Pierluigi da Palestrinas Missa Papae Marcelli, aufgeführt vom italienischen Vokalensemble Odhecaton unter der Leitung von Paolo da Col. Umrahmt von geistlichen Motetten bildete die wohl berühmteste Messe des 16. Jahrhunderts einen meditati- ven, gleichwohl ebenfalls auf höchstem Niveau dargebotenen Ruhepol in der nächtlichen Dominikanerkirche. Odhecaton , mit vier Countertenören, fünf Tenören, einem Bariton und vier Bässen besetzt, entfaltete klangprächtige Spannungsbögen und wahrte zugleich ein hohes Maß an Textverständlichkeit. Mit dem zwölfstimmigen „Laudate Dominum“ endete der zweite Festivaltag zu mitternächtlicher Stunde. Der Pfingstsonntag begann in kammermusikalischer Atmosphäre in der Spitalkirche St. Katharina. Die Barockgeigerin Midori Seiler verfügt zwei- fellos über das notwendige technische und gestalterische Rüstzeug, um sich kompetent mit dem überaus anspruchsvollen Solowerk Johann Sebastian Bachs auseinanderzusetzen. In ihrer Regensburger Matinee interpretierte sie die Partiten h-Moll und d-Moll und ließ dabei mit klarer, sauberer Phrasierung, gepaart mit hoher Virtuosität kaum Wünsche offen. Am Nachmittag führte Le Concert Brisé sein Publikum auf „Umwegen zu Bach“ – so das Motto des Konzerts im Reichssaal. Musik vergangener Epochen wird leichter zugänglich, wenn man sie in eine fiktive Geschichte verpackt und dem heutigen Zuhörer in unterhaltsamen, appetitlichen Häppchen serviert. Dies mag sich auch das französische Ensemble bei der Konzeption seines Programms gedacht haben. Also blickte man zurück in das Jahr 1733: In einer Leipziger Schenke spielen ein vielgereister spanischer Musiker und einheimische Stadtpfeifer Musik aus verschiedenen Ländern und Epochen in diversen Arrangements. Da wird, nach anfänglichen Unsicherheiten im Kyrie der „Missa sine nomine“ von Palestrina, hoch virtuos und sehr ausgewogen musiziert. Die Besetzung mit Violine, Oboe, Zink, Posaune, Viola da Gamba, Fagott, Laute, Orgel und Cembalo in immer neuen Kombinationen sorgt für reichlich Abwechslung. William Dongois (Zink und Leitung) führt charmant moderierend durch das Programm. Dennoch ließ die eine oder andere Interpretation den Zuhörer wenig befriedigt und etwas irritiert am Wege zurück, wenn etwa Telemanns Jugendwerk „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“ statt mit Tenor, Violine und Basso continuo nur instrumental als Duett für Orgel und Cembalo erklang.

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