Tage Alter Musik – Almanach 2012

Eine musikalische Palladiovilla – Die 28. Tage Alter Musik Regensburg A ls Symbol der diesjährigen Regensburger Tage Alter Musik, die vom 25. bis 28. Mai an ver- schiedenen Spielstätten der alten Ratisbona statt- fanden, könnte eine ideale Villa Andrea Palladios die- nen: Begrenzt von zwei Eckrisaliten, die durch einen Portikus verbunden sind, ragt aus letzterem ein prächtiger Mittelbau hervor. Die Eckrisaliten bilden das Eröffnungs- und Schlus- skonzert. Wie auch in den letzten Jahren bestritten dies zum einen die Regensburger Domspatzen, dies- mal begleitet von der Akademie für Alte Musik Ber- lin, zum anderen La Ciaccona mit einer wiederaufge- führten Oper von Schuster. Dazwischen reihten sich zwölf Konzerte, als Matinee, Nachmittags-, Abend- oder Nachtkonzert in den jeweiligen Tag eingebun- den, mit unterschiedlichsten Programmen und Ein- drücken. Das romantisch angelegte, gewaltige Eröffnungskon- zert mit Schuberts „Unvollendeter“ und der Missa so- lemnis D.678 zeigte einen leicht überdimensionier- ten Regensburger Domchor, dessen Stimmkraft die begleitende Akademie für Alte Musik zuweilen zu- deckte, leider in großen Teilen auch die Solisten (De- borah York. Dorothée Rabsch, Florian Neubauer, Christof Hartkopf). Im anschließenden Nachtkonzert in der Schottenkir- che hörte man dann Gallicantus, sechs Männerstim- men, welche katholische „Untergrundmusik“ der wichtigsten Komponisten des 16. Jahrhunderts in England zu Gehör brachten, aus einer Zeit also, in welcher die Komposition katholischer Musik nicht gerade ungefährlich war. Das Ensemble trat mit ei- nem geschlossenen Klang vor das ausverkaufte Haus, gestaltete in gewohnter Manier mit dem „typisch englischen“ Klang, der jedoch weder Wärme noch großen Ausdruck vermissen ließ. Und damit hatten wir bereits den Eckrisaliten verlas- sen und befanden uns im Portikus, mit seinen zwölf Säulen, dem Zentralbau vorgelagert. Die nächste Säule bestand im Konzert mit La Compañia und dem Europadebüt der australischen Formation, bestehend aus neun Musikerinnen und Musikern und geleitet vom Kornettisten Danny Lucin. Sie bestritten am Fol- getag die Matinee in der profanierten Minoritenkir- che mit Werken aus dem Goldenen Zeitalter Spani- ens vor und italienischer Renaissancemusik nach der Pause. Während der erste Teil noch zögerlich und et- was statisch wirkte, legte die Gruppe nach der Pause mit dem italienischen Repertoire deutlich zu, das le- bendiger und rhythmisch betonter klang und die Lei- stungskraft des Ensembles entschieden nach oben korrigierte. In der Sankt-Oswald-Kirche folgte dann das Konzert von Brecon Baroque unter der Leitung der Violinistin Rachel Podger, auf das ich an anderer Stelle eingehen möchte. Das Abendkonzert bestritten Jos van Immer- seels Anima Eterna, das Collegium Vocale Gent und die Solisten Andrea Lauren Brown, Sophie Harmsen, Markus Schäfer, Thomas Bauer und Harry van der Kamp. Es galt, Mozarts Grabmusik KV 42 (Brown, Bauer) und das Requiem KV 626 (Brown, Harmsen, Schäfer, Kamp) in der restlos ausverkauften alten Ka- pelle zu konzertieren. Hier stellte Jos van Immerseel den Chor nicht en bloc sondern in Einzelstimmen auf, Bass – Tenor – Alt – Sopran – Bass – usw., was einen stets gleichbleibenden Chorklang schuf. Dieser Chor bestand lediglich aus 16 Stimmen und war stets prä- sent, zeigte hervorragende Meisterschaft in den Höhen und Spitzentönen, war ausgewogen. Die Ba- lance zwischen Chor und Orchester stimmte immer, die Solisten agierten angenehm. Jos van Immerseel legte Mozarts Requiem von der Romantik kommend an und präsentierte ein forderndes, spannendes und gewaltiges Requiem, welches das Publikum mit lang anhaltendem Beifall und den obligaten Bravi gou- tierte. Die dreizehn Herren des italienischen Ensembles Od- hecaton unter der Leitung von Paolo Da Col luden ins anschließende Nachtkonzert in die Dominikanerkir- che zu Motetten und der Missa Papae Marcelli Pale- strinas. Hatte man sich erst an das eigenartige Tim- bre der Countertenöre gewöhnt, konnte man dem Konzert doch einiges abgewinnen, obwohl die stets gleichbleibende Interpretation der diversen Vortrags- stücke doch etwas ermüdete. Nach der Matinee, erstmals in der gotischen Spital- kirche St. Katharina mit Midori Seiler, auch davon später, lud Le Concert Brisé am Pfingstsonntag in den Reichssaal des Alten Rathauses zum Programm „Um- wege zu Johann Sebastian Bach“. Die fiktive Ge- schichte eines reisenden Musikers aus Spanien, den es durch ganz Europa und schließlich nach Leipzig verschlägt, war der rote Faden des Programms. Hier war vor allem die Bearbeitung des Kyrie aus Bachs h- moll Messe hochinteressant, welche die acht Musi- kerInnen um William Dongois ebenso gefällig und differenziert wie das übrige Programm darboten. Dann folgte das Konzert mit dem Ensemble 1700 aus dem südschwedischen Lund um den Cembalisten und Leiter Göran Karlsson mit barocken Orchestersuiten von Roman, Telemann und Händel um 20.00 Uhr in der St.-Oswald-Kirche und sofort danach das letzte Nachtkonzert des Festivals, wiederum in der Domini- kanerkirche: eine prachtvolle Renaissancemusik mit Werken Giovanni Gabrielis und dem belgischen Olt- remonato sowie dem Gesualdo Consort Amsterdam unter der Leitung von Harry van der Kamp. Den Pfingstmontag läuteten die Matinee im Reichs- saal und hier das Amphion Bläseroktett um Xenia Löffler ein, dann folgte auf dem Fuß das Frühnach- mittagskonzert in der Minoritenkirche mit dem En- semble Peregrina um Agnieszka Budzinska-Benett und als vorletztes Konzert des „Konzertsäulengan- ges“ Carl Philipp Emanuel Bachs Sinfonien und Kon- zerte mit der Holland Baroque Society unter der Lei- tung von Alexis Kossenko (Traverso) und Hidemi Su- zuki (Cello). Diese Darbietung war stets scharf akzen- tuiert, vor allem unter Suzukis Leitung (der im Übri- gen stets in der Continuogruppe mitspielte, sofern er nicht solistisch tätig war), wobei die dynamische Ausreizung eine Gratwanderung darstellte. Das Ab- schlusskonzert mit La Ciaccona und den Gesangsso- listen Thomas Stimmel, Constanze Backes, Markus Flaig, Andreas Post, Katja Stuber, Thomas Lich- tenecker und Andrea Letzing brachte die Wiederauf- führung der Oper „Il marito indolente – Der gleich- gültige Ehemann“ von Joseph Schuster (1748-1812) aus dem Jahr 1782, welche kurzweilig und lustig vor- getragen wurde, jedoch deutliche Längen hatte. Somit stünde also unsere musikalische Palladiovilla, mit dem Säulenportikus und den beiden endständi- gen Eckrisaliten. Was fehlt, ist der Zentralbau und das sind in diesem Falle die herausragenden Konzer- te der 28. TAGE ALTER MUSIK Regensburg. Midori Seilers Vortrag der zwei Partiten für Solovioli- ne BWV 1002 und 1004 war solch ein Superlativ. Blitzsauber gespielt, spannend, innig musiziert, fes- selte die Künstlerin das Publikum von Anfang an und zeigte eine überwältigend gute Leistung. Das Ensemble Lund startete mit dem „schwedischen Händel“ Johan Helmich Roman und der Suite der „Drottningholmsmusiken“, dessen einleitendes Alle- gro im schwedischen TV eine Rolle spielt, wie bei uns die Musik (das Te Deum Charpentiers) zur Eurovi- sionsübertragung. Das Ensemble steigerte die Span- nung geschickt, vom ordentlich gespielten Roman über spritzig, lebendig, technisch ausgezeichnet und lustig interpretierten Telemann zur über jedwede Kri- tik erhabenen Darbietung des Concerto grosso op.3 Nr.2 HWV 313 von Händel, wo vor allem die Tempi den Atem raubten. Der Eindruck war ein Oszillieren zwischen Eleganz, Lässigkeit und Ernsthaftigkeit – schlichtweg der Wahnsinn. Fast noch besser agierte das Amphion Bläseroktett mit Harmoniemusik des frühen 19. Jahrhunderts in Wien. Hier hörte man Triebensee, van Beethoven und Mozart, von schlank, locker, flockig, leicht gespielt bis hin zu innig und absolut überzeugend. Die anony- me Bearbeitung des Allegretto aus Beethovens 7. Symphonie zeigte fast schmerzlich, wie dieses Werk eigentlich aufzufassen sei und wie weit sich der Stil von diesem Klangideal in den nachfolgenden Jahr- hunderten entfernt hat. Man hörte sagenhaft gute Tempi, es wurde herzig und lustig musiziert und das Publikum erklatschte sich noch das „Komm lieber Mai und mache“ als Zugabe. Eine Klasse für sich war das Konzert mit dem Ensem- ble Peregrina und einem Mittelalterprogramm, wel- ches sich der „Nonnenliebe und Nonnenleben“ wid- mete. Hier war eines der derzeitig und weltweit be- sten Mittelalterensembles zu hören, alles stimmte, die Stücke ließen einem die Gänsehaut über den Rücken rieseln – es war ein großartiges Konzert, das leider das Zeitfenster sprengte, weswegen viele Zuhörer vorzeitig die Kirche verlassen mussten, um rechtzeitig zum Anschlusskonzert zu gelangen. Es fehlt der Höhepunkt unseres Zentralbaus aus Brecon Baroque, Rachel Podger

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