Tage Alter Musik – Almanach 2013

Einen Sturm der Begeisterung ausgelöst hat Amandine Beyer mit ihrem Ensemble Gli Incogniti. Es gibt bei den Tagen Alter Musik Regensburg keine Hochglanzbroschüren, keine grellen Plakate, auch keine HipHopper, die zu Bach-Kantaten Skateboard fahren. Anders gesagt: aus mar- ketingstrategischer Sicht ist die Präsentation des Festivals ein einziges Fiasko. Wahrscheinlich sind gerade deshalb fast alle Konzerte ausver- kauft. Musik: Les Cyclopes Matthias Weckmann: Wie liegt die Stadt so wüste Musik zum konzentrierten Hinhören - das geistliche Konzert „Wie liegt die Stadt so wüste“ von Matthias Weckmann. Protestantische Kirchenmusik aus der Zeit der Pest mit dem Ensemble Les Cyclopes unter der Leitung von Thierry Maeder und Bibiane Lapointe. Zu diesem Konzert gab es bei den Tagen Alter Musik Regensburg aber auch einen katholischen Kontrapunkt: Ein farbenfrohes und sinnenfreudiges Fest, wie es im barocken Lateinamerika gefeiert wurde zu Ehren der Gottesmutter von Guadalupe. Mitreißende Musik, vielleicht nicht immer hun- dertprozentig perfekt, dafür aber mit überschäumender Leidenschaft interpretiert, ja gelebt vom Ensemble Elyma unter der Leitung des argen- tinischen Dirigenten Gabriel Garrido. Musik: Ensemble Elyma „Fiesta criolla“ Festmusik zur Ehren der Gottesmutter von Guadalupe: Cachua serranita O-Ton: Gabriel Garrido Die Verehrung Mariens in Lateinamerika ist in ihrer Inbrunst etwas sehr Spezielles. Man hat die Jungfrau oft z. B. mit der Pachamama in Verbindung gebracht, also mit der göttlichen Mutter Erde bei den Inkas. Bei der Missionierung spielte auch die Musik eine Riesenrolle. Die Ureinwohner wollten unbedingt die neue Musik spielen, die sie hörten. Schon Ende des 16. Jahrhunderts musste König Philipp II. die Zahl der Kathedralmusiker beschränken, weil alle Indianer dort singen wollten. Nicht durch Gewalt, sondern durch die Musik wurde die Evangelisierung Lateinamerikas vollbracht. Nicht mit Schwert und Kreuz, sondern mit dem Violinschlüssel! Musik: Ensemble Elyma „Fiesta criolla“ Festmusik zur Ehren der Gottesmutter von Guadalupe: Danza: Cachua al Nacimiento Am Ende gab es standing ovations für den von Krankheit gezeichneten Gabriel Garrido und sein Ensemble Elyma. Sie hören das Tafel-Confect auf BR-KLASSIK, heute mit Mitschnitten von den derzeit laufenden Tagen Alter Musik Regensburg. Und die zeigen, dass exotische Programme, ob mit Klängen aus Lateinamerika oder vom Berg Sinai, durchaus ein Jungbrunnen sein können für die Alte-Musik-Szene. Ein anderes Stichwort, das den Wandel in der Originalklangbewegung kennzeichnet, heißt authentisch. „Authentisch“, das hat lange Zeit bedeu- tet: So genau wie möglich an den Quellen, so nah wie möglich am historischen Original. Der Gambist Fahmi Alqhai dagegen definiert „authentisch“ heute ein wenig anders: O-Ton: Fahmi Alqhai Mein Vater stammt aus Syrien und dem Libanon, meine Mutter aus Palästina. Ich habe lang in Sevilla gelebt. Ich habe arabische Musik gehört, Flamenco, Heavy Metal. Es ist unmöglich, davon unbeeinflusst zu sein – nicht nur im Gehirn, sondern hier im Herzen. Man muss sich alles anverwandeln. Die ganze Musik, die wir aus Renaissance und Frühbarock haben in Spanien – daraus müssen wir unsere eigene Musik machen. Die Leute sollen spüren: Das ist meine Musik. Ich spiele Canarios, aber es sind meine Canarios. [Ich spiele Variationen, Glosas über die Chanson „Mille regretz“, aber es sind meine Glosas.] Es kann irgendein anderes Stück sein, aber du musst deine Musik draus machen. Und das finde ich bei 80% der Musiker nicht, die professionell Alte Musik machen . Musik: Accademia del Piacere Glosa sobre Mille Regretz & Canarios „Rediscovering Spain“ - die neue CD von Fahmi Alqhai und seinem Ensemble Accademia del Piacere , vorgestellt bei den Tagen Alter Musik Regensburg. O-Ton: Emilia Danilevski „Authentizität basiert auf drei Pfeilern: Tradition, Intuition und Wissen. Und da sich unser Wissen über vergangene Epochen und ihre musi- kalische Praxis dauernd vertieft, entwickelt sich auch unsere Intuition. Was also vor 20 Jahren authentisch war, ist heute überholt. Authentizität gibt es leider nur im jetzt. Frei nach La Rochefoucauld: Authentizität ist ein Gespenst. Jeder spricht davon, aber keiner hat es je gesehen. Man muss letztlich dem Geist treu sein, nicht dem Buchstaben.“ sagt Emilia Danilevski vom französischen Ensemble Syntagma , das gestern abend das Nachtkonzert in der Regensburger Dominikanerkirche bestritt. Für Ensembleleiter Alexandre Danilevski ist Musik immer eine Reise ins Ungewisse. Ausgangspunkt dieser Reise war diesmal die reizvolle Frage: Wie wurde Musik des 15. Jahrhunderts wohl im Barock aufgeführt? Musik: Ensemble Syntagma Johannes Cornago: Patres nostri peccaverunt & Porque mas Musik des Renaissancekomponisten Johannes Cornago im Spiegel barocker Aufführungspraxis mit dem Ensemble Syntagma unter der Leitung des russischen Lautenisten Alexandre Danilevski. Begonnen haben die Tage Alter Musik am Freitag mit den Regensburger Domspatzen und Concerto Köln; BR-KLASSIK hat die Eröffnung live übertragen. Heute abend geht das Festival dann zuende um 20 Uhr mit dem Ensemble Les Agrémens und Musik von Haydn, Gossec, Grétry und Vogel. Die meisten Konzerte, aus denen ich Ihnen jetzt im Tafel-Confect Ausschnitte vorgestellt habe, sind demnächst in voller Länge hier auf BR-KLASSIK zu hören, im Rahmen der „Festspielzeit“; Ende Juni geht‘s los. Natürlich steht dann auch das Konzert auf dem Programm, mit dem wir uns für heute verabschieden aus dem Studio Franken: das Ensemble Il Gardellino spielt Bläserkonzerte von Johann Friedrich Fasch. Einen schönen Nachmittag wünschen Evi Lastinger in der Sendetechnik und am Mikrofon Thorsten Preuß.

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