Tage Alter Musik – Almanach 2013

www.klassikinfo.de Bei den Tagen Alter Musik Regensburg gaben sich über Pfingsten wieder hochkarätige Ensembles und Orchester die Klinken in die Hand Autor: Laszlo Molnar Unverändert gilt auch im Jahr 2013, dem 29. Jahrgang des Festivals „Tage Alter Musik Regensburg“, dass man hier musikalische Energie für den Rest des Jahres tankt. Sprich: bis zum nächsten Festival. Auch nach so vielen Jahren unter der Leitung der Gründerväter Ludwig Hartmann, Stephan Schmid und des Geschäftsführers Paul Holzgartner beeindruckt die Frische und der unverbrauchte, unvoreingenommene Zugang, mit dem das Festival alles präsentiert, was zur Alten Musik gehört: vom Programm über die Künstler zu CDs und Instrumenten. Dazu gehört auch der vorurteilsfreie Blick auf das Repertoire „diesseits“ der im strengen Sinne Alten Musik, also auf die Klassik und alles, was danach kam. Das Festival 2013 begann mit Beethovens erster Sinfonie und Mozarts Requiem und endete mit Musik von Haydn und dessen Zeitgenossen. Im Kern fand sich Musik aus dem byzantinischen Kulturkreis zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert, Musik des Mittelalters und natürlich des Barock mit Johann Sebastian Bach als Dreh- und Angelpunkt der abendländischen Musikgeschichte. Wie nicht anders zu erwarten, waren alle vierzehn Konzerte ausverkauft oder bis auf wenige freie Plätze bestens besucht. Über Mangel an Zulauf beklagen sich die Veranstalter nicht. Denn die Botschaft kommt an. Bei den Tagen Alter Musik in Regensburg geht es nicht um die Verehrung von Stars, hier geht es um die Musik und um den richtigen Umgang mit ihr. Dass das Festival 2013 sich amAnfang und am Ende gewissermaßen offen zeigte zum üblichen „Musikbetrieb“ kann man als Zeichen nehmen, dass es im Umkreis der „Alten Musik“ nicht mehr hauptsächlich um die Frage einer bestimmten Aufführungsweise oder der Pflege und Erforschung eines bestimmten Repertoires geht. Es geht um die Frage nach dem richtigen Musizieren schlechthin, darum, ob Musik zwangsläufig nach den Regeln des etablierten Musikbetriebes aufgeführt werden muss, oder ob sie nicht, abhängig von ihrer Entstehungszeit, rundherum nach ihren eigenen Aufführungsbedingungen verlangt. Interessanterweise scheint Beethovens erste Sinfonie gerade in das Interesse der Originalklang-Orchester zu geraten. Die Akademie für Alte Musik hat sie in ihrem aktuellen Tournee-Programm, in Regensburg präsentierte sie das Concerto Köln im Eröffnungskonzert in der Basilika St. Emmeram. Prinzip beider Orchester: sie musizieren ohne Dirigent. Wozu bräuchten sie auch einen? Es brauchte ihn nicht bei Beethoven, und es bedarf seiner auch heute nicht. Über die schiere Sinnlichkeit des Klanges der Originalinstrumente hinaus, über deren schillernde Kombinationsfähigkeit und der Brillanz des Bläsersatzes, stellen Aufführungen wie diese die Bedeutung konventioneller Orchester im Allgemeinen und der Dirigenten im Besonderen in Frage. Vollständig entmystifiziert wird der Dirigent! Angesichts autonom und eigenverant- wortlich agierender Orchestermitglieder, die sich bei Stil, Gehalt und Gestus der Musik, die sie spielen, auskennen, bleibt vom vermeintlichen Zentrum der „musikalischen Interpretation“ nichts mehr übrig. Wie bei der Kammermusik, entsteht auch bei der Orchestermusik, gewiss min- destens bis Brahms, das Geschehen durch das Zusammenwirken qualifizierter und informierter Musiker. Das Orchester darf natürlich nicht zu groß sein und es muss in den richtigen Proportionen besetzt sein. Ist ein Dirigent im Spiel, wie beim Abschlusskonzert am Pfingstmontag mit dem belgischen „Les Agrémens“ der ursprünglich als Klarinettist ausgebildete Guy van Waas, dann ist er primus inter pares und quasi die organisatorische Instanz. Es geht dann um Genauigkeit, das Tempo, Dynamik und Gewichtung der Orchestergruppen. Aus der Hand nehmen lassen sich die Musiker das Heft nicht. Gar keine Frage, dass es bei der frühen und frühesten Musik überhaupt nicht ginge ohne die Phantasie und den schöpferischen Impuls der Musiker. Dafür sind die Tage der Alten Musik Regensburg seit jeher ein Hort und Reservat. Richtig austoben konnten sich in dieser Saison Ensembles wie die spanische Gruppe „Accademia del Piacere“, der auch der als Schlagzeuger von Jordi Savall wohlbekannte Pedro Estevan angehört. In der ersten Matinee am Samstag im Reichsaal führten die drei Gambisten, dazu ein Gitarrist und eben das Schlagzeug spanische Musik aus dem 16. und 17. Jahrhundert auf. Es sind meistens Tanzsätze, durchaus von so bekannten Komponisten wie Diego Ortiz und Antonio de Cabezon, Musik, die in erster Linie das Rhythmusgefühl anspricht. Wo die Begeisterung des Puristen dann aufhört, das sind die improvisatorischen oder selbst komponierten Beiträge des Ensembles-Leiters Fahmi Alqhai. Diese Musiken gehören, besonders im Vergleich zur Meisterschaft der „anerkannten“ Komponisten, in den Bereich der Edelfolklore und eigentlich nicht in dieses Festival. Ähnlich ging es dem Ensemble „Les haulz et les bas“, einer Gruppe aus Deutschland, die sich auf Bläsermusik des Mittelalters spezialisiert hat. Das Instrumentarium aus Schalmeien, Pommern, Dudelsack, Businen (lange, gerade Trompeten) erinnert an die Frühzeit der Aufführungspraxis, als die noch deutlich zur Alternativkultur gehörte. Heute gehen die Musikerin und ihre fünf Kollegen damit sehr virtuos um. In einem der Nachtkonzerte in der Minoritenkirche machten sie mit Stücken angesehener Komponisten aus dem 14. bis 17. Jahrhundert einen Höllenlärm, aber es wirkt kaum weniger spekulativ als früher und auch kaum seriöser. Natürlich ist es den Veranstaltern nicht zu verdenken, dass sie durch solche improvisatorischen Programmpunkte den Unterhaltungswert des Festivals etwas steigern wollen. Aber das Publikum reagiert sehr sensibel: Den leidenschaftlichsten Applaus erhielten Konzerte, in denen sich die Virtuosität der Musiker an Höchstleistungen der Komponisten entfaltete. So in den Konzerten der französischen Geigerin Amandine Beyer. Sie spielte in einer Matinee im Reichssaal mit ihrem Ensemble „Gli Incogniti“ (Die Unbekannten; zwei Violinen, Gambe, Laute, Cembalo und Orgel) Musik für Violinen und Basso Continuo von Henry Purcell und seines aus Italien zugewanderten Landsmannes und Zeitgenossen Nicola Matteis und in einer weiteren Matinee in der Bruderhauskirche St. Ignatius (gegenüber von St. Emmeram) Solostücke von Bach und von Johann Georg Pisendel, einem Zeitgenossen, Dresdner Kollegen und Freund Bachs. „Gli Incogniti“ präsentierten die wirklich hohe Ensemblekunst, worin es um die ebenso individuelle wie gemeinschaftliche Durchdringung

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