Tage Alter Musik – Almanach 2013

der Partitur und ihre Darbietung als ein geistiges und technisches Ganzes geht. Das Einlösen so hoher technischer Ansprüche, wie sie Matteis deutlich mehr stellte als Purcell, entspringt dem Geist der Komposition und verweist gleichzeitig auf ihn. Beherrschung der Technik ist Voraussetzung, nicht aber Selbstzweck. Die Technik artet nicht in Spielerei aus, sondern sie ermöglicht erst das Verständnis der Musik. Natürlich hängt das von der Tiefe der Stücke ab: Purcell schlägt trotz des scheinbar geringeren Anspruchs Matteis, und Bach überstrahlt ohne- hin alles. Auch dafür lieferte das Festival schöne Belege. Zum einen das Solokonzert Amandine Beyers. Was hat sich Pisendel, ein hochgerühmter Geigenvirtuose seiner Zeit, nicht alles einfallen las- sen, um etwa in der Solosonate a-Moll, die Beyer spielte, sein Können und seine Beherrschung des Instruments zur Schau zu stellen. Ein Paganini des Barock. Ein Hochseilakt auf Saite und Bogen. Und dann erklingt Bach und stellt die Welt wieder auf die Füße. Die Technik, so schwierig sie ist, so viel Bewunderung sie bei Beyer verdient, tritt zurück hinter die Komposition, hinter das Ziel Bachs, mit Form und Harmonie eine Idee auszubreiten. Da ist kein Ton Zufall oder Ornament und auch das Ornament dient der Funktion und dem Verständnis. Ohne Zweifel gehört Beyer, geboren 1974, zu den Geigerinnen (wie Midori Seiler und Isabelle Faust), die mit Hilfe der richtigen Instrumente und der richtigen Auffassung Bachs immer noch rätselhafte Solo-Meisterwerke als vollwertige, vollstimmige Kompositionen erlebbar machen und sie nicht als abstruse, weltferne Technik-Exerzitien für das denkbar größte Geigen-Virtuosentum vorführen. Zum anderen machte das Festival dieses Jahr einen Vergleich der Orchestermusik Bachs mit solcher eines seinerzeit berühmten und beliebten Zeitgenossen möglich, Johann Friedrich Fasch. Als Bach sich 1723 von Köthen nach Leipzig begab, da zog Fasch 1722 in die Umgebung von Köthen, nach Zerbst. Fasch verdankte seinen Ruf seinen Kompositionen für großes Ensemble, in denen er die verschiedensten Instrumentalklänge kombinierte und vor allem die Bläser hervortreten ließ. Reichlich gibt es in seinen meist dreisätzigen Concerti Solopartien für Oboen, Flöten, Fagotte, seltenere Instrumente wie „Oboen da silva“ (sie heißen bei Bach Oboi da caccia) kommen zum Einsatz, oder ganze Bläsergruppen bekommen die Melodielinie gemeinsam. Mit seiner Versuchsfreude bereitete Fasch dem Klangsinn der Klassik den Weg. Bach hingegen, wir wissen es, mutete viel konservativer an, komponierte, außer in den Brandenburgischen Konzerte, meistens für ein Soloinstrument, maximal für drei (mit der Ausnahme eines Konzertes für vier Cembali) und richtete sein Augenmerk auf thematische Durchdringung, perfekten Kontrapunkt und ausgefeilte Harmonie. Fasch gab es ausführlich zu hören in einem Konzert des in Belgien beheimateten Ensembles „Il Gardellino“, das von Marcel Ponseele (Oboe) und Jan de Winne (Flöte) gegründet wurde. Die Musiker haben sich Fasch zu ihrer Spezialität gemacht, und das tut ihm sehr gut. Man braucht für diese sehr elegant und geistreich gesetzte Musik eine große Geschmeidigkeit, um Soli uns Ensemble in Balance zu halten und man muss technisch so souverän sein, dass alles leicht klingt und unter einer gelassenen Spannung daherkommt. Il Gardellino hatte das alles im Neuhausaal im Stadttheater am Samstagabend recht rasch etabliert und dann gab es für das Fasch-Vergnügen kein Hindernis bei Concerti für drei Trompeten, Pauken, zwei Oboen, Fagott, Violine Solo, Streicher und b.c. oder für zwei Traversflöten, Streicher und b.c. oder für Trompete, Streicher und b.c. Das letztere ging der Solistin Susan Williams zwar ziemlich daneben, aber das war eher ein Hinweis auf die Schwierigkeit, ventillose Trompeten zu spielen als auf ein technisches Unvermögen. (Auf der Fasch-CD des Ensembles, erschienen beim Label Accent, funktioniert es übrigens bestens). Hört man diese Concerti für sich, außer Konkurrenz gleichsam, dann spenden sie Freude ohne Einschränkung. Sie glitzern und schillern, die wundervollen Klangfarben der alten Instrumente umschmeicheln das Ohr, der Schwung des Rhythmus’ geht in den Körper. Aber wenn dann ein ganzes Konzert einzig mit Musik von Johann Sebastian Bach kommt, wie am Pfingstmontag mit dem Ensembles “Four Centuries of Bach” aus Kanada in der goldstrotzenden Alten Kapelle, dann werden die Dimensionen klar, die Bach der Musik erschlossen hat. Bach, der Grundlagenforscher der Musik „Four Centuries of Bach“ hatte ein nicht eben orthodoxes Bach-Programm im Gepäck. Die Solooboe spielte eine große Rolle, weil der Leiter der Gruppe, John Abberger, Oboist ist. Die berühmte zweite Orchestersuite mit Flöte solo, bekannt in h-moll, erklang und a-moll mit der Oboe als Soloinstrument. Das Konzert Es-Dur, nur in einer Fassung für Cembalo überliefert, erklang in der bereits etablierten Version für Oboe; die Kantate „Ich habe genug“ gab es wohl in der bekannten Oboen-Fassung, dafür aber in der Fassung für Alt-Stimme. Dazu Transkriptionen drei- er Orgelchoräle für die Ensemble-Besetzung und, nun im bekannten Original, das Violinkonzert E-Dur, BWV 1042. Sehr schön, sehr viel exemplarischer Bach und so viel Gelegenheit, die überragende Kunst des Komponisten zu bewundern. Kleine Unstimmigkeiten störten nicht, Aussetzer des Oboisten, rhythmische Störungen im Ensemble. Der Geist war richtig, das Engagement aller Beteiligten – jede Stimme ist nur solistisch besetzt - immer präsent, immer spürbar. Bach, das ist unvergleichliche Kunst und unbändige Freude am Spiel in einem. Wer beides erfasst, der liegt richtig. Was also Bach von all seinen Zeitgenossen abhebt, ihn zum Dreh- und Angelpunkt all dessen macht, was vor ihm war und was nach ihm kom- men sollte, das ist seine Behandlung der Musik im Sinne einer thematischen Arbeit. Bach versteht das gegebene (Choral, Lied) oder von im gefundene Motiv nicht als ein dekorativ-spielerisches Element, sondern als Keimzelle für tiefgreifende und weitreichende harmonische Arbeit, die das Motiv und eines oder zwei weitere Motive ausloten, verschmelzen und in seiner gesamten musikalischen Wandlungsfähigkeit ausnüt- zen wird. Er weitete damit den Ansatz Vivaldis in dessen Concerti aus und legte das Fundament für die Arbeit mit Themen und Motiven, wie wir sie seither kennen, schätzen und auch erwarten. Anders als etwa bei Fasch verdankt sich die Schönheit von Bachs Musik dieser restlosen Durchdringung des Materials und in seiner ebenso profunden wie makellosen Kontrapunktik. Ein strenges Zusammenwirken der Stimmen, das sich dem Hörer als wundervolles Lineament dar- bietet und ihm, gleichsam aus der Tiefe der Komposition lustvollste Hörreize vermittelt. Man denke nur, wie plötzlich, im ersten Satz des Violinkonzertes, die Bratsche im modulierenden Abschnitt als Solostimme aufleuchtet. Da braucht es keine schillernde Farbpalette wie bei Fasch. Da bedarf es eines mit höchstem Bewusstsein spielenden Ensembles, das ebenso achtsam wie kunstfertig die Stimmen gestaltet und in immer neue Balance bringt. Das ist „Four Centuries of Bach“ hervorragend gelungen und führte zu einem Höhepunkt in den drei Choral- Bearbeitungen von BWV 659, 639 und 662, die in der Besetzung Oboe, Violine, Viola, Cello, Kontrabass und Orgelpositiv erklangen. Welch dunkle, mystische Musik wurde das, wie nicht für Instrumente geschrieben, sondern eher wie direkt aus dem Gehirn Bachs kopiert. Das Solo in der berühmten Kantate sang Michael Chance. Er war für den verhinderten Daniel Taylor eingesprungen. Obwohl er schon zu den Älteren der Counter-Tenöre gehört, machte Chance seine Sache gut; vor allem fiel auf, wie souverän er mit der deutschen Sprache umgeht und wie er nach wie vor jedes Wort und seine Emotion zum Klingen bringen kann. Eine ebenso überraschende wie erfreuliche Begegnung. Statt einer Oper ein Oratorium vom Opernmeister Statt einer Oper, konzertant oder szenisch, stand diesmal, am Sonntagabend in der Kirche St. Oswald, ein Oratorium auf den Programm, und zwar ein gänzlich unbekanntes: „Jahel“ von Baldassare Galuppi. Galuppi, er lebte von 1707 bis 1785 in Venedig, war und ist als Opernkomponist bekannt. Er gilt als Wegbereiter der Oper buffa und prägte ihre wesentlichen Stilelemente. Trotzdem machte Galuppi sich auch einen Namen als Komponist von Oratorien, allerdings nur in Venedig, wo er für die verschiedenen musikalischen Waisenhäuser kompo- nierte. „Jahel“ wurde erst kürzlich in der Zürcher Zentralbibliothek entdeckt; das „Orchestra Barocca di Bologna“ und das Vokalensemble

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