Tage Alter Musik – Almanach 2013

● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● nd-Sound: Das Regensburger Festival lässt keineWünsche offen. MUSIK 2013 überrascht. Auch Ludwig Hartmann rät- selt, was „so viele Menschen dazu bringt, sich nächtens eine so abgefahrene Musik anzuhören“. Nicht jeder der vielen Tausend Aus- wärtigen kann sich allerdings ganz auf die besondere Situation der Welterbe- stadt einstellen. Manche verstehen nicht, warum es in den Pausen keine Ge- tränke gab – oder warum für Besucherin- nen im Alten Rathaus nur eine Toilette zur Verfügung steht. Diese Rahmenbe- dingungen werden schon mal wenig freundlich kommentiert. Ganz ärgerlich ist eine Radiofrau vom RBB, weil nicht nur Kinder im Eröff- nungskonzert dabei waren, sondern ihr zudem noch „auf- und abgehende Besu- cher“ das Mozart-Requiem eingetrübt haben. Hintergrund der miesen Stim- mung der Berlinerin, die bei den Kon- zertbesuchen stets ihr Hündchen in ei- ner Tasche mit sich trägt: die „völlig un- angemessene Behandlung des weltbe- kannten Alte-Musik-Experten Dr. Mors- bach“. Der habe für einige einführende Vorträge im Salzstadel einen „komplett ungeeigneten Platz zwischen Toiletten und Schwingtür“ erhalten. Dass der Ex- perte mit dem angebotenen Raum durchaus zufrieden war, focht die resolu- te Radiofrau nicht an. Vielleicht hätte sie nach dem Besuch des Mitternachtskonzerts von Les haulz et las bas in der voll besetztenMinoriten- kirche gelassener reagieren können. Das sechsköpfige Ensemble aus Deutsch- land, vier Bläser und zwei Rahmen- trommler, interpretierte die rekonstru- ierte Musik von Stadtpfeifern und mit- telalterlichen Höfen mit sprühendem Witz, Charme, spielerischer Verve und einer feinen Portion Showtalent. Vorfreude auf die Jubiläums-TAM Es war eines der vergnüglichsten Kon- zerte der 29. TAM. Jenes mit Concerti des sachsen-anhaltinischen Komponisten Johann Friedrich Fasch durch das ein- drucksvolle belgische Ensemble Il Gar- dellino war eines der langweiligsten – und schließlich das des Ensemble Syn- tagma mit einer Messe von Johannes Ockeghem in der Dominikanerkirche in fast vollendeter stimmlicher Harmonie der drei Sänger eines der berauschends- ten. Eine beglückte ältere Besucherin, die so bald als möglich Karten für die 30. Tage Alter Musik ordern möchte, mein- te: „Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Jahr“. Dem ist nichts hinzuzufü- gen. ng bis Mitternacht ● ➲ Mehr zum Thema! ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● AKTUELL IM NETZ Weitere Informationen zum Thema fin- den Sie bei uns im Internet: ➤ www.mittelbayerische.de nd 600 Menschen. Diesen Erfolg können sich selbst die Veranstalter kaum erklären. Alle Fotos: altrofoto.de Am Anfang eine raumgreifende Fanfare, so zwischen „Leonore 3“ und „Sau tot“ angesiedelt, dann Auftritt der Schalmei- en, Percussives dazu: Die Alta Cappella war komplett, das Spektakel konnte be- ginnen im Nachtkonzert in der Minori- tenkirche. Les haulz et les bas waren in die Stadt gekommen, um zu zeigen, was es damals im 13., 14. Jahrhundert auf sich hatte mit der Kunst der Stadtpfeifer, der mehrstim- migen blasenden Musik. „Les haulz et les bas“, das sind: die in Freiburg beheimate- ten Gesine Bänfer und Ian Harrison mit Schalmeien und Dudelsack, David Yacus und Christian Braun mit Businen, lan- gen geraden Trompeten, und dann noch zwei Percussionisten, Michael Metzler und Andrea Piccioni. Das Repertoire: Estampies, Lieder, mehrstimmige Vokalsätze von Machaut, Dufay und anderen sowie Traditionelles aus dem Süden, dem Osten: alles Materi- al für eine virtuose, musikantische, ide- enreiche Performance, für Improvisatio- nen, für hinreißende Musik. Auch wenn der Auftritt im Historischen Museum am Dachauplatz stattfand – museal war das nicht, was diese traditionelle Mittel- alter-Pop-Rock-Jazz-Blaskapelle mit stu- pendemKönnen, Präzision undWitz auf die Bühne zauberte. Das war vielmehr substanzvolle, vor Energie, vor Leben sprühende und unter- haltsame Musik unserer Zeit auf histori- scher Basis. Les haulz et les bas: die kleinste Big Band der Alten Musik, ganz groß! Randol Jeschek Mittelalterlicher Pop-Rock-Jazz Les haulz et les bas Der Neuhaussaal im Theater Regensburg verwandelte sich am Samstagabend in die „Zerbster Konzertstube“: Von dort wie auch aus Darmstädter und Dresdner Archiven stammen die Werke des deut- schen Komponisten Johann Friedrich Fasch (1688-1758), welche das aus Belgi- en angereiste Ensemble Il Gardellino mit seinem Spiel zum klingenden Leben er- weckt. Sieben Gruppen-Konzerte Faschs, des lange Zeit wenig wahrgenommenen Bach- und Händel-Zeitgenossen, musi- zieren die Gäste, sorgen indes mit ihrem lebendigem und beherztem Musizieren dafür, dass keine inhaltliche Langeweile aufkommt. Der Komponist selbst unterstützt sie hierbei mit fantasievoll wechselnden Instrumentenkombinationen und gele- gentlichen Abweichungen vom Form- schema, wenn er etwa das Finale eines Konzerts für Trompete, Oboen und Strei- cher als „Tempo di menuetto“ gestaltet. Mag auch die Motivik der Musik wie ih- re fortspinnende Entwicklung sonst ganz der Allgemeinsprache der Barock- zeit angehören, so lässt Il Gardellino ver- nehmen, wie Fasch hier galante Züge in seine Musiksprache aufnimmt oder, in langsamen Sätzen, empfindsame Töne anschlägt. Was die Besetzungen betrifft, so reicht das Spektrum vom Intimen bis zum Repräsentativen. Besonders auf- merksam lauschen muss das Publikum, wenn die beiden historischen Traversflö- ten mit ihren zart-gedeckten Tönen im Mittelpunkt stehen – ihnen zu angemes- sener Präsenz zu verhelfen, befleißigen sich die Streicher trotz akzentuierten Spiels der nötigen Diskretion. Zu einer Hör-Entdeckung wird das ebenfalls klanglich zurückgenommene G-Dur-Konzert für je zwei Oboen da cac- cia, Bratschen und Fagotte: einWerk von dunklem Timbre, bei dem Fasch alle be- teiligten Instrumente mit dankbaren so- listischen Aufgaben bedenkt oder sie raf- finiert miteinander und dem grundie- renden Continuopart kombiniert. Betont festlich wirken dagegen die beiden D-Dur-Kompositionen für meh- rere Trompeten, Pauken, Oboen, Fagott, Violine und Streicher, mit denen „Il Gar- dellino“ sein Programm umrahmt. Origi- nelle Zwitterwesen sind sie: Halb neigen sie zum Violinkonzert, wo auf weiten Strecken Ensembleleiter Ryo Terkado mit anspruchsvollen Solopassagen im Vordergrund steht, halb dienen sie mit ihrem strahlenden Bläsersatz höfischer Prachtentfaltung. Gerhard Dietel Die Wiederentdeckung von Johann Friedrich Fasch Il Gardellino Eine Marienfeier mit Stierkampf: Selbst für die traditionell immer wieder gerne abseits der Hauptstraßen sich bewegen- den Tage Alter Musik dürfte das eine Pre- miere gewesen sein. Nach 14 Jahren war der argentinische Repertoire-Goldgräber Gabriel Garrido wieder mit seinem En- semble Elyma in Regensburg zu Gast und versetzte die Oswald-Kirche vom ersten, als feierlichen Einzug zelebrier- ten Stück an in die Stimmung einer ba- rocken mexikanischen Sakral-Fiesta. Da streiten sich zwei energische Frauen dar- um, ob es wirklich eine dunkelhäutige Maria geben kann (überragend: Alicia Berri), preisen blinde Bettler die Gottes- mutter von Guadalupe oder besagte Cor- rida wird stellvertretend für den Kampf gegen die Todsünden besungen. Die Musik schaltet immer dann vom schlichteren, volkstümlichen Villanci- co-Tonfall in satztechnisch anspruchs- vollere Sphären um, wenn die spani- schen Texte sich ehrfürchtig vor dem eingeschobenen Liturgie-Latein vernei- gen. So abwechslungsreich die farbige Instrumentierung mit hohem Schlag- werk-Anteil ist, so oft wechseln die voka- len Konstellationen zwischen solisti- schen und mehrchörigen Passagen. Ei- nen zauberhaften Ruhepunkt innerhalb dieser temperamentgeladenen, mit bei- den Tanzbeinen in der Realität stehen- den Volksfrömmigkeit schafft eine schlichte, nur von drei Geigen und dem Zink umspielte, einstimmige Anrufung des Morgensterns. Dass manches nicht überprobt wirkte (bis hin zu einem handfesten Schmiss), tat der überbordenden Stimmung kei- nen Abbruch. Das Ensemble Elyma dürf- te mit seiner den Stier bei den Hörnern packenden Spielweise einer authenti- schen Aufführung wahrscheinlich sehr nahe gekommen sein : Guachi, toro! Juan Martin Koch Sakrale Fiesta in St. Oswald Ensemble Elyma Ganz der spanischen Musik des 16. und 17. Jahrhunderts vorbehalten war die Matinee mit dem 2004 von den Gambis- ten-Brüdern Fahmi und Rami Alqhai ge- gründeten Ensemble Accademia del Pia- cere. Zum Ensemble gehören ferner mit Johanna Rose eine weitere Gambenspie- lerin sowie der auf der Vihuela und Ba- rockgitarre musizierende Enrique Soli- nís und der die vielfältigen Schlagwerk- instrumente bedienende Pedro Estevan. Gleich beim ersten Stück, einer ano- nymen Canconiero de la Colombina, gab Estevan mit dem Tamburin den Rhyth- mus vor. Bei der Wiedergabe der kontra- punktisch reich gegliederten Stücke von Antonio de Cabezón wurde die Viola da Gamba nicht nur gestrichen, sondern auch gezupft. An Noblesse, Mannigfal- tigkeit und melodischer Schönheit gibt es zu dieser Zeit kaum Musik, die an die Kompositionen von Cabezón heran- reicht. Was die weiteren vorgestellten musikalischen Kleinodien aus der Re- naissance und dem Frühbarock, etwa das „O felici occhi miei“ von Jacobus Arca- delt oder „Susana un jur gloassada“ von Hernando de Cabezón sowie die Instru- mentalsätze von Bartolomé de Selma y Salaverde und Gaspar Sanz anbelangte, ließen die Spieler bei ihrer Interpretati- on kaum eine Gelegenheit, ihrer Kreati- vität Raum zu geben, zu verzieren, zu be- leben, aus. Mit Stilsicherheit, Flexibilität und Teamgeist im Spiel schafften sie die- se of schwierige Gratwanderung ohne dabei das Grundgerüst der ursprüngli- chen Tonschöpfung zu beeinträchtigen. Die bisweilen doch beträchtlichen agogi- schen Freiheiten, von der das Ensemble dann auch reichlich Gebrauch machte, wirkten in der Summe weitgehend über- zeugend. Mit ihrer Spielweise blieben die Instrumentalisten ganz nahe bei dem, was den Urhebern dieser Musik vor vielen Jahrhunderten in etwa vor- schwebte. Besonders beeindruckend ge- riet das Zwiegespräch zwischen der Vio- la da Gamba und der Barockgitarre sowie das Solo des Schlagwerkers im letzten Stück, der „Marionas y Canarios“ von Gaspar Sanz. Ulrich Alberts Ein geistreicher Genuss Accademia del Piacere

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=