Tage Alter Musik – Almanach 2013

REGENSBURG. Das Deutschland-Debüt des französischen Vokal- und Instru- mentalensembles Les Cyclopes unter der Leitung von Bibiane Lapointe (Cembalo) und Thierry Maeder (Orgel) machte mit einer Abendmusik be- kannt, wie sie im 17. Jahrhundert in St. Jakobi in Hamburg erklungen sein könnte. Matthias Weckmann (1616- 1674) und Franz Tunder (1614-1667) gehören wie Dietrich Buxtehude (1637-1707) zum Kreis der barocken norddeutschen Komponisten. Drei „Geistliche Konzerte“ und eine Motet- te erklangen sowie zwei Sonaten. Im Mittelpunkt stand das Geistli- che Konzert „Wie liegt die Stadt so wüste, die voll Volks war“ von Matthi- as Weckmann. Er lässt die beiden Sän- ger im Wechsel ihre Klage über die Pest in Hamburg, für die als Gleichnis das zerstörte Jerusalem des Jahres 70 steht, in teils halsbrecherischen Kolo- raturen und ausgeprägtem Lamento- Tönen vortragen. Die famose Sopranis- tin Eugénie Warnier wurde bei ihrem rezitativischem Part von der Orgel, der hell timbrierte Bass Benoît Arnould, dem mehr Melodiöses zugestanden wird, von Streichern begleitet. Das Geistliche Konzert „Wenn der Herr die Gefangenen zu Zion erlösen wird“ von Weckmann erklang etwas überakzentuiert und noch nicht durchgehend homogen im Vokalquar- tett. Die Interpretation von Franz Tun- ders „Ach Herr, lass Deine lieben Enge- lein“, bekannt als Schlusschoral aus Bachs Johannes-Passion, gewann durch die bestechenden Höhen der So- pranistin beeindruckend Gestalt. Die beschließende Motette „Weine nicht, es hat überwunden der Löwe“ von Weckmann dominierten die sechs Streicher, die zusammen mit Pascal Bertin (Altus), Jeffrey Thompson (Te- nor) und Benoît Arnould (Bass) die klangliche Individualität des Ensemb- les vorstellten. ABENDMUSIK Les Cyclopes spielten erstmals imNach- barland – und begeisterten. Ein famoses Debüt ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON GERHARD HELDT, MZ REGENSBURG. Etwas Ratlosigkeit hin- terließ der Auftritt des Ensembles Syn- tagma im Nachtkonzert in der Domi- nikanerkirche, bei dem Ockeghems Missa sine nomine und einige vorwie- gend weltliche Motetten von Johannes Cornago auf dem Programm standen. Offensichtlich kamen die vier Sänger und vier Instrumentalisten um den Ensembleleiter und Lautenisten Alex- andre Danilevski mit der heiklen Akustik dieser Kirche, die vor allem den Umgang mit leisen Tönen zum Glücksspiel macht, nicht zurecht. Intonationsprobleme waren das ei- ne, zum anderen machten sich bei die- ser Deutschlandpremiere Schwierig- keiten mit der Koordination breit. Ockeghems intrikate Rhythmik fügt sich nur schwer in diesen Raum. Ein weiteres Problem war die Klangbalan- ce bei einer gemischt vokal-instru- mentalen Aufführungspraxis. Da gerät beispielsweise ein Bicinium, mit Sop- ran und Laute realisiert, unversehens zu einem Solo mit leichten Nebenge- räuschen. Immerhin, man konnte durchaus ahnen, wie schön und bezaubernd der leichte, schwebende, fragile Musizier- stil dieses Ensembles sein kann. Da waren herrliche, zart gesponnene Li- nien zu hören, ätherisch, schwerelos, atemberaubend. Im Übrigen: Im Programmheft groß angekündigt, war „ein Rekons- truktionsversuch der authentischen Interpretation in der Art der Barock- epoche“ und damit die Mitwirkung von Instrumenten (Renaissance-Inst- rumenten!) erklärt. Dabei sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass das A-cappella-Ideal, die Vokal- musik des 15. und 16. Jahrhundert be- treffend, ein Cäcilianer-Mythos ist. Instrumente spielten damals meistens mit, verstärkten oder ersetzten Ge- sangsstimmen. Nur die päpstliche Ka- pelle war da eine Ausnahme. KeinOrt für leise Töne ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON RANDOLF JESCHEK, MZ NACHTKONZERT Das französi- sche Ensemble Syntagma in der Dominikanerkirche REGENSBURG. Die Tage Alter Musik könnten eine schöne Tradition entwi- ckeln: Hatte im vergangenen Jahr Mi- dori Seiler, unter anderem Konzert- meisterin bei Anima Eterna und der Akademie für Alte Musik Berlin, in der Spitalkirche Bachs Solopartiten in d- Moll und h-Moll beachtlich gemeis- tert, so war heuer Amandine Beyer in der Bruderhauskirche St. Ignatius mit einem Soloprogramm vertreten. Nach dem überragenden Purcell/Matteis- Programm mit ihrem eigenen Ensem- ble Gli Incogniti zeigte sie sich auch der Herausforderung Bach auf beein- druckendeWeise gewachsen. Über kleinere Unkonzentrierthei- ten, Intonationstrübungen oder den einen oder anderen nicht sofort an- sprechenden Ton kann deshalb hin- weggesehen werden, weil Amandine Beyers Umgang ansonsten so stimmig, so in sich ruhend wirkte, dass diese zu Nebensächlichkeiten verblassten. Wenn die französische Geigerin spielt, hat man den Eindruck, dass sie dem Instrument die Freiheit lässt sich zu entfalten. So wie sie dessen Korpus nur manchmal vollständig zwischen Schulter und Kinn klemmt, ihn an- sonsten aber nur locker auflehnt. Alles was in einer Geige steckt Mit Blicken nach oben scheint sie Tö- ne aus der Luft zu pflücken, um sie dann in die rhythmische und harmo- nische Struktur einzuflechten. Das luf- tige Allegro assai aus Bachs C-Dur-So- nate war dafür ein hinreißendes Bei- spiel, das Präludium aus der E-Dur-Par- tita ein weiteres. Faszinierend außer- dem, wie sie hier die Bariolage-Pass- agen in vibrierende Klangflächen ver- wandelte. Die riesenhafte C-Dur-Fuge strukturierte Beyer nicht ohne An- strengung in ihre Formabschnitte, ge- staltete aber sinnfällige Abstufungen der polyphonen Dichte und zwingen- de Steigerungen. In den Tanzsätzen der E-Dur-Partita ließ sie in den Ab- schnittswiederholungen elegante Ver- zierungen ganz selbstverständlich, scheinbar improvisierend einfließen. Pisendel erweist sich als ebenbürtig Als Mittelstück präsentierte Beyer die a-Moll-Solosonate des Bach-Zeitgenos- sen und weithin anerkannten Violin- virtuosen Johann Georg Pisendel. Der Widmungsträger einiger Werke Vival- dis zieht in diesem Bravourstück alle Register seines offenbar eminen- ten Könnens. Satztechnisch und harmonisch vielleicht nicht ganz so tiefgehend wie Bach, versteht er es dennoch, mit weit über das Griffbrett sich entfaltenden Arpeggien, mit von tiefen Tönen abgestützten Passagen in luftigsten Regionen und Mehrfachgrif- fen das einsame Instrument zu einem Vielfachen seiner selbst aufzufächern. Als heftige Akkordeinwürfe durch- setzen Letztere etwa den ersten, an- sonsten rhythmisch schwerelos prälu- dierenden Satz, und auch im anschlie- ßenden Allegro setzen kurze Vorschlä- ge kleine Widerhaken in den tänzeri- schen Grundgestus. Ähnlich den „Doubles“, mit denen Bach in seiner h-Moll-Partita den Sätzen jeweils ein die horizontale Struktur in die Verti- kale auflösendes Pendant gegenüber- stellt, verfährt Pisendel mit seiner Gigue: Er lässt ihr als krönenden Final- satz eine variierte, hier freilich auch deutlich angereicherte Version folgen. Spätestens hier – Amandine Beyers schwungvolle Hingabe ließ daran kei- nen Zweifel – bewegt der langjährige Dresdner Hofkonzertmeister sich na- hezu auf Augenhöhe mit Bach. Mit dem zugegebenen Allegro aus dessen a-Moll-Sonate ließ die Geigerin den Bogen noch einmal wunderbar fließen. Vielleicht trauen sich in den kommenden Jahren weitere Primarii an diese Aufgabe, auch innerhalb ei- nes Konzerts wechselnde Solisten könnten erhellende Einsichten in den Bachschen Soloviolin-Kosmos zeiti- gen. Das Publikum schien bereit. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON JUAN MARTIN KOCH, MZ PARTITEN Die profilierte Ba- rockgeigerin setzte die 2012 begonnene Reihe von Solo- konzerten fort. Sie meisterte die Herausforderung virtuos. Amandine Beyer gibt neue Einblicke in Bachs Kosmos In der Bruderhauskirche St. Ignatius spielte die Französin Amandine Be- yer anspruchsvollste Werke von Johann Sebastian Bach. Foto: altrofoto.de ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Mit Solo-Bravourstücken und feinemOrchesterklang endete das Festival TAGE ALTER MUSIK 2013 Feinste Stimmgewebe REGENSBURG. Das Ensemble Per-Sonat, dessen Seele die Sängerin und Block- flötistin Sabine Lutzenberger ist, ge- staltete mit Musik aus demAugsbur- ger Liederbuch ein stringentes, ab- wechslungsreiches Programm im Reichssaal. Die sieben Sänger und Mu- siker fanden sich in verschiedensten Besetzungen zusammen. Die Spezialis- ten des Renaissance-Gesanges into- nierten traumhaft sicher. Unaufdring- lichmischten sich die Sounds zu feins- ten Stimmgeweben, bei Alexander Ag- ricolas „Revenez tous, regretz“ oder Hofhaimers „An frewd verzer ichman- chen tag“. Marienlieder in verschiede- nen Sprachen, eine Psalmvertonung „Si sumpsero pennas“ von Jacob Ob- recht a capella: lauter Highlights, ru- hig, unaufdringlich dargeboten, im- mer imDienst der Sache, immer rund und ausgearbeitet bis ins Detail, nie langweilig, auchmal frech. Per-So- nat macht keine Show, son- dern beschert konzentrier- tes, intensives Musik-Erle- ben. (moe) !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Ein TAM-Höhepunkt REGENSBURG. Die Programmauswahl des kleinen, feinen kanadischen En- sembles Four Centuries of Bach, gelei- tet vomOboisten John Abberger, ori- entierte sich in der Alten Kapelle an der Überlegung, was J. S. Bach so alles für Oboe geschrieben hat bzw. hätte schreiben können. Zu Beginn eine Ou- vertüre, die zweite in h-Moll. Die Solo- flöte durch Oboe ersetzt, alles einen Ganzton runtertransponiert: Die Ou- vertüre hat es weitgehend unbescha- det überstanden, obgleich John Abber- ger mit demweniger wendigen Instru- ment gelegentlich an die Grenzen stieß. Licht und Schatten auch im so- listisch besetzten Ensemble: Nicht al- les war perfekt, bis ins letzte Detail ausgefeilt, zudemwar manch ge- schmäcklerische Applikation höchst überflüssig. Das Beste kam zum Schluss: der grandiose Auftritt von Countertenor Michael Chance. Die „Schlummert ein“-Arie war einer der überragendenMomente . (mjv) !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Feines aus Belgien REGENSBURG. Ein typisches „Concert Spirituel“-Programm bot das franco- belgische Orchester Les Agrémens zumAbschluss imNeuhaussaal. Vor- gestellt wurden u.a. sinfonischeWer- ke der belgischen Komponisten And- ré-Ernest-Modeste Grétry und Fran- çois-Joseph Gossec. Grétrys dreisätzige Symphonie D-Dur bleibt beiläufig-ge- fällig, wie auch die Symphonie F-Dur op. 8,2 von Gossec in der thematischen Erfindung eher blass bleibt. Hier domi- nierten Spiellust und technische Bril- lanz ebenso wie imKlarinettenkon- zert von Johann Christoph Vogel (1756-1788). Eric Hoeprich interpre- tierte seinen virtuosen Part überlegen. Bei Haydns Symphonien 84 Es-Dur und 85 B-Dur („La Reine“) klang das Orchester gegenüber den schmalen Klängen Grétrys und Gossecs ausge- wogen und volltönend. Guy vanWaas forderte hier von seinenMusikern alle Feinheiten bravourösen Orchester-Zu- sammenspiels. Heftiger Applaus! (mhf) ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● KRITIK IN KÜRZE Alle ausführlichen Konzertkritiken von den Tagen Alter Musik finden Sie bei uns im Internet: ➤ www.mittelbayerische.de/nach- richten/kultur ● ➲ Mehr zum Thema! ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● AKTUELL IM NETZ ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● MEISTERIN DER BAROCKVIOLINE ➤ Amandine Beyer , 1974 in Aix-en-Pro- vence geboren, zählt zu den wichtigsten Vertreterinnen der Barockvioline. ➤ Sie ist Mitbegründerin verschiedener Ensembles, u.a. von Les Cornets Noirs, L’Assemblée des honnestes curieux und Gli Incogniti. ➤ Ihre Diskographie umfasst über ein Dutzend Einspielungen, darunter sämtli- che Sonaten und Partiten von J. S. Bach.

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