Tage Alter Musik – Almanach 2013

Abseits des Starkults auf Entdeckungsreise von Ingo Negwer Zu Pfingsten lud Pro Musica Antiqua wieder zu den Tagen Alter Musik nach Regensburg ein. Vom 17. bis 20. Mai 2013 fand das international renommierte Festival in seiner 29. Auflage statt. Das große Jubiläum im kommenden Jahr warf somit schon seine Schatten voraus, und mancher Stammgast im Publikum wird angesichts dieser langen Zeit Erinnerungen an bewegende musikalische Eindrücke wachgerufen haben, die er in den vergangenen Jahren an der Donau erlebt hat. Seit einem Vierteljahrhundert bin ich nun selbst alljährlich in Regensburg dabei und tauchte wie- der ein in das faszinierende Flair der historischen Altstadt, die vier Tage lang von Musik vergangener Zeiten durchdrungen war. Mozart zum Auftakt Am Freitagabend wurden die Tage Alter Musik, einer schönen Tradition folgend, von den Regensburger Domspatzen eröffnet. Ihnen zur Seite musizierte Concerto Köln , das eingangs Beethovens erste Sinfonie als unbändig vorwärtsstürmendes Jugendwerk darbot. Mit hitzigen, teils über- hitzten Tempi ließen die Kölner sich und dem Publikum kaum einen Moment der Ruhe. Bei aller kammermusikalischen Transparenz, zu der die- ses Orchester in der Lage ist, ging die Rastlosigkeit doch so manches Mal auf Kosten der Präzision. Nach dem fulminant stürmischen Schlussrondo, quasi attacca aus dem Menuetto hervorgegangen, war man froh, in der Konzertpause einmal Atem schöpfen zu dürfen, ehe mit Mozarts Requiem das Hauptwerk des Eröffnungskonzerts folgte. Erst vor einem Jahr erklang Mozarts letztes, unvollendet gebliebenes Werk bei den Tagen Alter Musik in einer Maßstäbe setzenden Aufführung durch Anima Eterna und das Collegium Vocale Gent . Man durfte also gespannt sein, wie nun die Domspatzen unter der Leitung von Roland Büchner zusammen mit Concerto Köln diese Aufgabe angingen. In großer chorischer Besetzung näherten sie sich dem Requiem eher von einer klangprächtigen romantischen, nichtsdestoweniger dramatisch zugespitzten Sichtweise. Beeindruckend war die exzellente Textverständlichkeit der etwa hundert Sänger selbst unter den erschwerten Bedingungen der großen Basilika St. Emmeram. Da konnte auch das ansonsten stimmlich sehr gut disponierte Solistenquartett mit Dorothee Mields (Sopran), Dorothée Rabsch (Alt), Robert Buckland (Tenor) und Joel Frederiksen (Bass) kaum mithalten. Nach dem Auftakt mit einem populären Programm ging es beim Nachtkonzert in der Dominikanerkirche auf abgelegenen Pfaden weiter: Die Cappella Romana aus den USAwidmet sich unter der Leitung von Alexander Lingas vornehmlich dem griechisch-orthodoxen und byzantinischen Kulturraum. Bei ihrer Deutschlandpremiere sangen die neun ausgezeichneten Sänger geistliche Musik zum Fest der Heiligen Katharina sowie Auszüge aus einem liturgischen Drama von den drei Jünglingen im Feuerofen. Dabei stützten sie sich vornehmlich auf Quellen aus dem Kloster der Heiligen Katharina, das Kaiser Justinian Mitte des 6. Jahrhunderts am Berg Sinai errichten ließ. Das Repertoire basiert auf einer einfachen, von Bordunklängen geprägten Mehrstimmigkeit. In der kontemplativen Grundstimmung der Gesänge blühen immer wieder emphatische Melodiebögen oder orientalisch anmutende Melismen auf und geben der Musik einen besonderen Reiz. Ausdruck purer Lebensfreude Musik von der iberischen Halbinsel erklang am Samstagmorgen im Reichssaal. Die Accademia del Piacere näherte sich den Kompositionen von Antonio de Cabezón, Diego Ortiz, Gaspar Sanz u. a. mit den Mitteln der Improvisation. Fahmi und Rami Alqhai sowie Johanna Rose (Viola da Gamba), Enrique Solinís (Vihuela, Barockgitarre) und Pedro Estevan (Perkussion) griffen damit auf eine Musizierpraxis zurück, wie sie im 16. und 17. Jahrhundert (nicht nur) in Spanien weit verbreitet war. Ebenso virtuos wie nuanciert erweckten sie die in den überlieferten Quellen schlum- mernde Musik äußerst kreativ zu neuem Leben. Seit mehr als dreißig Jahren haben sich der argentinische Dirigent Gabriel Garrido und sein Ensemble Elyma der Wiederentdeckung lateinameri- kanischer Musik verschrieben. Unter dem Motto „Fiesta Criolla“ präsentierten sie in Regensburg eine mitreißende Festmusik zu Ehren der Gottesmutter von Guadalupe. Die Kompositionen von Francisco Correa de Arauxo, Andrés Flores, Juan de Araujo und anderen eher unbekannten Barockmeistern bilden eine Synthese aus spanischer bzw. südamerikanischer Folklore und europäischer Kunstmusik. Mit der Vielfalt der Stimmen und Instrumente, temperamentvoll und mitreißend musiziert, gestalteten die Interpreten diese außergewöhnliche Musik in der St.-Oswald-Kirche als Ausdruck purer Lebensfreude, die sich unmittelbar auf das Publikum übertrug. Für den Mai 2013 war es keine Selbstverständlichkeit, dass das Wetter den Tagen Alter Musik weitgehend wohlgesonnen war. So konnte man am Nachmittag bei schönstem Sonnenschein auf dem Haidplatz ein Zusatzkonzert von Les haulz et les bas erleben. Bläsermusik des Mittelalters und der Renaissance, auf ungewöhnlichen Instrumenten, wie Businen, Schalmeien und Pommern gespielt, zog eine große Schar Neugieriger an, zumal das deutsche Ensemble mit viel Spielfreude zu Werke ging und die Zuhörer eine Stunde lang in seinen Bann zog. Das Nachtkonzert von Les haulz et les bas in der Minoritenkirche hatte ich leider nicht in meine Planung mit einbezogen. Bei insgesamt vierzehn Konzerten reichen Konzentration und Kondition des Rezensenten nicht für das gesamte Festivalprogramm… Schade! So stand für mich abschließend das Abendkonzert des belgischen Barockorchesters Il Gardellino mit Werken Johann Friedrich Faschs auf dem Programm. Faschs Orchesterwerke zeichnen sich sowohl durch eine facettenreiche Instrumentation als auch durch eine kreative Formgestaltung aus. So erklang im Neuhaussaal ein Konzert G-Dur für zwei Oboi da Silva (Oboi da caccia), zwei Violen, zwei Fagotte und Basso continuo. Des Weiteren präsentierte Il Gardellino zwei Konzerte für drei Trompeten, Solo-Violine und Orchester, sowie Concerti für Solo-Trompete, für zwei Traversflöten und für Oboe und Flöte. Neben einigen Abstimmungsproblemen trübte jedoch die schmale Besetzung der Belgier den Gesamteindruck. Bei Kompositionen, die ehemals von den bedeutenden Hofkapellen in Dresden und Darmstadt aufgeführt wurden, erscheint eine nur einfache Streicherbesetzung doch allzu sparsam und wohl kaum authentisch, zumal in letzter Konsequenz an diesem Abend die kammermu- sikalische Feinabstimmung zu kurz kam.

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