Tage Alter Musik – Almanach 2013

DerbarockePrunk derRegensburgerBasi- lika St. Emmeram und Restschwaden von Weihrauchduft verunsichern den Besu- cher. Hier soll gleich Ludwig van Beetho- vens erste Sinfonie erklingen? Passen Ka- tholizismus und der Sympathisant der FranzösischenRevolutionzusammen?We- nige Minuten später, der einst provokante C7-Akkord zu Beginn ist längst verklun- gen, gibt es keinen Zweifel mehr, dass das nur allzu gut passt. Wie so viel bei den „Ta- gen Alter Musik Regensburg“, die zum neunundzwanzigsten Mal vor allem das Unpassende und Unerhörte in die Kirchen und Säle der Stadt holen. Vierzehn Konzerte drängen sich in vier Tagen, die Ensembles kommen aus ganz Europa und Amerika, das Repertoire um- fasst, wie das Programm stolz verkündet, „Musik vomMittelalter bis zur Romantik“. Wobei die großen Stars der Szene fehlen. Das hat vor allem konzeptuelle Gründe. Die beiden Gründer Ludwig Hartmann und Stephan Schmid, zwei ehemalige Re- gensburger Domspatzen, konzentrieren sich seit jeher eher auf jene Truppen, die neuen Ideen nachhängen und nicht land- auf, landab überall zu hören sind. So haben siedieses Jahr überhaupt erst- mals die in den USA beheimatete Cappella Romana nach Europa gebracht. Geleitet wird sie von Alexander Lingas, einemMu- sikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt auf byzantinischer Musik. Es ist typisch für die Szene, dass, anders als im Klassik- mainstream, wissenschaftliche Forschung und Aufführung oft in einer Hand liegen. Man musiziert nur, was man selbst ausge- graben hat. Was auch den Aufführungen der Cappella Romana einen ganz besonde- ren Reiz verleiht. Obwohl ihre Musik dezi- diert nichts mit den USA zu tun hat, son- dern aus dem fernen Mittelalter und vom noch ferneren Berg Sinai stammt. An der Stelle, wo Moses den Dekalog vonGott persönlich empfing, gründete der byzantinische Kaiser in der Spätantike das Katharinenkloster, deren musikalischster Mönchdortum1300lebte.JohannesKuku- zeles begann mit der Kodifizierung des prächtig brummenden Sinai-Repertoires, das die Cappella Romana jetzt in der Stun- de vor Mitternacht und in der nüchternen Dominikanerkirche in Endlosschleife singt: aus der Vesper zum Katharinenfest, aus dem Drama von den Jünglingen im Feuerofen. Neun Amerikaner, die Mehrzahl mit klangvollen griechischen Namen, darun- ter zwei wunderbare Solisten, stimmen zu dunkelbetörendenHaltetönenlangeMelis- men an, die ihre Herkunft aus dem Orient nie verleugnen. In keinem Moment ent- stehtderpeinlicheEindruck, dassdaLitur- gie bloß imitiert würde, und bald schonhat sich der Hörer eingelebt in eine Musik, die von der Weite der Wüste erzählt und die jetzt die ganze Nacht dauern dürfte. Doch zurück zu Beethoven und dem Weihrauch. Das Concerto Köln, 1985 ge- gründetund längstetabliert,spielt Beetho- vens Erste ohne Dirigenten. Das funktio- niert begeisternd gut. Erdig dunkel der Klang, furios die Tempi, dominant die Blä- ser. Da wirkt es geradezu störend, dass Domkapellmeister Roland Büchner da- nach das sehr viel einfachere Mozart-Re- quiemmit seinenDomspatzenweit ausho- lenddirigiert:Der Dirigentalsmonomaner Herrscherüber dieNotenistderamKollek- tivorientiertenaltenMusikfremd.Daswis- sendieanderenTruppenleiter,deren„Diri- gieren“ allenfalls unauffällig den Takt schlagen bedeutet. Mittlerweile hat sich die alte Musik auchalsWirtschaftsfaktoretabliert.Siebe- lebt den CD-Markt und ihre Ideen beleben längst die gesamte Klassik. Was zu Tritt- brettfahrereien führt, weil etliche Musiker nur so obenhin ein paar Prinzipien der his- torischen Aufführungspraxis kopieren. AberauchdieJungenderSzenehabenPro- bleme. ImReichssaal liefern sich der Gam- bistFahmiAlqhaiundder vonderVirtuosi- tät her an Paco de Lucía erinnernde Vihue- laspieler Enrique Solinis von der Accade- miadelPiaceredierasantestenTongefech- te. Damit machen sie sich über die übli- chen Klassiker der Renaissance her, über Guárdame las Vacas, Mille regretz, Susan- ne ung jour und die barocken Canarios von Gaspar Sanz. Hier hat die aus dem MainstreamnurallzuvertrauteRepertoire- bildung auch die alte Musik erreicht und fordert ihren Tribut. Denn selbst wenn mandiebekanntenKlassikernochsovirtu- os spielt wie Alqhai und Co., so wirken sie doch nie so lebendig, neu und ungewohnt wie frisch ausgegrabene Stücke, die man noch nie gehört hat. Davon überzeugt gleich danach Gabriel Garrido mit einer „Fiesta Criolla“ in der St.-Oswald-Kirche. Garrido erforscht seit Jahrzehnten die Barockmusik Lateiname- rikas. Für dieses Konzert hat er ein imboli- vianischen Sucre gefeiertes zehntägiges Fest eingedampft, das der Jungfrau von Guadalupe gewidmet ist. Gerade noch Die Weite des Sinai Barocker Prunk und fremde Klänge: Die „Tage Alter Musik“ in Regensburg – ein Szenetreff, der ohne Stars Der Dirigent als Herrscher ist der Alten Musik fremd – sie orientiert sich am Kollektiv ANZEIGE Nur für SZ-Abonnenten – Gutes tun & gewinnen: Sonnenurlaub auf Rhodos für 2 Personen inkl. Flug! * Im 5-Sterne-HotelSENTIDO Ixian AllSuites. Einloggen, Gutes tun und gewinnen unter www.sz.de/abohelfen Jetzt einloggen: www.sz.de/abohelfen der Cappella Romana einen ganz besonde- ren Reiz verleiht. Obwohl ihre Musik dezi- diert nichts mit den USA zu tun hat, son- dern aus dem fernen Mittelalter und vom noch ferneren Berg Sinai stammt. An der Stelle, wo Moses den Dekalog vonGott persönlich empfing, gründete der byzantinische Kaiser in der Spätantike das Katharinenkloster, deren musikalischster Mönchdortum1300lebte.JohannesKuku- zeles begann mit der Kodifizierung des prächtig brummenden Sinai-Repertoires, das die Capp lla Romana jetzt in der Stun- de vor Mitternacht und in der nüchternen Dominikanerkirche in Endlosschleife singt: aus der Vesper zum Katharinenfest, aus dem Drama von den Jünglingen im Feuerofen. Neun Amerikaner, die Mehrzahl mit klangvollen griechischen Namen, darun- ter zwei wunderbare Solisten, stimmen zu dunkelbetörendenHaltetönenlangeMelis- men an, die ihre Herkunft aus dem Orient nie verleugnen. In keinem Moment ent- stehtderpeinlicheEindruck, dassdaLitur- gie bloß imitiert würde, und bald schonhat sich der Hörer eingelebt in eine Musik, die von der Weite der Wüste erzählt und die jetzt die ganze Nacht dauern dürfte. Doch zurück zu Beethoven und dem Wei hra uch. Das Concerto Köln, 1985 ge- gründetund längstetabliert,spielt Beetho- vens Erste ohne Dirigenten. Das funktio- niert begeisternd gut. Erdig dunkel r Klang, furios die Tempi, dominant die Blä ser. Da wirkt es geradezu störend dass Domkapell eister Roland Büch er da- a das sehr viel einf chere Mozart-Re- quiemmit sein nD mspatzenweit aush - le ddirigi t:Der Dirigentalsmo oman Herrscherüb r dieNotenistderamKollek- tivorienti rtenaltenMusikfremd.Daswis- sendieanderenTruppenleiter,der n„Diri gieren“ alle falls unauffällig de Takt schlagen edeut t. Mittlerweile hat sich die alte M sik auchalsWirtschaf sfaktoretabliert.Sieb - lebt den CD-Markt und ihre Ideen beleben lä st die g samte Klassik. Was zu Trit - brettfahrereien führt, w il etliche Musiker nur so obenhin ein paar Prinzipien der his- torischen Aufführungspraxis kopieren. AberauchdieJungenderSzenehabenPro- bleme. ImReichssaal liefern sich der Gam- bistFahmi Alqhaiundder vonderVirtuosi- tät her an Paco de Lucía erinnernde Vihue- laspieler Enrique Solinis von der Accade- miadelPiaceredierasant stenTongefech- te. Damit machen ie sich über die übli chen Klassiker der Renaissance her, über G árdame las Vacas, Mille r gretz, Susan ne ung jour und die barocken Canarios von Gaspar Sanz. Hi r hat die aus dem Mainstream urallzuve trauteRepertoire b ldung auch die alte Musik erreicht und fordert ihren Tribut. De n selbst wenn man iebekannt nKla sik nochsovirtu- os spielt wie Alqhai und Co., so wirken sie doch nie so lebendig, n u und ungewohnt wi f isch ausgegrabene Stücke, die man noch nie gehört hat. Davon überz ugt l ich dan ch Gabriel Ga rido m t i er „Fiesta Criolla“ in St.-Oswald-Kirch . Garrido erforscht seit Jahrzehnten di Barockm sik Lateiname- rikas. Für diese Konzert hat er ein imboli vi nischen Sucr gefeiert s zehntägig s Fest eingedampft, da der Jungfr v n Gua alup gewidmet is . Gerade noch bringt Garrido s in 27-köpfiges Säng r und Spiel e semble im Ki chenchor un t r, as oft dreichörig in A t von geistl ch mKarn valaufführt.DiespanischeGe- wohnh it, H iligstes als alltäglich zu zei- gen, st den Lateinamerikan rn durchaus ni t fremd. Schon gar nicht d m so gut wie unbekannten, aber gran iosen Roque Jacin o d Chavarría (1688-1719), von dem einige der fulminan est n Nummern d s Programms stammen. Businen sindmit nur d ei Metern Länge diekleinenV rwandtendesAlphorns,aller dings nicht aus Holz gemacht, sondern aus Blech: eine Frühform der Trompete. Ihr stolz durch die Apsis der Mi orit nkirche auffahrende Klang wird durch den ein r imKirchenschiff postier n Busi e beant wortet, bald mischen sich zwei Schalme en, Tympani und ein T mburello ins G - schehen. Die Truppe „Les haulz et les b s“ r ko struie tdieBläs rmusi desMittelal- ters genau so, wie es Johan Huizinga in „Herbst des Mittelalt rs“ skizzi rt hat: grell, laut nd voller Leben. Das ist ä nlich befr mdlich wie die Sinai-Gesänge, aber auchh rl btsichderHörerschnellundz nehm nd b geistert ein. Direkt davor hatte „Il Gardellino“ sie- benKonzerte des inZ rbstangestellt n Jo- hann Friedrich Fasch (1688-1758) gespielt, Musik, die barocke Formen aufgibt und schondieEmpfindsamkeitde K ss k vor- bereitet. Am stärksten s nd auch hier d e Bläserkonzerte. Aber welch ein Unter schied zw schen den B rocktro peten und den Businen! Di W l auf demWe in die Moderne wird ruhig r, sie kehrt sich nach innen. REINHARD J. BREMBECK Der Diri gent als Herrscher is t der Alten Musik fremd – sie orientiert sich am Kollektiv Die Weite des Sinai Barocker Prunk und fremde Klänge: Die „Tage Alt r Musik“ in R gensburg – ein Szenet eff, der ohne Stars Erfolg hat

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=