Tage Alter Musik – Almanach 2013

SWR 2 13. Juni 2013 Autorin: Dagmar Munck Die historischen Instrumentennachbauten hätten nasse Füße bekommen, wenn die Tage Alter Musik Regensburg 14 Tage später gewesen wären. Der Musikmarkt mit Instrumenten, Noten und CDs tummelt sich alljährlich über Pfingsten in einem der beeindruckendsten Symbole der steinreichen Stadt, im Salzstadel, direkt an der 900 Jahre alten Steinernen Brücke über die Donau. Das älteste und renommierteste deutsche Festival für die Alte Musik fand über das Pfingstwochenende zum 29. Mal statt. 14 Konzerte, verteilt auf acht erlesene Kirchen und Säle der historischen Altstadt, die seit 2007 UNESCO Weltkulturerbe ist, 14 Konzerte mit einem Spektrum von den Anfängen der notierten Musik bis in die Klassik. Musik: Il Gardellino Johann Friedrich Fasch: Allegro aus dem Concerto d-moll FWV L:D4 Ein Konzert nur mit Werken von Johann Friedrich Fasch, dem geschätzten Bachzeitgenossen – hier gespielt von Il Gardellino – das kann man bei anderen Festivals schwerlich finden. O-Ton: Stephan Schmid „Wir wundern uns eigentlich selber, dass in den letzten Jahren das Interesse so zugenommen hat. Und dass selbst bei so Programmen, wie wir sie uns jetzt zu bringen wagen, wie ein reines Faschprogramm, ein reines Weckmannprogramm, ein reines Galuppiprogramm, dass da auch das Haus voll ist mit immerhin 600 bis 800 Leuten pro Konzert.“ … und zudem frühzeitig ausgebucht. Bereits Weihnachten wird es eng mit den Karten. Die Besucher haben eben über die Jahre gelernt, dass sie den Veranstaltern, Stephan Schmid und Ludwig Hartmann, blind und mit gespitzten Ohren vertrauen können. Sie wissen: da gibt es zwei Menschen, die Ohren haben, zu hören und Augen, zu sehen und dazu viel Sachverstand und ein sicheres Urteilsvermögen - und den Mut, sich auf all das zu verlassen, statt sich - wie zumeist üblich - im internationalen Interpreten-Wanderzirkus zu bedienen. Sie gründeln seit Aufkommen dessen, was man historische Aufführungspraxis oder Alte Musik nennt, unermüdlich selbst auf dem internationalen Platten-, inzwischen CD-Markt der Alten Musik. Ein Festivalmotto sucht man in Regensburg verge- bens. Deswegen kann man bei Tagen Alter Musik Regensburg auch immer wieder Deutschland- oder sogar Europapremieren erleben, wie das kanadische Ensemble „Four centuries of Bach“ . Der Name steht für die vier Jahrhunderte, in denen sich bisher der Kosmos Bach spiegeln konnte. Leiter des Ensembles ist der Oboist John Abberger. Er hat ein Programm mit lauter Bachschen Oboenhighlights vorgestellt: transkribierte Choralvorspiele, ein Oboenkonzert, die Kantate „Ich habe genug“ mit dem wunderbaren Solopart der Oboe und dieses Stück hier, das Ihnen vielleicht bekannt vorkommt. Musik: Four Centuries of Bach Johann Sebastian Bach: Menuet und Badinerie aus der Suite Nr. 2 a-Moll BWV 1067 Der letzte Tanzsatz, die „Badinerie“ – wie der Franzose Scherz und Schäkerei nennt, hat Ihnen sicher verraten, um welches Stück es sich hier gehandelt hat. Man kennt die Badinerie als Handyklingelton und auch in der Fassung für Flöte und Streicher und das Ganze ist aus Bachs 2. Orchestersuite in h-Moll. Warum aber hier für Oboe? Bach war ein großer Recycler seiner eigenen Stücke. Von dieser Suite gibt es aber nur zwei Stimmen aus Bachs eigener Hand, die für Flöte und die für Bratsche. Der Rest ist offensichtlich von einer Fassung in a-Moll kopiert worden – darauf deuten Korrekturen einiger Übertragungsfehler. Also hat es möglicherweise eine Ur-Fassung gegeben und die war in a-Moll. Dass ein tiefes a auf der Flöte nicht spielbar ist, freut den Oboisten. Der kann es auf der Oboe spielen. Man darf also spekulieren, dass Bachs berühmte h-Moll-Suite ursprünglich möglicherweise für Oboe war. Solche Erkenntnisse der Musikwissenschaft halten die die Alte-Musik-Szene lebendig. Es gibt kaum schlichtes Abspielen der Noten, kaum Malen nach Zahlen. Immer wieder werden wie hier neue Forschungsergebnisse klanglich umgesetzt, verschollene Werke wieder entdeckt, neue Spieltechniken aus alten Traktaten erschlossen, neue Aufführungsmöglichkeiten aus Quellen ermittelt. All dem ist man bei den Tagen Alter Musik Regensburg immer auf der Spur. Dort ist man mit der Alten Musik jung geblieben. Erstmals in Deutschland aufgetreten ist in Regensburg auch die Cappella Romana aus den USA. Sie hat sich der Erforschung und Praxis der frühen musikali- schen Traditionen des Christentums verschrieben und handschriftliche Aufzeichnungen aus dem Katharinenkloster, am Fuße des Berges Sinai, in Klang gesetzt. Musik: Cappella Romana Manuskript Ambrosianus Nr. 139 A sup. (14. Jh.): Sticheron Faszinierend archaische Klänge von einem Ort, den Christen, Juden und Moslems bis heute gleichermaßen verehren, dem Berg Sinai mit dem Katharinenkloster. Die Cappella Romana aus den USA. - Zum ersten Mal in Deutschland war auch das Ensemble Syntagma aus Frankreich. Sie brachten Renaissancemusik, eine Messe von Ockeghem und Motetten von Johannes Cornago, so zur Aufführung, wie es im Barock üblich war. Das war dann schon historischeAufführungspraxis zum Quadrat, neben einem schönen Klang für jedermann etwas für ausgefuchste Spezialisten. Erstmals zu hören war ein Oratorium von Baldassare Galuppi, das Oratorium „Jahel“ von 1770. Es ist kürzlich in der Züricher Nationalbibliothek wieder auf- getaucht und wurde jetzt von der Cappella Artemisia und dem Orchestra Barocca di Bologna aus der Taufe gehoben. Ein süffiges Stück voller sprudelnder Melodien, das apart den lateinischen Text mit italienischem Belcanto verbindet. Musik: Cappella Artemisia & Orchestra Barocca di Bologna Baldassare Galuppi: Oratorium “Jahel” Das Ideale wäre, wenn so eine Ausgrabung wie dieses Oratorium von Baldassare Galuppi dann auch noch in der idealen Aufführung zu hören wäre. Das gelang dem ziemlich schräg intonierenden Orchestra Barocca di Bologna noch weniger als den Sängern des Vokalensembles Artemisia, aber die Musik ist fantastisch! Galuppi ist der barocke Paul McCartney, ein melodisches Genie, dessen Problem wohl hauptsächlich darin lag, die Fülle seiner Einfälle irgendwie im Zaum zu

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=