Tage Alter Musik – Almanach 2013

Das Beste ist der größte Feind des Guten – Die 29. Tage Alter Musik Re- gensburg A m Vorabend der nun beinahe vollendeten drit- ten Dekade seit Beginn der Tage Alter Musik Regensburg lagen die Erwartungen so hoch wie eh und je. Und wie immer waren schon bald nach dem Beginn des Kartenvorverkaufs die allermeisten Kon- zerte der 29. Tage Alter Musik restlos ausverkauft. Das mag zum einen am inzwischen erreichten Eventcharakter des Festivals zum anderen sicher am viel versprechenden Konzertprogramm liegen bzw. gelegen haben. Immerhin führte der Konzertreigen von der Bläsermusik des Mittelalters (Les haulz et les bas), Johannes Ockeghems „Missa sine nomine“ (Ensemble Syntagma) und der „Lost World“ des un- tergegangenen Byzantinischen Reiches (Cappella Romana), sowie dem „Augsburger Liederbuch“ (Per- Sonat) über Werke von Weckmann, Tunder und Buxtehude (Les Cyclopes) bis zu spanischer Musik des 16. und 17. Jahrhunderts (Accademia del Piace- re), einer „Fiesta Criolla“ zu Ehren der Jungfrau von Guadalupe (Ensemble Elyma), „Ayrs for the violin“ mit Werken von Matteis und Purcell (Gli Incogniti), oder Kompositionen von Johann Friedrich Fasch (Il Gardellino), Solopartiten von Bach und Pisendel (Amandine Beyer), Violin- und Oboenkonzerten so- wie der Kantate „Ich habe genug“ (Adrian Butter- field, John Abberger, Michael Chance) von Bach (Four Centuries of Bach), hin zu Galuppis Oratorium „Jahel“ (Cappella Artemisia, Orchestra barocca di Bologna), Beethovens 1. Symphonie und Mozarts Requiem (Regensburger Domspatzen, Concerto Köln) und Symphonien bzw. einem Klarinettenkon- zert (Eric Hoeprich) von Grétry, Vogel, Gossec und Haydn (Les Agrémens). „Das Beste ist der größte Feind des Guten“; dies schrieb schon der Renaissance-Lyriker Georg Rudolf Weckherlin (1584-1653), geboren in Stuttgart und in London verschieden. Neunundzwanzig erfolgrei- che Festivals gehen nicht spurlos an Publikum und Kritik vorüber, das Ohr ist geschult, die Vergleichs- möglichkeiten mit anderen, früheren Konzertlei- stungen sind in Hülle und Fülle vorhanden. Es wird also immer schwieriger für die jeweiligen Ensem- bles, hier in Regensburg zu überzeugen. Wie immer und auf gewohntem Niveau eröffneten die Regensburger Domspatzen unter Domkapell- meister Roland Büchner (Solisten: Dorothee Mields, Doreothée Rabsch, Robert Buckland, Joel Frederik- sen) mit dem Mozart-Requiem sowie Concerto Köln mit Beethovens 1. Symphonie das Festival in der Ba- silika St. Emmeram. Es folgte das erste Nachtkon- zert in der Dominikanerkirche St. Blasius, dem ein- stigen Wirkungsort des Albertus Magnus mit der US-amerikanischen Cappella Romana unter der Lei- tung ihres Gründers Alexander Lingas. Auf dem Pro- gramm standen hier Kompositionen für den byzan- tinischen Ritus kurz vor dem Untergang Konstanti- nopels am 29. Mai 1453, also fast auf den Tag ge- nau vor 560 Jahren. Während im katholischen Westeuropa nach Guillaume de Machauts Tod bis hin zu Guillaume Du Fay die Ars subtilior herauf- dämmerte, verharrte Byzanz ganz offenbar im Tra- ditionellen, auch wenn man hier von einer „byzanti- nischen Ars nova“ spricht und als deren Hauptver- treter den Mönch und Heiligen vom Berg Athos, Jo- hannes Kukuzeles (13./14. Jh.) anführt. Die vorder- gründig archaisch anmutenden Kompositionen zeigten sich jedoch beim genaueren Hinhören dann doch von schelmisch-gewitzter Tonalität, ideal aus- geführt durch das neunköpfige a-capella-Männer- stimmen-Ensemble. Das Abendkonzert des Pfingstsamstags bestritt dann Il Gardellino unter der Leitung des Violinisten Ryo Terakado mit einem reinen Fasch-Programm. Gleich sieben Concerti Johann Friedrich Faschs in verschiedenster Besetzung, mit Pauken und Trom- peten, Oboi da caccia (hier Oboi da silva genannt), Flöte oder Solotrompete waren zu hören. Das kanadische Orchester Four Centuries of Bach unter der Leitung von John Abberger hatte sich viel vorgenommen, Bachs Ouvertüre BWV 1067, das re- konstruierte Oboenkonzert nach BWV 1053, Trans- kriptionen dreier Choralvorspiele (BWV 659, 639, 662), das Violinkonzert BWV 1042 und die Kantate BWV 82 „Ich habe genug“ für Altus, Solooboe, Strei- cher und b.c. Aufhorchen ließen besonders die drei Choralbearbeitungen, makellos und bewegend von John Abberger gespielt. Das Ensemble Per-Sonat war mit einer Auswahl aus dem bekannten Augsburger Liederbuch zu hören. Vor allem in der zweiten Hälfte konnte das Ensem- ble bei drei anonymen und schmissig gespielten In- strumentalstücken seine Kunstfertigkeit zeigen. Im Nachtkonzert des Pfingstsonntags erklangen die „Missa sine nomine“ Johannes Ockeghems zusam- men mit Motetten von Johannes Cornago. Die drei Vokalisten klangen gut zusammen, die Instrumenta- listen hielten sich dezent im Hintergrund. Die Cappella Artemisia und des Orchestra barocca di Bologna unter der Leitung von Paolo Faldi gastier- ten mit Baldassare Galuppis Oratorium „Jahel“ (1770), erst vor wenigen Jahren in der Zentralbiblio- thek Zürichs wieder entdeckt. Zwar hält sich die kompositorische Abwechslung in diesem Werk in Grenzen, doch konnten die Gesangssolistinnen durch ihre jeweiligen Interpretationen meist punk- ten und das Orchester in jeder Beziehung überzeu- gen. Am selben Ort, nämlich der Sankt-Oswald-Kirche hatte einen Tag vorher das Ensemble Elyma unter der Leitung von Gabriel Garrido mit einer halbsze- nisch dargebotenen Fiesta Criolla gastiert. Es war dies Festmusik zu Ehren der Gottesmutter von Gua- dalupe (sie wird als indigene Frau dargestellt). Die- ses Fest vereint Indios, Mestizen, Criollos und Spa- nier und dementsprechend fällt natürlich die Musik aus: Sie ist überschwänglich fröhlich, eine in Ton gesetzte Volksfrömmigkeit, die man in unseren Brei- ten nicht kennt. Die Ausführenden wurden im Lauf des Konzerts zunehmend sicherer in ihrer Gestal- tung, der Funke sprang schnell zum Publikum über, das Resultat war eine spaßige, ausgelassene Stim- mung im gesamten Kirchenschiff. Fazit: Es wurde lebendig, authentisch und ehrlich musiziert, die In- terpretation riss einen jeden mit, sowohl bei den Künstlern als auch im Publikum. Somit geriet das Konzert des Ensembles Elyma zu einem der besten des diesjährigen Festivals. Les Cyclopes traten unter der Leitung von Bibiane Lapointe und Thierry Maeder ebenfalls in St. Oswald auf, am Nachmittag des Pfingstsonntages. Abend- musik an St. Jakobi in Hamburg lautete die Über- schrift ihres Programms und brachte Werke von An- tonio Bertali, Matthias Weckmann, Franz Tunder und Dietrich Buxtehude. Die vier Gesangssolisten (Eugénie Warnier, Pascal Bertin, Jeffrey Thompson, Benoît Arnould) und die Instrumentalisten steiger- ten sich von Stück zu Stück. Spätestens aber bei Weckmanns „Wie liegt die Stadt so wüste“ hatten sie jeden im Raum erreicht und gepackt! Das hatte Klasse, das war sauber und spannend musiziert und das Orchester konnte zusätzlich noch bei Buxtehu- des Sonata BuxWV 266 sein hohes, rein instrumen- tales Können unter Beweis stellen. Das belgische Orchester Les Agrémens unter der Leitung von Guy van Waas bestritt das Abschlus- skonzert des Festivals, das vierzehnte Konzert, das Ende eines langen Konzertreigens. Wie würden sie sich schlagen, zumal die angebotene Literatur (Grétry: Symphonie D-Dur; Vogel: Klarinettenkon- zert B-Dur; Gossec: Symphonie F-Dur op. 8/2; Haydn: Symphonie Es-Dur Hob. 1:84 und B-Dur „La Reine“ Hob. 1:85) durchaus anspruchsvoll war. Kurz gesagt: Sie schlugen sich mehr als gut! Bereits Grétry ließ überzeugend erahnen, was da auf das Publikum noch zukommen würde. Haydns Sympho- nie Es-Dur geriet von Anfang an souverän, das Or- chester „surfte auf der Welle seiner Spielfreude“. Er- ic Hoeprich spielte das anschließende Klarinetten- konzert von Johann Christoph Vogel nichts weniger als brillant. Nach der Pause zeigte sich Gossec als hochinteressanter Komponist, die Interpretation durch Les Agrémens war herausragend. Und Haydns an- und das Konzert sowie das Festival absch- ließende Symphonie „La Reine“ war wunderschön gespielt und machte letztlich etwas traurig, da nun das Festival zu Ende war und man wieder ein ganzes Jahr auf das nächste warten muss. Wer mitgezählt hat, der weiß, dass nun noch vier Konzerte fehlen. Sie waren makellos und triumphal und es fällt mir wirklich schwer, hier eine Abstufung vorzunehmen. Daher sollen sie in der Reihenfolge ihrer Aufführung genannt werden. Les haulz et les bas

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